Streit um Bank-Türme:Bei der Commerzbank herrscht Theater

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Als der Gallileo Turm 1999 gebaut wurde, verhandelte die Stadt mit der damaligen Bauherrin einen Mietvertrag für das Theater. (Foto: Jan Huebner/imago images)

Die Commerzbank vermietet in einem ihrer Türme Räume an ein Theater. Nun hat sie den Turm verkauft. Und das Theater?

Von Gianna Niewel und Meike Schreiber, Frankfurt

Von außen sieht alles aus wie immer. Über der Eingangstür werben Plakate für die Shows "Sister Act" und "Something Rotten", ein Spielplan voller Unterhaltung. Da stehen am Samstagabend Menschen mit Weißweingläsern und warten darauf, dass es los geht, dass die Show dann auch beginnt, so wie sie immer begonnen hat. Aber der Eindruck vor dem "English Theatre" täuscht.

Seit Wochen spitzt sich in Frankfurt ein Streit um das Theater zu: Darf es hier im Sockel des Hochhauses "Gallileo" bleiben, im Zentrum der Stadt? Oder muss es umziehen, weil die Commerzbank, der der Turm lange gehört hat, eben diesen Turm verkauft hat? Anfang Juni hat die Bank eine Räumungsklage beim Landgericht Frankfurt eingereicht, man befinde sich in einem "vertraglosen Verhältnis". Also bitte die Bühnenbilder abbauen, die Requisiten zusammenpacken, all the best.

Aber so einfach ist es nicht.

Im Kern geht es bei dem Streit um Details eines Vertrages aus dem Jahr 1999 und um verschiedene Rechtsauffassungen. Aber schon längst geht es auch darum, welchen Wert die Kunst in der Stadt hat. Das English Theatre ist das größte englischsprachige Theater Kontinentaleuropas. Wenn es ausziehen müsste, wohin gingen dann all die Brexit-Banker, die von der Themse an den Main gezogen sind, all die Jugendlichen im Englischunterricht? Bringen Bau und Nutzung der Hochhäuser nicht auch Auflagen für diejenigen mit sich, die darin ihr Geld verdienen? Und damit zur Commerzbank, um deren Ruf es bei diesem Streit ebenfalls geht. Nach Jahren des Siechtums hat die teilstaatliche Bank gerade mühsam ihr Image aufpoliert - als pragmatische Macherbank, keinesfalls möchte man als Heimstätte juristischer Patzer und Winkelzüge dastehen.

Der Mietvertrag läuft aus, der Turm soll renoviert werden - also muss das Theater raus

Der Gallileo Turm liegt zwischen dem Bahnhofsviertel und dem Bankenviertel, salopp gesagt, zwischen Bordellen und Tiefgaragenausfahrten. Als der Turm 1999 gebaut wurde, verhandelte die Stadt mit der damaligen Bauherrin - der Dresdner Bank - einen Mietvertrag für das Theater. Der Plan: Das Theater sollte die Gegend beleben, es sollte ein Ort entstehen, an dem sich Menschen treffen und sich über mehr unterhalten als über Umsatzzahlen. So sagt es auch der damalige Planungsdezernent der Stadt. Die Dresdner Bank fusionierte dann mit der Commerzbank, und die verkaufte den Turm 2013 an einen Investor aus Südkorea, der ihn 2018 wiederum an einen Fonds namens Capitaland aus Singapur veräußerte.

Womit das Drama für das Theater seinen Lauf nahm. Denn weil jetzt der Mietvertrag der Commerzbank ausläuft und Capitaland den Turm renovieren möchte, soll auch der Untermieter, das Theater, ausziehen. Andernfalls, so fürchtet die Commerzbank, sehe sie sich mit "erheblichen finanziellen Forderungen des Gebäudeeigentümers konfrontiert". Aus der Vereinbarung von 1999 leite sich keine Pflicht der Commerzbank oder der Gebäudeeigentümerin ab, dem Theater die Spielstätte dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung sei 2010 ausgelaufen. Danach habe man oder hätten künftige Eigentümer das Recht gehabt, eine weitere öffentliche Drittverwendung der Theaterflächen "zu einer marktüblichen Vergütung herbeizuführen". Man habe frühzeitig gewarnt und bedauere es sehr, dass trotz acht Jahren Vorlaufzeit bislang keine Lösung gefunden wurde. Ohnehin hätten sich die von der Bank getragenen Kosten für die Flächen des Theaters über die Jahre bereits auf fast zehn Millionen Euro "kumuliert". Tatsächlich durfte das Theater die letzten Jahre mietfrei wohnen.

Dem Theater aber geht es nach eigenen Aussagen nicht um die Miete und auch nicht um einen möglichen Schadenersatz. "Wir wollen keine Millionen, wir wollen die Spielstätte", sagt Intendant Daniel Nicolai, und dass er die Verantwortung hierfür bei der Commerzbank sehe.

Daniel Nicolai, Intendant, steht auf der Bühne des English Theatre Frankfurt. (Foto: Arne Dedert/picture alliance/dpa)

Während sich also überall Juristinnen und Juristen über den Vertrag beugen und prüfen, inwieweit eine dauerhafte Nutzung für das Theater festgeschrieben ist, heißt es beim Eigentümer Capitaland, als "verantwortungsbewusster" Immobilien-Investmentmanager wisse man den Wert kulturell reicher und vielfältiger Städte mit lebendigen, öffentlichen Räumen zu schätzen. Einerseits. Andererseits sei man als börsennotiertes Unternehmen eben auch "Aktionären und Stakeholdern" gegenüber verpflichtet. Man sei daher offen für alle kommerziellen Mietangebote und begrüße potenzielle Mieter, "die Teil des wiederbelebten Gallileo werden möchten". Und ja, man prüfe Optionen für das Theater.

Nur: Klingt das, als habe das Theater irgendeinen Vorrang?

Im Kulturdezernat der Stadt bekommen sie natürlich mit, dass der Streit längst über die Stadtgrenzen von Frankfurt hinausgegangen ist. In Wiesbaden hat sich Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) offenbar an den Investor gewandt. In Berlin hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) darum gebeten, Capitaland möge bitte an den Verhandlungstisch zurückkehren. In der Financial Times liefen tagelang die Leserbriefspalten über, Frankfurt könne manchmal "ein grauer Ort" sein, schreibt einer, und fragt, welche jungen Banker denn noch mit ihren Familien in die Stadt kämen - und nicht gleich nach London gingen - wenn ausgerechnet das einzige englischsprachige Theater schließen müsse.

Im Vertrag stehe, das Theater sei "dauerhaft berechtigt", die Räume zu nutzen

Bei der Stadt verweisen gerade alle, mit denen man spricht, darauf, dass sie besagten Vertrag anders lesen würden. Ihre Lesart: Die Vereinbarung sei nach wie vor gültig, das Theater "dauerhaft berechtigt", die Räume zu nutzen. Dieser dauerhafte Anspruch, sagen Insider, hätte beim Verkauf auch auf den Nachfolgebesitzer übertragen werden müssen. Offenbar habe es die Bank unterlassen, das damals in den Kaufvertrag zu schreiben, ob aus Absicht oder Versehen. Dass die Bank das nun rechtlich prüfen lässt, nehme man zur Kenntnis. Und an Capitaland gewandt: Man hoffe, dass das Unternehmen erkennt, "dass es als Eigentümer auch im eigenen Interesse eine Verantwortung für die lokalen Stakeholder hat".

Darüber hinaus, so heißt es, habe die Stadt Capitaland auch ein Gesprächsangebot gemacht, um deutlich zu machen, dass sie das Theater im Turm haben wolle, und dass sie auch bereit sei, das zu unterstützen, etwa indem sie sich selbst am Mietvertrag beteiligt. Eine gleichwertige Spielstätte gebe es in Frankfurt derzeit nicht.

Im Theater dauerte das Stück "Now and Then" am Samstag gut zwei Stunden und als es vorbei war, mussten die Schauspielerinnen und Schauspieler gleich mehrmals nach vorne kommen, so lange klatschte der Saal. Vielleicht klatschte er noch mal länger, weil vielen klar war, dass es nicht nur um dieses Stück, um diesen Abend ging. Der Intendant jedenfalls bleibt optimistisch, der Plan für die neue Spielzeit steht, fünf Neuproduktionen, viel Unterhaltung. Drama haben sie genug.

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