Silbermond, die Band aus Bautzen, gehört in der Außenwirtschaftsbilanz des Freistaats Sachsen zu den glänzenden Posten, in ihrer Heimat wird sie seit dem letzten Album noch inniger geliebt. B 96 heißt ein Lied darauf, benannt nach einer Bundesstraße und Chiffre für all die Gefühle, die Silbermond mit ihrer Herkunft verbinden. Ein rostiges Hoftor, blassgelbe Felder, kaum Menschen - es passiert nicht viel in diesem Lied: "Und die Welt, steht still, hier im Hinterwald."
Wer über die Autobahn 4 in den deutschen Ostzipfel fließt und dann in Bautzen abbiegt, nach Süden, der bekommt zunächst nicht viele Gegenargumente geliefert. Doch während im Autoradio Silbermond schon am Morgen wohlwollend das Nicht-Geschehen besingt, hat fernab jeglicher Bühnen genau hier eine Frau die Führung übernommen.
Ein Wachstumspaket mit dem Namen Miunske
Die Oberlausitz ist das, was etwas anämisch immer als "strukturschwache Region" bezeichnet wird, und umso verwunderlicher erscheint dieses Wachstumspaket, das sich an der B 96 in Großpostwitz entwickelt und das an so viel Kraft und Größe gewonnen hat, dass es sich inzwischen zu beiden Seiten der Bundesstraße ausbreitet. Das Paket trägt den Namen Miunske, und bevor dies der Name einer Firma für Fahrzeugtechnik wurde, war es schon der Name einer Familie. Johannes Miunske war der Innovation zumindest vom Etikett her schon in der DDR verschrieben, nämlich als Konstrukteur im Mähdrescherwerk Fortschritt. Nach dem Mauerfall ging er in den Außendienst, 1996 gründete er die Firma, und zwar tatsächlich in einer Garage, von der noch die Rede sein wird.
Von Anfang an dabei war seine Frau Monika. Und sonst? Nicht viel. 20 Jahre später zählt Miunske etwa 60 Mitarbeiter, der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei knapp zehn Millionen Euro. In der offiziellen Firmenpräsentation wird all dies mit dem beiläufigen Folientitel "Miunske - ein Familienunternehmen" beschrieben. Warum das Wort "Familie" in diesem Fall noch gerechtfertigter ist als sonst, das zeigt sich im Wechsel der Geschäftsführung, der sich vollzogen hat: vom Vater an die Töchter.
Die operative Leitung hat die Generation Miunske 1 bereits abgegeben, Ende des Jahres wird sie auch die Berater-Präsenz am Firmensitz in Großpostwitz beenden. Auf die Gründer gefolgt ist die Generation Miunske 2. Die beiden Töchter plus Ehemänner leiten das Haus nun, angeführt von Katrin Miunske, 43, in deren Begrüßungslächeln beides mitschwingt: eine gewisse Hausherrinnenfreude wie auch der Respekt einer Chefin, deren Eingewöhnung noch nicht abgeschlossen ist. In so einem Zwischenstadium geht der Blick vielleicht öfter mal zu den beruhigenden Buddhas in ihrem Büro.
Statt der Tochter übernimmt noch immer häufig ein externer Manager
Vor einigen Jahren war es noch ein vergleichsweise unerhörter Gedanke für einen Patriarchen, seine Firma in die Hände der eigenen Tochter zu geben. Externe Manager wurden geholt, und wenn doch mal die Tochter zum Zug kam, dann oft, weil sie keinen Bruder hatte. Irgendwie also: aus der Not. Die Initiative "Generation Töchter" zur Unterstützung weiblicher Nachfolge in Unternehmen beobachtet zwar, dass sich das inzwischen langsam ändert - ein normales Verhältnis zu all den brüderlichen Übernahmen ist aber noch lang nicht erreicht.
Katrin Miunske begann ihr Berufsleben im öffentlichen Dienst, sie ist diplomierte Finanzwirtin. Fragt man sie nach der größten Niederlage ihres Lebens, kommt sie ohne Umwege auf ihre Abschlussnote zu sprechen: 9,5 Punkte von fünfzehn - 59ste von 212. Ihre Leistungen mit "befriedigend" beurteilt zu bekommen, "darüber habe ich mich sehr geärgert". Erst mit dem Erreichen der Beförderungsgrenze im gehobenen Dienst und dem Titel des Steueramtsrats war sie dann "endlich" zufrieden.
Im öffentlichen Dienst habe sie jedoch gestört, dass sich wenig bis nichts bewegen ließ, insofern kam der Anruf des Vaters zur rechten Zeit: "Übernimmst du?" Katrin Miunske schaute sofort im Beamtengesetz nach, wie einfach es ist zu kündigen. Ihre damaligen Kollegen waren gespalten. "Warum bist du nicht schon viel eher gegangen?", fragten die einen. "Wie kannst du diese Sicherheit nur aufgeben?", fragten die anderen.
Der Entschluss zur Nachfolge war eine All-in-Entscheidung für Katrin Miunske. Eine radikale Fokussierung auf das, was schon vorher wichtig war: der eigene Betrieb, die unmittelbare Familie. Miunskes Schwester Jana Kirstein kümmert sich nun um das Personal, ihr Mann Stephan um Handel und Vertrieb, Miunskes Mann René um Forschung und Entwicklung. Familienbande. Rund um die Uhr. In so einem Umfeld bleibt der Gedanke fern, das Selbstgeschaffene einem Investor zu überlassen und sich einen ruhigeren Weg zu suchen. Und wenn man ein Unternehmen übernimmt, von dem nicht nur Wandelbarkeit erwartet wird, sondern das auch für Verlässlichkeit steht, dann kann die Erfolgsstrategie auch darin bestehen, nicht alles gleich anders machen zu wollen.
Deswegen führt Katrin Miunske die Firma eigentlich nur formal und die Familiengeschäftsführung sei auch kein Verbund von Despoten, sagt sie, weil hier viel Wert auf Augenhöhe und Arbeitsteilung gelegt werde. Das verdeutlicht sich schon, wenn man einmal an einem Arbeitstagsmittagessen in Großpostwitz teilnimmt. Geschirr zusammentragen, Tupperdosen auftuppern, den Salat bereiten - es ist ein Durcheinander in verteilten Rollen, bis schließlich alle an diesem absurd geformten und ästhetisch zweifelhaften Steintisch sitzen.
Und dann geht es schon wieder durcheinander, thematisch. Da wird eine Bewerbung genauso besprochen wie die Planung eines Grillabends oder die Erinnerung an den vergangenen gemeinsamen Urlaub. Katrin Miunske und ihr Mann René wohnen mit den Eltern zusammen auf einem Grundstück. Es vergehe kein einziger Sonntag, an dem sie dort nicht über die Firma sprächen, sagt sie. Ihre Schwester Jana wohnt mit ihrem Mann Stephan gar am Rande des Unternehmensgeländes, schon räumlich also untrennbar mit dem gemeinsamen Ganzen verbunden, das als Schwerpunkt, Bezugspunkt, Strukturkern aller beteiligten Leben steht: die Firma.
Innovation besteht nicht lustig bunten LED-Blinklichter in Bagger-Cockpits
Deren Ursprung findet sich in der erwähnten Garage. Dass Johannes Miunske beim Ausbau derselben vom Dach gefallen ist, bleibt die dramatischste Anekdote in der Gründergeschichte. Krankenhaus, aber: Glück gehabt. Ansonsten verlief alles nach Plan: Die Doppelgarage wurde aufgestockt und erweitert, sodass sie fast einem Wohngebäude glich. Aus dem Firmenkeimling wurde ein ordentlicher Betrieb und Systemlieferant, der es sich nachvollziehbarerweise nicht verkneifen konnte, seinen Produktkern mit dem erfolgreichsten Claim der jüngeren Werbegeschichte zu verbinden: "Yes, we CAN."
Das CAN der Miunskes soll auch für Können stehen, na klar, ganz offiziell aber steht es zunächst einmal für Controller Area Network. Miunske entwickelt und produziert Schalt- und Anzeigeelemente für alle möglichen Nutzfahrzeuge, die Firma ist zertifiziert und Mitglied im CiA, womit nicht der amerikanische Geheimdienst gemeint ist, sondern der maßgebliche Herstellerverband.
Innovation besteht nun nicht darin, dass ein Bagger lustig bunte LED-Blinklichter in seinem Cockpit verbaut bekommt, dafür braucht John Deere, der amerikanische Weltmarktführer für Landwirtschaftstechnik und Miunske-Kunde, keine Verbindung nach Großpostwitz. Innovation besteht eher darin, dass das hergestellte modulare System den Gesetzen der Zeit gehorcht, die sich in allen möglichen Bereichen von Leben und Wirtschaft zeigen: Es gibt eine standardisierte Grundstruktur, die für alle gleich und deswegen auch kostengünstig zu bekommen ist. Und es gibt alle möglichen Individualisierungsoptionen an der Oberfläche, damit jeder genau das Produkt erhält, das er haben möchte: Die Schalter können den Betrieb einer Blaulichtbommel genauso steuern wie die Arbeit einer Baggerschaufel. Auf dem Firmengelände hört man Sätze in bestem Messe-Deutsch: "Wenn der John Deere ein individuelles Problem hat, dann kommt der und fragt den Miunske." Oder: "Wir liefern alles, woran Sie ein Kabel befestigen können, und wenn Sie wollen, auch kabellos." Die Logik leuchtet auch ohne Werbung ein.
Innovation kann also ebenso darin bestehen, dass nicht alle Kraft in die Entwicklung neuer Produkte und neuer Märkte gesteckt wird, sondern in die noch intensivere Pflege der Bestandskunden oder Umbauten in der Produktion. Katrin Miunske will selbige noch flexibler aufstellen - man spürt aber auch ihren Respekt vor dem funktionierenden System und dem Risiko, das ein Eingriff in dieses bedeuten würde. Könnte ein Zukauf dem Unternehmen helfen? Wäre er eine zu große Unbekannte?
Solche Überlegungen wendet Katrin Miunske lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Aus ihrer Perspektive stellt sich die Chefrolle folgendermaßen dar: Da ist die Firmenhistorie mit stetig wachsenden Umsatz- und Mitarbeiterbalken. Da ist das Lebenswerk der Eltern, das sie nun zwar nicht allein, doch aber mindestens i. V. auf ihren Schultern trägt. Deswegen will jede Veränderung wohlüberlegt sein.
Um ein Unternehmen zu führen braucht es eine gewisse Härte
Sie erinnert die Erziehung als "streng, aber die Eltern hatten uns auch richtig lieb", und sie hätten sie und ihre Schwester von Anfang an als "wertige Bürger" gesehen. Nun ist sie die erste Bürgermeisterin im engen Viererbund. Was qualifiziert sie dazu? "Ich glaube, ich bin die Einzige, bei der die Härte da ist. Diese Härte haben die Männer nicht, und die hat auch meine Schwester nicht." So eine Härte ist wohl notwendig, um ein Unternehmen auf Kurs zu halten, zumal in einer Branche, in der es neben festen Händedrücken auch handfesten Chauvinismus gibt. Katrin Miunske will hingegen die Familienfreundlichkeit der Firma fördern - weil sie es möchte und weil es gar nicht anders geht, in einer Region, in der der Fachkräftemangel nicht nur angekommen ist, sondern sich längst eingerichtet hat.
Loyalität zum Unternehmen empfindet man als logischer Teil einer Dynastie freilich stärker denn als Angestellter. Und wenn Bekannte Katrin Miunske oder ihrer Schwester sagen: "Mensch, ihr habt's gut, ihr habt ja einfach so eine Firma geschenkt bekommen", dann stimmt das so nun auch wieder nicht. Auch zum Erben muss schließlich oft vorab ein Beitrag geleistet werden. Fehlstellen im Leben lassen sich benennen, eine andere Frage ist natürlich, ob man diese dann auch als Entbehrungen empfindet.
Katrin Miunske hat ihren Mann noch zu Schulzeiten kennengelernt, "und dann ist man ja auch schnell ruhig geworden". Miunske sagt, ihr Mann und sie hätten seitdem nicht allzu viele Freundschaften gepflegt. Sie kümmert sich um ihre zwei Kinder, wo es geht und noch nötig ist, "ein bisschen Blumen schneiden am Wochenende, tja, und dann ist ja auch schon wieder Montag". Ihr Mann und sie gehen jetzt aber wieder tanzen, und auch dies: in Familie. Der Sohn ist mit dabei, auch die Eltern und die Schwester. All die private Harmonie basiert dabei nicht zuletzt auf einem einvernehmlichen Konsens: "Die Priorität der Firma ist nie ein Streitpunkt bei uns in der Familie." Daran wird niemandem gegenüber Zweifel gelassen.
"Für ein paar Tausend CAN-Tastaturen stellt sich kein Chinese hin"
Und in Zukunft? Das Firmengelände von Miunske in Großpostwitz ist für potenzielle Erweiterungen schon vorbereitet, es gibt zumindest Überlegungen für eine Brücke über die B 96. Die Erwartungshaltung für weiteres Wachstum ist also schon ganz bei- und fußläufig formuliert. Katrin Miunske wird diese Erwartungen hauptsächlich zu erfüllen haben. Bisher lief es - eine kleine Delle in den Jahren der Finanzkrise ausgenommen - gut, das ist das Glück und das ist die Bürde für die neue Chefin.
Nutzfahrzeuge seien ein "dankbarer Markt", sagt Katrin Miunske. Der Firma kommt zum einen der Bedarf nach vergleichsweise geringen Stückzahlen zugute, "für ein paar Tausend CAN-Tastaturen stellt sich kein Chinese hin". So können Skalenerträge also auch mal eingefahren werden, nämlich vom unteren Ende. Das gilt zum anderen offenbar auch für das Firmenimage. Vor ein paar Jahren wollten sie bei Miunske ein Unternehmensvideo drehen, natürlich ein bisschen menschelnd, mit den Mitarbeitern. Das Projekt wurde eingefroren, als sich herausstellte, dass die Kunden Miunske längst viel größer wahrnehmen, als es die Realität hergibt. Wie man sich ein bisschen größer machen kann, als man ist, wie sich der eigene Schatten also schützend ein wenig verlängern lässt, das kann Katrin Miunske folglich vom eigenen Betrieb lernen. Denn es braucht gar keine großen Bühnen an den entlegenen Ecken der B 96, um Strahlkraft zu erzeugen.