Online-Plattformen:Wie die EU Radkurieren und Uber-Fahrern helfen will

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Fahrdienst-Vermittler wie Uber oder Lieferdienste wie Deliveroo sind beliebt, doch Kritiker klagen über schlechte Arbeitsbedingungen. (Foto: Nisian Hughes/Getty Images)

Ein Gesetzentwurf würde viele Scheinselbständige zu Angestellten machen, mit allen Rechten. Eine Studie zeigt nun, wie sehr Online-Plattformen betroffen wären.

Von Björn Finke, Brüssel

Es geht um Millionen Jobs, um faire Arbeitsbedingungen und darum, ob Verbraucher in Europa künftig für lieb gewonnene Dienstleistungen mehr zahlen müssen: Die EU-Kommission präsentierte im Dezember einen brisanten Gesetzentwurf gegen Scheinselbständigkeit bei populären Online-Servicevermittlern - wie dem Lieferdienst Deliveroo oder der Fahrdienst-App Uber. Die meisten dieser Internet-Plattformen behandeln ihre Beschäftigten wie Selbständige. Doch dank der EU-Richtlinie könnten diese Menschen bald als Angestellte gelten und von Mindestlöhnen, Urlaubsanspruch und Schutz durch Sozialversicherungen profitieren.

Der Rechtsakt gibt fünf Kriterien vor, die bestimmen, ob eine Internet-Plattform wie Deliveroo so viel Kontrolle über die vermeintlich Selbständigen ausübt, dass diese als Angestellte angesehen werden müssen. Der europäische Gewerkschaftsdachverband Etuc hat nun untersucht, wie sich die Regeln auf fünf große Anbieter auswirken würden. Die Studie wird am Dienstag veröffentlicht und liegt der Süddeutschen Zeitung vorab vor. Die Autoren kommen zum Schluss, dass das Gesetz tatsächlich in allen Fällen die Konzerne zwingen würde, die Beschäftigten als Angestellte einzugruppieren.

Ludovic Voet, Mitglied der Geschäftsführung von Etuc, sagt, die Konzerne würden sicher versuchen, bei den Kriterien "zu schummeln und ihr auf Ausbeutung beruhendes Geschäftsmodell" beizubehalten: "Aber wenn etwas wie eine Ente aussieht, wie eine Ente schwimmt und wie eine Ente quakt, dann ist es wahrscheinlich eine Ente - und das gleiche gilt für Arbeitgeber."

Nach Berechnungen der Kommission sind 5,5 Millionen Menschen falsch eingruppiert

Konkret hat die Gewerkschaft neben Uber und Deliveroo den Essens-Lieferdienst Glovo, den Pflegedienst-Vermittler Cuideo sowie Amazon Mechanical Turk analysiert, wo Unternehmen zum Beispiel kleinere Recherchejobs buchen können. Nach Ansicht der Etuc-Fachleute erfüllen die Plattformen vier von fünf oder sogar alle fünf Kriterien aus dem Gesetzentwurf. Dabei müssen die Beschäftigten schon als Angestellte behandelt werden, wenn bloß zwei Kriterien zutreffen. Bei diesen fünf Merkmalen geht es darum, ob die Firmen de facto die Vergütung festsetzen, Kleidungsvorschriften machen, Tätigkeiten für andere Plattformen verbieten, die Wahl der Arbeitszeit einschränken und die Leistung kontrollieren. Die Konzerne können der Einstufung widersprechen, doch die Beweislast liegt bei ihnen.

Nach Schätzungen der EU-Kommission sind in der Europäischen Union gut 500 solcher Internet-Plattformen aktiv. Mehr als 90 Prozent der Anbieter behandeln die Beschäftigten als Selbständige. Insgesamt sollen diese Plattformen in der EU die Dienste von 28 Millionen Menschen offerieren, von denen nach Berechnungen der Kommission aber 5,5 Millionen falsch eingruppiert sind. Bis zu 4,1 Millionen Scheinselbständige könnten dank des Gesetzentwurfs künftig als Angestellte gelten, verspricht die Brüsseler Behörde. Mit dem Richtlinienentwurf befassen sich allerdings erst noch EU-Parlament und Ministerrat, die Gesetzgebungskammer der Mitgliedstaaten.

Müssten die Plattformen die Fahrradkuriere, Autochauffeure und Putzhilfen anstellen, würde das die Konzerne mit bis zu 4,5 Milliarden Euro jährlich belasten, prognostiziert die Kommission. Zugleich sollen die Sozialversicherungen der Mitgliedstaaten zwischen 1,6 und vier Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen verbuchen.

"Wir killen das Geschäftsmodell nicht", sagt der Kommissar

Die Firmen und ihre Lobbygruppen warnen jedoch vor höheren Preisen, schlechterem Service und Stellenabbau. So droht Move EU, der Verband von Uber und seinen Rivalen, dass die Anbieter ihre Flotte wegen des Gesetzes halbieren müssten. Und Delivery Platforms Europe, der Verband der Lieferdienste, kritisiert, dass die meisten Kurierfahrer ihre Arbeitszeit frei bestimmen wollten. Gälten die Fahrer künftig als Angestellte, müssten die Plattformen ihr Geschäftsmodell ändern und fixe Zeiten vorgeben. Zwischen 100 000 und 250 000 Beschäftigte in der EU würden den Job dann quittieren.

EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit räumt zumindest ein, dass die Preise ein wenig steigen könnten, "aber nicht stark". Lieferplattformen könnten höhere Kosten ja auch an die Restaurants weiterreichen oder sich mit weniger Gewinn zufriedengeben. In jedem Fall sei es möglich, solche Lieferdienste mit Angestellten statt mit Selbständigen zu betreiben, das zeigten "sehr erfolgreiche Beispiele" wie Wolt oder Lieferando, versichert der Luxemburger Sozialdemokrat: "Wir killen das Geschäftsmodell nicht."

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