Arbeitslose:Bundesregierung will Hartz-Sanktionen weitgehend entschärfen

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Ein Arbeitsvermittler führt im Jobcenter Berlin-Lichtenberg eine Beratungsrunde für potenzielle Umschüler durch. (Foto: Susann Prautsch/picture alliance)

Die meisten Geldabzüge wegen Fehlverhaltens sollen bis Mitte 2023 wegfallen. Das haben die Grünen durchgesetzt - gegen den Willen der FDP.

Von Alexander Hagelüken und Roland Preuß

Die Ampelkoalition will die geltenden Hartz-IV-Regeln deutlich lockern. So sollen Langzeitarbeitslosen bis Juli 2023 bei Fehlverhalten fast keine Sanktionen durch Kürzung von Geld mehr drohen. Dies wurde der Süddeutschen Zeitung am Donnerstag aus den Fraktionen der Ampelkoalition bestätigt. Bisher hatte die Regierung geplant, die Sanktionen nur bis Ende des Jahres auszusetzen, allerdings sollten Jobcenter das Geld weiterhin kürzen können, wenn Hartz-IV-Bezieher Termine versäumen. Auch diese Möglichkeit soll nun stark eingeschränkt werden. Nach SZ-Informationen haben die Grünen diese Lockerungen gegen den Widerstand der FDP durchgeboxt . Auch in der SPD gab es ursprünglich andere Vorstellungen.

Über die Sanktionen wird gestritten, seit Hartz IV, das offiziell Grundsicherung heißt, Mitte der Nullerjahre eingeführt wurde. Das Jobcenter kann das Geld bisher nicht nur bei versäumten Terminen kürzen, sondern auch, wenn jemand beispielsweise eine Fortbildung ohne guten Grund abbricht oder eine zumutbare Arbeitsstelle ablehnt. Die Leistung konnte bei wiederholten Versäumnissen ursprünglich sogar vollständig gekürzt werden. Das konnte zur Folge haben, dass Hartz-IV-Bezieher ihre Wohnungen verloren. Dies zeigt, wie sehr sich das geplante Modell vom ursprünglichen Hartz-IV-System unterscheiden würde.

Jens Teutrine, Sprecher der FDP-Fraktion für das Bürgergeld, sagte, für die Liberalen sei wichtig, dass das Sanktionsmoratorium keine absolute Sanktionsfreiheit bedeute, es könnten bei Terminversäumnissen weiter Leistungen gekürzt werden, bis zu zehn Prozent. "Solche Terminverletzungen und Meldeversäumnisse machen gut drei Viertel aller Sanktionen aus." Bisher kann deutlich mehr, bis zu 30 Prozent des Geldes, gestrichen werden, auch wenn Hartz-IV-Empfänger wiederholt nicht zu Terminen im Jobcenter erscheinen.

Teutrine verwies darauf, dass dieser Kompromiss mit einer weiteren Absprache verbunden sei: Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt, dass beim Bürgergeld, das Hartz IV ablösen und die Grundsicherung umfassend neu regeln soll, weiterhin bis zu 30 Prozent Abzüge möglich sein werden.

Trotz der Neuregelung sollen erste Elemente des Bürgergelds Anfang 2023 in Kraft treten

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt zeigte sich zufrieden. "Ich bin froh über die Einigung zum Sanktionsmoratorium", sagt sie. Man habe jetzt nur noch geringe Sanktionen im alten System verankert - und Mitwirkungspflichten im geplanten Bürgergeld. "Jetzt können wir uns auf die Umsetzung des Bürgergeldes konzentrieren", sagte Schmidt.

SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es "bis zur gesetzlichen Neuregelung" der Strafen ein "einjähriges Moratorium" für die Sanktionen im Hartz-IV-System geben soll. Die gesetzliche Neuregelung sollte bereits in Form des Bürgergeldes zu Beginn des kommenden Jahres greifen, dann aber wären die Sanktionen nur noch für etwa ein halbes Jahr ausgesetzt worden - erst an diesem Freitag ist die Neuregelung für die erste Lesung im Bundestag. Nun sollen sie doch für ein ganzes Jahr abgeschafft werden. Erste zentrale Elemente des Bürgergeldes sollen dennoch bereits zum 1. Januar 2023 in Kraft treten, hieß es aus Fraktionskreisen.

Vor drei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch Menschen, die hartnäckig eine Kooperation verweigern, der monatliche Geldbetrag um höchstens 30 Prozent gekürzt werden darf. Praktiker in den Jobcentern warnen allerdings seit Jahren davor, die Sanktionen komplett zu kippen. Sie pochen auf die Möglichkeit, eine Minderheit unwilliger Arbeitsloser zur Mitwirkung zu bewegen. Insgesamt wurden zuletzt etwa 1,5 Prozent der rund 3,5 Millionen arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfänger sanktioniert.

Die Bundesagentur für Arbeit argumentiert, wegfallende Sanktionen könnten vom Steuerzahler als unfair empfunden werden

Den Grünen schwebt eine Art bedingungsloses Grundeinkommen vor, bei dem es möglichst wenig Druck auf die Menschen geben soll. Die aktuellen Regeln für die Zeit bis zum Bürgergeld verhandelte unter anderem der Bundestagsabgeordnete Frank Bsirske (Grüne), lange Zeit Chef der Gewerkschaft Verdi. Es hatte sich bereits vor Monaten abgezeichnet, dass es hier zu Konflikten zwischen den Ampelpartnern kommen wird, auch weil die konträren Ansichten nur mühsam durch Formulierungen im Koalitionsvertrag überdeckt wurden, die sich unterschiedlich auslegen lassen.

Fachleute argumentieren, eine lange weitgehend sanktionslose Zeit könne eine Präzedenzwirkung haben. Wenn bis Mitte 2023 auf fast alle Sanktionen verzichtet wird und auch Meldeversäumnisse weitgehend folgenlos sind - lassen sich Sanktionen angesichts der Abneigung vieler Menschen dagegen überhaupt wieder einführen, sobald das Bürgergeld kommt?

In der Vergangenheit haben sich zahlreiche Organisationen gegen eine völlige Abschaffung der Sanktionen gestellt. Die Bundesagentur für Arbeit etwa erklärte bei einer Anhörung im März, wenn nach verschiedenen Erleichterungen für Hartz-IV-Empfänger auch noch die Sanktionen wegfielen, könne dies als unfair empfunden werden. Und zwar sowohl von anderen Beziehern von Grundsicherung, die sich an Auflagen halten, wie auch von der "finanzierenden Gemeinschaft der Steuerzahler".

Die Vorschriften für die Grundsicherung waren auch nach dem Karlsruher Urteil weiter gelockert worden. Im Zuge der Corona-Pandemie wird vorerst nicht mehr geprüft, ob jemand Vermögen hat, dass er erst aufbrauchen müsste, bevor er Hartz-IV-Leistungen bekommt. Es wird zudem zwei Jahre lang die Miete für Wohnungen übernommen, die eigentlich als zu teuer eingestuft ist. Der Zugang zu den Geldleistungen ist einfacher, sprich, es werden nicht mehr so viele Daten in langen Antragsformularen abgefragt.

Die Zahl der Termine in den Jobcentern war in der Pandemie stark reduziert worden, um die Ansteckungsgefahr zu verringern, Gespräche fanden stattdessen telefonisch statt. Inzwischen gibt es wieder häufiger Präsenztermine. Die Erfahrung aus dieser Zeit sollen nun in das Konzept für das geplante Bürgergeld einfließen.

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