NFT:Digitale Wertgegenstände schaffen ein neues Bürgertum im Netz

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Die Ballettänzerin Natalia Osipova bot das erste Ballet-NFT der Welt an. (Foto: AFP)

Die Kritik an digital verbrieften Kunstwerken ist laut, aber sogenannte "Non Fungible Token" ermöglichen echten Privatbesitz im Internet. Daraus könnte ein Gegengewicht zu den Tech-Konzernen entstehen.

Kommentar von Philipp Bovermann

Hinweis: Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Pro-Stück unserer Diskussion zu sogenannten Non Fungible Token (NFT). Den Contra-Kommentar finden Sie am Ende des Textes.

Investoren zahlen Millionen für Computerbildchen - die sich eigentlich jeder einfach und gratis herunterladen kann. Mit solchen Vorwürfen machen sich Kritiker über die neuen Krypto-Spekulationsblasen rund um sogenannte NFTs lustig. Dabei könnten diese "Non Fungible Token" den Weg in ein freieres Internet ebnen.

Um Vorbehalte auszuräumen, zunächst die technischen Grundlagen: Tokens sind digitale Wertgegenstände. "Fungible" (auf Deutsch: austauschbar) Tokens, zu denen etwa Bitcoin gehören, kann man sich wie Münzen vorstellen. Nicht das runde Metall ist für sich genommen werthaltig, sondern die Währung, zu der die Münze gehört. Wenn sie verschmutzt oder in den Weltraum geschossen wird, ändert das nichts an dem ihr eingeprägten Wert. Jede Münze lässt sich also durch andere ersetzen. "Non Fungible Tokens" hingegen sind einzigartige digitale Gegenstände, also Originale.

Das Internet ist derzeit wie eine multidimensionale Fußgängerzone

Der simpelste Anwendungsfall - auf den sich die Kritik stürzt - besteht darin, den monetären Aspekt von Originalität auszuschlachten: Dinge, die es nur ein einziges Mal gibt, können wegen ihrer Unersetzlichkeit viel wert sein, etwa Kunstwerke. Der Markt mit einzigartigen Kunst-NFTs boomt. Und das riecht nach Spekulationsblase. Doch NFTs können auch konkreten Anwendungen dienen: Am Mittwoch wurde ein digitales Kunstwerk, das den Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange verarbeitet, für 50 Millionen Euro versteigert. Das Geld ist für die Anwälte von Assange gedacht, der in Großbritannien gegen seine Auslieferung an die USA kämpft.

Im Alltag viel häufiger anzutreffen ist der emotionale, persönliche Wert von Dingen, die es nur ein Mal gibt, wie den im Urlaub gekauften Pullover. Dinge, die mit der eigenen Identität verschmelzen. Diese Art von Wert wird in der weiteren Entwicklung des Internets wichtig werden.

Gegenwärtig gehört einem im Netz nämlich nichts. An den selbstgemachten Fotos, die man bei Instagram oder Facebook hochlädt, behält man zwar die Urheberrechte. Das eigene Profil als Ganzes aber gehört dem Konzern Meta. Das eigene Ich im Internet ist ein Produkt, das an die Werbeindustrie verkauft wird.

Wie Feudalherren herrschen die Tech-Unternehmen heute über ihre Plattformen. Alles, was dort passiert, gehört letztlich ihnen, ist nur an die Nutzer verliehen, auf dass diese ihre Profile bewirtschaften. Rechte, Regeln, Währungen anderer Herren von jenseits ihrer Grenzen akzeptieren sie nicht. Das wurde in den vergangenen Jahren zu Recht scharf kritisiert. Die Fantasie für Lösungsvorschläge erschöpfte sich aber meist darin, nach Wettbewerbshütern und Politikern zu rufen.

NFTs können nun eine viel größere Gefahr für die Geschäftsmodelle der Social-Media-Unternehmen sein, weil sie das zugrunde liegende Problem elegant lösen. Bislang steht zentral auf den Konzern-Servern festgeschrieben, wem welche Inhalte gehören und wen sie darstellen. Die Unternehmen tauschen diese Informationen untereinander nicht. Es ist wie in einer Fußgängerzone: In jedem Laden, den man betritt, sieht man anders aus, hat man andere Klamotten an, andere Schlüssel in der Tasche.

Im "Metaversum" werden die Menschen persönlichen Besitz haben wollen

NFTs könnten diese Kleinstaaterei beenden. Vereinfacht gesagt, dienen sie dazu, digitalen Objekten einzuschreiben, wem diese gehören. NFTs erzeugen Unverwechselbarkeit im Internet und damit Identität. Sie ermöglichen persönlichen Besitz, unabhängig von den Feudalherren, deren nur passive "Nutzer" wir heute allesamt sind. Durch NFTs und den Online-Besitz, den sie ermöglichen, könnte sich ein digitales Bürgertum etablieren.

So richtig werden diese Vorzüge wohl erst spürbar, wenn das Internet sich mittels Datenbrillen in einen dreidimensionalen Raum, ein "Metaversum", verwandelt hat. Wenn es so weit ist, werden die Menschen dort persönlichen digitalen Besitz haben wollen, und es wird Unternehmen und Designer geben, die diese Gegenstände für den digitalen Alltag verkaufen werden. Schon heute geben Computerspieler viel Geld für virtuelle Ausrüstungsgegenstände und Kleidung aus und halten damit eine ganze Industrie am Laufen.

Dann wird es beim Thema NFTs nicht mehr um Spekulationsblasen rund um gehypte Computerbildchen gehen. Sondern konkret um den Alltag. Wenn die Menschen buchstäblich in das Internet eintauchen, dort aber zu Recht das Gefühl bekommen, in ihrer gesamten Existenz von allmächtigen Unternehmen abhängig zu sein, werden sie diesen Digitalfeudalismus nicht mehr akzeptieren. Sie werden an ihrem Eigentum bauen und ihre Türen mit ihrem eigenen Schlüssel abschließen wollen. Dafür brauchen sie NFTs.

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