Als sie in den Flieger nach Japan stiegen, überwog bei den EU-Vertretern noch die Zuversicht. Am Rande des G-7-Ministertreffens in Osaka, so hoffte man in Brüssel, könnte doch noch ein Durchbruch gelingen in den schwierigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Australien. Man flog also mit einer zehnköpfigen Delegation nach Fernost, mit dabei EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis und sein für Landwirtschaft zuständiger Kollege Janusz Wojciechowski. Statt der geplanten Gespräche auf Ministerebene gab es dann aber eine Abfuhr: Nach einer Unterredung mit Dombrovskis erklärte Australiens Handelsminister Don Farrell öffentlich: "Wir haben keine Fortschritte erzielt."
Damit sind die Verhandlungen zum zweiten Mal binnen weniger Monate geplatzt - und mit ihnen zumindest vorerst das ganze Abkommen. Die Aussicht auf eine Einigung noch vor der Europawahl im kommenden Jahr und den darauf folgenden Wahlen in Australien ist wohl dahin. "Wir sind sehr enttäuscht, um nicht zusagen: komplett schockiert", sagte ein EU-Beamter. Nach Gesprächen auf Arbeitsebene vergangene Woche sei man eigentlich überzeugt gewesen, jetzt eine gute Grundlage zu haben. "Wir hatten es tatsächlich geschafft, die strittigen Dinge auf wenige politisch relevante Punkte zu reduzieren." Den australischen Vertretern aber ging das offenbar nicht weit genug.
Im Zentrum steht - wie in allen Handelsabkommen der EU - die Landwirtschaft. Australien verlangt einen besseren Marktzugang vor allem für Rind- und Lammfleisch sowie für Zucker und Wein, einige seiner wichtigsten Agrarexporte. Das Land hat kein Verständnis dafür, in der EU keinen Käse namens Feta oder Parmigiano vertreiben und seinen Schaumwein nicht Prosecco nennen zu dürfen. Die geschützten geografischen Herkunftsbezeichnungen sind den EU-Staaten heilig, was in anderen Weltregionen oft schwierig zu erklären ist.
Abkommen in aller Welt sollen eigentlich die Abhängigkeit von China mildern
Australische Wirtschaftsverbände, Landwirte und die Mitte-rechts-Oppositionsparteien äußerten sich erleichtert über den Abbruch der Gespräche. Die australische Industrie- und Handelskammer erklärte, sie sei mit der Entscheidung der Regierung "einverstanden". Der Bauernverband teilte mit, das Freihandelsabkommen hätte die Landwirtschaft des Landes benachteiligt. Australiens Agrarminister bezeichnete den Markt der EU als "sehr protektionistisch" - und Brüssel habe sich nicht weit genug bewegt.
Kommissions-Vizepräsident Dombrovskis dagegen zeigte sich enttäuscht. "Wir hatten Australien einen wirtschaftlich bedeutsamen Zugang zum Agrarmarkt angeboten", sagte er. Nach Angaben aus EU-Kreisen soll die australische Delegation nun plötzlich zum Verhandlungsstand von Dezember 2022 zurückgekehrt sein. "Sie haben ihre Maximalforderungen als rote Linien formuliert", sagte ein Beamter. "Wenn es bei Handelsgesprächen um alles oder nichts geht, dann kommt am Ende in der Regel nichts heraus."
Für die strategischen Pläne der EU ist das ein schwerer Schlag. Um unabhängiger von einseitigen Importen aus dem Ausland zu werden, etwa aus China, setzt Europa unter anderem auf Handelsabkommen. Ende vergangener Woche hatten die EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen in Brüssel gefordert, in der Sache schneller voranzukommen. Man unterstreiche den Bedarf einer "Verringerung der wichtigsten kritischen Abhängigkeiten und Diversifizierung der Lieferketten durch strategische Partnerschaften", heißt es in der Gipfelerklärung.
Australien verfügt unter anderem über die weltweit zweitgrößten Kobalt- und Lithium-Vorkommen. Das geplante Handelsabkommen zielte auch darauf ab, die bisher überschaubaren Importe dieser Rohstoffe in die EU zu steigern. Ohne weitere Zugeständnisse im Agrarbereich wird daraus aber wohl nichts. "Die Verhandlungen werden fortgesetzt", sagte Farrell immerhin. Und auch in Brüssel heißt es: "Unsere Tür bleibt offen."