Digitale Wertgegenstände:NFTs - die große Kapitalismus-Parodie

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Die erste SMS wurde 2021 als NFT versteigert. (Foto: AFP)

Sogenannte "Non Fungible Token" sollen den digitalen Kunstmarkt revolutionieren. Aber von der neuen Technik profitieren vor allem Insider und Betrüger.

Von Jannis Brühl

Hinweis: Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Contra-Stück unserer Diskussion zu sogenannten Non Fungible Token (NFT). Den Pro-Kommentar finden Sie am Ende des Textes.

Sollten im Frühjahr wieder Partys stattfinden können, sollte man sich für den Small Talk mit drei Buchstaben wappnen: NFT.

Non Fungible Tokens - nicht austauschbare virtuelle Münzen - sind der digitale Hype, der seine nahen Verwandten, die Kryptowährungen, aus dem medialen Aufmerksamkeitszyklus verdrängt hat. 2021 entstand ein NFT-Milliardenmarkt aus dem Nichts. Doch bestenfalls sind NFTs eine Fata Morgana, im schlimmsten Fall ein Pyramidensystem.

Ein NFT soll ein digitaler Nachweis von Einzigartigkeit sein, ein Originalitätszertifikat. Denn das Digitale hat es an sich, dass praktisch alle Daten leicht ohne Qualitätsverlust kopiert werden können. Wenn alles unendlich kopierbar ist, kommt aber schnell die Eigentumsfrage auf. Musiklabel und Filmstudios kämpften sich zwei Jahrzehnte lang an Menschen ab, die Lieder und Filme herunterluden und nicht einsahen, dass sie "stehlen". NFTs sollen solche Missverständnisse ausschließen: Eigentum im Netz soll eindeutig zugeordnet werden können.

Möglich machen soll das Blockchain-Technologie: Eine Blockchain ist unveränderbar, ein - inoffizielles - digitales Grundbuch, in ihr liegt der Token, unverrückbar und nicht zu löschen. Er verweist auf eine andere Datei im Netz - etwa ein digitales Bild. Die Idee hat etwas: Künstler, die ihre Werke rein digital am Computer erschaffen, kommen so zu Geld, wenn sie NFTs ihrer Bilder oder Animationen verkaufen. Sie können ja keine Drucke im Kunsthandel oder auf Ausstellungen verkaufen. Prominente wie Paris Hilton oder Rapper Snoop Dogg bewerben die Technik, ebenso wie ein Heer an NFT-Gläubigen im Netz.

Man kann NFTs als Parodie des Social-Media-Kapitalismus sehen: Irgendjemand sagt, dass dieser Quadratmeter Luft wertvoll ist, und lässt den Preis durch Mini-, Medi- und Mega-Influencer hochtreiben. Irgendein Dummer - oder jemand mit ebenso viel Humor wie Geld - kauft das Ganze dann. Und alle Welt denkt, hier würden Werte geschaffen. Oder als Parodie auf den Kunstmarkt, dem schon länger der Vorwurf anlastet, ein Überbietungswettbewerb der Superreichen zu sein.

Ein paar nette Anwendungen gibt es

Doch die Sache ist ernster als das, es geht um eine Ausdehnung der Finanzialisierung auf digitale "Gegenstände", nachdem in der physischen Welt schon alles zur Ware gemacht werden kann. Selbst Bildpixel sollen nun Spekulationsobjekte sein.

Es gibt sogar eine Handvoll netter Anwendungen wie digitale Sammelkarten von Basketballspielern. Und Digitalkünstlern ist zu wünschen, dass sie Einnahmequellen finden. Doch dafür sind NFTs ein wackliges Konzept. Denn ein NFT ist wenig mehr als ein Link auf ein Bild im Netz. Jeder kann mit wenigen Klicks und ein bisschen Kryptowährung einen NFT aus einem Link auf die Online-Version dieses Artikels erstellen.

Die meisten NFT-Fans werden aber ohnehin nicht von der vermeintlich cleveren Technik angezogen, sondern vom Versprechen, schnell reich zu werden, indem sie ein Bild als NFT versteigern. Leider ist das Ökosystem nicht nur unglaublich stromintensiv, weil es Kryptowährungen nutzt, sondern auch verseucht vom Betrug. Ungezählt sind allein die sogenannten rug pulls des vergangenen Jahres - der sprichwörtliche Teppich wird Investoren unter den Füßen weggezogen: Unbekannte vergeben Tokens auf billig hergestellte Bilder, verkaufen sie an Leichtgläubige und verschwinden. Vergangenes Jahr ergab eine Analyse, dass von allen Verkäufen vor allem ein kleiner Kreis von Insidern profitierte, die früh solche Tokens kaufen durften.

Je unklarer der Nutzen, desto lauter die Revolutionsrhetorik: Freiheit, Dezentralisierung und Befreiung vom Joch jeglicher Institutionen. Doch die Auktionsseiten sind schon die neuen Plattformen, die nach Krypto-Logik eigentlich gar nicht existieren dürften. Wer zu teuer kauft, muss sehen, wie er die NFTs noch auf Zweitmärkten weitervertickt, wie in Pyramidensystemen. So rekreiert die angebliche Revolution nur die schlechtesten Seiten der Finanz- und Kunstmärkte: Insiderhandel, Pump-and-Dump-Tricks, Fantasiepreise, Blasenbildung - das zeigte der dramatische NFT-Preissturz vergangenen Sommer.

Die klugen Investitionen machen wieder einmal die Profis. So investieren die Investmentfirmen Sequoia und KKR nicht in NFTs selbst, sondern über Zukäufe in Auktions-und Spiele-Plattformen für NFTs. So verdienen sie am Hype, ohne am Ende auf einem Haufen wertloser Links zu sitzen.

Vielleicht lässt sich einfach keine Einmaligkeit im Internet erschaffen - und das ist auch gut so. Schließlich sind die Stärken des Netzes: Kopieren, Teilen, Kooperieren. Und nicht das Streben nach noch mehr Dingen, die man besitzen kann.

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