Als Börsenmanager Serkan Batir am Montag vor die Kamera trat, um zu Privatanlegern zu sprechen, hatte er sich die ganze Sache vermutlich auch anders vorgestellt. Batir redete über den deutschen Leitindex Dax, dessen Geschicke er im Börsenkonzern leitet. Im Hintergrund hatte er eigens ein kleines Rennauto in Miniaturform postiert, wohlgemerkt rückwärts. Damit traf der Börsenmanager ziemlich genau die Lage am Parkett: Die Börse legt den Rückwärtsgang ein, und zwar im Eiltempo.
Zuletzt hatte der Dax fünf Wochen hintereinander Verlust geschrieben, Ende der Woche sackte der Index dann gar unter die Marke von 15 000 Punkten. Auch am Montag war der aufkeimende Optimismus am Parkett bereits nach wenigen Handelsminuten vorbei, und das Barometer mit den 40 wichtigsten deutschen Titeln sackte weiter ab, zwischenzeitlich notierte der Dax bloß noch bei 14 630 Punkten. Der Leitindex ist damit so kräftig gefallen, dass Experten inzwischen offiziell von einer Korrektur sprechen. An den US-Börsen zeigen Stimmungsbarometer gar "extreme Angst". Doch ausgerechnet darin erkennen einige Experten Chancen.
Zu Beginn der aktuellen Woche sorgten sich die Anleger zunächst vor einer Eskalation in Nahost: Bislang wirkt sich der Krieg in Israel faktisch zwar kaum auf die großen Börsenunternehmen aus. Sollte die Lage im Land jedoch eskalieren, könnte sich das in Sekundenschnelle ändern. "Das ist bei der Prognose der Marktrichtung ein unkalkulierbares Element", sagt Aktienstratege Martin Roth von der Commerzbank. Dass das israelische Militär am Wochenende versehentlich Ägypten beschossen hatte und irakische Milizen US-Streitkräfte angriffen, sorgte nicht für Vertrauen.
Besonders genau beobachten Börsenexperten, ob sich der Konflikt auf die großen Rohölstaaten ausweitet. Sollte Iran die Meerenge von Hormus blockieren, wäre ein Drittel der täglichen weltweiten Öllieferungen betroffen. Würden mehrere arabische Länder ihre Ölexporte als Antwort auf eine mögliche Bodenoffensive Israels kürzen, träfe das auf einen sowieso schon angespannten Ölmarkt. "Sollten die Staaten buchstäblich Öl ins Feuer gießen, würden sich die Folgen an den Börsen sofort zeigen", sagt Aktienstratege Uwe Streich von der Landesbank Baden-Württemberg. Der Krieg in Israel dämpft aktuell also die Stimmung an den Börsen und birgt auf Sicht ein Risikopotenzial.
Viel entscheidender für den Kursrutsch an der Börse sind allerdings zwei amerikanische Frauennamen. Seit Jahren ventilierten Anlegern gern das Kürzel "Tina", wenn es an den Börsen gut lief: There is no alternative, dichteten die Börsenexperten. Auf Deutsch: Zu Aktien gab es am Kapitalmarkt keine Alternative, Anleihen brachten schließlich keine Zinsen.
Doch inzwischen ist aus "Tina" längst "Tara" geworden: There is a reasonable alternative, heißt es nun. Weil die Renditen für vergleichsweise sichere zehnjährige US-Staatsanleihen am Montag erstmals seit 2007 auf mehr als fünf Prozent stiegen, gibt es nun eine rentable Alternative zu Aktien. Auch weil Anleger bei neuen Anleihen derzeit hohe Zinsen verlangen. "Bei fünf Prozent Rendite für Anleihen überlegen sich manche Anleger dann sehr gut, ob sie das Risiko von Aktien überhaupt noch tragen wollen", sagt Dax-Kenner Uwe Streich.
Es gibt wieder Alternativen zu Aktien: Anleihen
In dieser Problemlage zwischen Zinsen und globaler Geopolitik könnte diese Woche gar noch ein weiterer Belastungsfaktor für die weltweiten Börsen hinzukommen: Microsoft, die Google-Mutter Alphabet, der Facebook-Konzern Meta und Amazon legen ihre Zahlen vor. Da die sieben größten Technologieaktien in den USA bereits mehr als 25 Prozent des Leitindex S&P 500 ausmachen, sind sie inzwischen zu einem relevanten Faktor für die globale Börsenstimmung geworden. "Egal ob sie positive oder negative Nachrichten zu vermelden haben", sagt Aktienexperte Streich, "das schlägt komplett auf den gesamten Markt durch."
Mit den Techkonzernen und der Lage in Israel überschatten also gleich zwei Faktoren die Situation an den Börsen, die sich durchaus als Münzwurf beschreiben lassen. Außerdem tagt in dieser Woche die Europäische Zentralbank, nächste Woche die US-Notenbank Fed. "Bis dahin bleibt der Aktienmarkt angeschlagen und abrutschgefährdet", sagt Jürgen Molnar vom Brokerhaus Robomarkets.
Manche sehen gerade in diesem Pessimismus allerdings den Grund für steigende Kurse: Wenn die Stimmung extrem schlecht sei, könne es schließlich nur besser werden. Noch einfacher können langfristig orientierte Privatanleger das Auf und Ab der Börsen jedoch auch schlicht ignorieren, denn auf Sicht von mehr als 15 Jahren haben die Weltbörsen ihre alten Höchststände historisch stets wieder übertroffen. Irgendwann wird also auch das Miniatur-Rennauto im Zimmer des Dax-Managers wieder vorwärts fahren.