Auf den ersten Blick ging die Woche für Rishi Sunak ganz gut los. Am Montag empfing der britische Premierminister Wirtschaftsbosse aus aller Welt im Hampton Court Palace, dem einstigen Lieblingsschloss von Heinrich VIII. im Südwesten Londons. Die Gästeliste las sich wie das who's who der globalen Geldelite: Stephen Schwarzman von Blackstone, Jamie Dimon von J.P. Morgan, David Solomon von Goldman Sachs. Sie alle waren eingeladen beim "Global Investment Summit" der britischen Regierung. Gastgeber Sunak fühlte sich sichtlich wohl, er war ja früher selbst Investmentbanker.
Und doch dürfte die Laune des Premiers nicht die beste gewesen sein, nachdem bekannt geworden war, dass sich gut 30 seiner 200 Gäste schon vor dem Gipfel mit seinem schärfsten Konkurrenten getroffen hatten: Keir Starmer. Es gibt ein Foto, das zeigt den Labour-Chef im Büro von Ernst & Young in der Londoner City, vor ihm sitzen die Firmenbosse beim Frühstück. Für Sunak war das Bild ein Affront. Denn viel deutlicher lässt sich kaum zeigen, was gerade passiert: Die Wirtschaft bereitet sich auf einen möglichen Regierungswechsel in London vor.
Ob es dazu kommt, weiß natürlich niemand, aber fest steht: Seit Sunak in Downing Street regiert, liegen seine Tories in den Umfragen ziemlich konstant 20 Prozentpunkte hinter Labour. Kein Wunder, dass Sunak immer stärker unter Druck gerät. Spätestens im Januar 2025 wird ein neues Unterhaus gewählt, vermutlich früher. Wann genau, entscheidet in Großbritannien der Premier.
Labour hat jetzt einen Kandidaten, der die Bosse nicht verschreckt
Vor allem eines hat sich im Vergleich zur vorigen Wahl im Jahr 2019 geändert: Labour hat jetzt einen Kandidaten, der die Wirtschaft nicht verschreckt. Die Verstaatlichungspläne seines Vorgängers Jeremy Corbyn hat Keir Starmer genauso aus dem Programm gestrichen, wie die Versprechen von Sozialleistungen, die nicht finanzierbar sind. Labour gilt für viele Wirtschaftsvertreter wieder als wählbar. Offiziell halten sich die Unternehmerinnen und Firmenchefs bedeckt, aber die Aussicht auf einen Premier Starmer sorgt unter ihnen für allerlei Gesprächsstoff.
Zum Beispiel am Dienstagabend in London. Der Automobilverband SMMT hat zum Dinner in ein Hotel an der Park Lane geladen, gleich gegenüber dem Hyde Park. Dresscode: Black Tie. Beim Empfang vor dem Abendessen ist Zeit für Small Talk. Ein Automanager, der nicht mit seinem Namen zitiert werden möchte, sagt: "Mal schauen, was nächstes Jahr in Westminster passiert." Man müsse sich auf alles vorbereiten, und dazu gehöre nun mal, Gesprächskanäle zu Labour aufzubauen. Was ein möglicher Premier Starmer für die Autoindustrie bedeutet, ist noch nicht klar, aber schon jetzt geht es für die Branche darum, herauszufinden, was auf sie zukommen könnte.
Gerade erst im September hatte Sunak mit seiner Entscheidung, das Verkaufsverbot neuer Benziner und Dieselautos von 2030 auf 2035 zu verschieben, für viel Unruhe gesorgt. Hat er der Industrie doch das genommen, was sie dringend braucht: Planungssicherheit. Von Labour hört man, dass Starmer im Fall eines Wahlsiegs Sunaks Entscheidung wieder rückgängig machen wolle. Der Automanager sieht es so: "Wir müssen uns womöglich auf eine weitere Kehrtwende einstellen." Keiner könne wissen, was komme. Aber gut, so sei es schon nach dem Brexit gewesen, sagt er, und zuckt mit den Schultern.
Großbritannien:Wenn gar nichts mehr hilft: Steuern runter
Die Umfragewerte der britischen Regierung sind im Keller. Nun versucht sie es mit dem ultimativen Befreiungsschlag. Ökonomen sind besorgt.
Ist Einwanderung jetzt gut oder schlecht? Sunak findet darauf keine klare Antwort
Brexit. Die meisten Briten können das B-Wort nicht mehr hören. Auch nicht Chris Hayward. Er ist Policy Chairman der City of London Corporation und im Grunde dafür zuständig, dass die britische Hauptstadt der bedeutendste Finanzplatz Europas bleibt. Hayward empfängt in seinem Büro in der Guildhall im Zentrum Londons. Er sagt: "Das B-Wort muss verschwinden." Die Trennung von der EU sei schmerzhaft gewesen, aber nun komme es darauf an, wieder Vertrauen aufzubauen. Seit Sunak Premier ist, hat sich das aus Haywards Sicht schon verbessert. Aber es gebe noch viel zu tun, gerade in Bereichen, in denen man stärker zusammenarbeiten könnte, sei es bei KI oder Green Finance.
Wenn Hayward über den Zustand seines Landes redet, klingt er bisweilen wie der Premierminister. Er spricht davon, dass die hohe Inflation nicht nur ein britisches Problem sei, sondern ein weltweites. Dass die Teuerung mit 4,6 Prozent in keinem G-7-Land so hoch ist wie hier, sagt er nicht. Nach dieser Devise verfährt auch Sunak. Bei seinem Investmentgipfel im Hampton Court Palace malte er die Gegenwart und die Zukunft in den allerschönsten Farben.
Der Premier warb für ein neues Visum, das den Absolventen der 50 besten Universitäten der Welt ermöglichen soll, für zwei Jahre mit ihrer Familie nach Großbritannien zu ziehen. "So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt, und es sagt alles über unsere innovations-, wachstums- und unternehmerfreundliche Philosophie aus." Und an die Adresse der versammelten Wirtschaftselite sagte er noch: "Das ist die Chance, die sich hier in Großbritannien bietet, und deshalb sollten Sie mir glauben, wenn ich sage, dass dies das beste Land der Welt ist, um zu investieren und Geschäfte zu machen."
So klingt er also, der Sales Pitch eines Premierministers, der früher für Hedgefonds Geld eingesammelt hat. Das Problem ist nur, dass potenzielle Interessenten nicht wissen, ob sie Sunak diese Weltoffenheit wirklich abnehmen können. Als nämlich in der vergangenen Woche die neuesten Zahlen zur Einwanderung veröffentlicht wurden, hörte sich der Premier noch ganz anders an. "Die Zahlen sind zu hoch", sagte er und versprach alles dafür zu tun, damit künftig weniger Menschen ins Land kommen - und zwar auch auf legalen Wegen.
Das größte Problem sind die hohen Lebenshaltungskosten
Zwischen Juni 2022 und Juni 2023 wanderten unter dem Strich 672 000 Menschen nach Großbritannien ein. Das waren deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum, damals lag die Zahl bei 607 000 Menschen. Sunak steht deshalb unter starkem Druck, schließlich war es eines der Brexit-Versprechen, die Zuwanderung zu senken. Vor allem der rechte Flügel der Tories dringt darauf, endlich schärfere Maßnahmen durchzusetzen.
Also, was tun? Luke Tryl arbeitet bei More in Common, einer Organisation, die gesellschaftspolitische Entwicklungen untersucht. Vor einer Woche hat er eine Wahlkampfstudie mit dem Titel "Die Briten und die Wirtschaft" veröffentlicht. Tryl kam zu dem Ergebnis, dass es die Politik den Menschen einfach nicht recht machen kann. Die Mehrheit der Befragten sei zwar für höhere öffentliche Ausgaben, aber gleichzeitig für einen Abbau der Staatsverschuldung.
Je länger man Tryl bei einem Videogespräch mit mehreren Medien zuhört, desto stärker verfestigt sich der Eindruck: Die Politikverdrossenheit ist groß. Und es gibt vor allem ein Problem, das die Menschen umtreibt: die hohen Lebenshaltungskosten. Auf die Frage, ob sie eher den Tories oder Labour zutrauen, die cost of living crisis in den Griff zu bekommen, war die Antwort der Befragten auffallend eindeutig: 60 Prozent stimmten für Labour, nur 40 Prozent für die Tories.