Man muss sich von einer Illusion trennen: Einen Wahlkampf ohne Versuche, ihn digital zu manipulieren, wird es nie wieder geben. Demokratie findet auch auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken statt - dort wird es immer politische Kämpfe unter falscher Flagge geben. Der Informationskrieg tobt, aber die Verantwortung dafür liegt nicht nur bei den sozialen Netzwerken.
Es ist auch die Aufgabe von Politikern, die digitale Integrität demokratischer Wahlen sicherzustellen und die Bürger vor massenhafter Desinformation zu schützen; Hacking gegen Kandidaten und Wahltechnik zu unterbinden. Doch zwei Jahre nach den Manipulationen bei der US-Wahl gibt es noch immer keinen Plan, wie sich in sozialen Medien Kampagnen mit gefälschten Nutzerkonten stoppen lassen.
Dass Politik im Netz besonders schmutzig ist, zeigte sich diese Woche wieder. Facebook, Youtube und Twitter löschten Hunderte Nutzerkonten, die sie einem Propaganda-Netzwerk aus Iran zuordnen. Microsoft verkündete, russische Hacker hätten versucht, Lobbyorganisationen zu infiltrieren. Zuvor hatte die Hacker-Elite auf einer Konferenz in Las Vegas vorgeführt, wie angreifbar US-Wahlmaschinen sind. Facebooks früherer Sicherheitschef erklärte, die Kongresswahlen im November seien nicht mehr zu schützen, man solle sich besser auf 2020 konzentrieren.
US-Politik:Hacker greifen konservative Lobbygruppen an
Nach den US-Demokraten werden auch außenpolitische Denkfabriken attackiert, die zwar den Republikanern nahe stehen, aber nicht auf Kurs von Präsident Trump liegen. Microsoft macht Hacker mit Verbindungen zum russischen Geheimdienst verantwortlich.
Ob und wie stark sich Wähler von Desinformationskampagnen im Netz beeinflussen lassen, ist bislang kaum erforscht - dafür Geld bereitzustellen, wäre im Sinne der Demokratie. Zugleich sollten die Verantwortlichen in Berlin Regeln setzen, die zumindest die massivsten Eingriffe verhindern. Die Konzerne haben zwar auf politischen Druck hin viele Fake-Konten gelöscht. Aber was geschieht, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt?
Facebooks Anzeigensystem ist seine Geldmaschine und sein Schwachpunkt. Weil es Bürger je nach Interessen und Ort zielgenau erreichen kann, missbrauchen Agenten es, um anonym Propaganda zu streuen. Deshalb müssen Regierung und Bundestag Wahlwerbung im Netz regulieren. Noch immer gibt es keine Vorschriften für Transparenz in diesem Bereich.
Wahlen dürfen keine "Weltmeisterschaft des Informationskrieges" werden
Dabei müsste jeder Bürger das Recht haben, jede politische Anzeige einzusehen, die Parteien anhand der Datenprofile der Nutzer passgenau buchen können. Er sollte Urheber, Kosten und Zielgruppe kennen. In den USA ist ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht. In Deutschland tut sich nichts. Richtigerweise hat die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten ermahnt, Wahlwerbung im Netz zu regeln.
Außerhalb des Anzeigensystems setzen staatliche Agenten wie die iranische Kampagne auch auf gewöhnliche Facebook-Beiträge unter falschen Namen. Hinzu kommen Hacking-Versuche wie jene, die Microsoft entdeckte. Nötig wird in Zukunft ein noch engerer Informationsaustausch zwischen IT-Unternehmen, Bundeswahlleiter und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Die Behörde für IT-Sicherheit muss in Wahlkämpfen eine zentrale Rolle spielen.
Facebooks Ex-Sicherheitschef warnt sogar, US-Wahlen könnten zur "Weltmeisterschaft des Informationskrieges" werden, in denen die weltbesten Hacker herumpfuschen. Weltmeisterschaften haben es an sich, von Land zu Land zu wandern. Diese WM sollte 2021, wenn die nächste Bundestagswahl ansteht, nicht in Deutschland stattfinden. Am besten nirgendwo.