Klimapolitik:Europa bittet zur CO₂-Kasse

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Kohleabbau im indischen Bundesstaat Jharkhand: Das Land setzt auf Kohle, um sich mit Energie zu versorgen - dementsprechend viel CO₂ stößt die dortige Produktion aus. (Foto: Supratim Bhattacharjee/imago)

Die EU-Kommission will, dass für klimaschädliche Importe künftig ein Preis fällig wird. Wer Stahl, Zement, Aluminium oder Dünger importieren will, muss künftig für den CO₂-Ausstoß zahlen. Das Ausland ist skeptisch.

Von Michael Bauchmüller und Matthias Kolb, Berlin/Brüssel

Vorreiter können es ganz schön schwer haben. Im Klimaschutz etwa: Da können schöne Klimaziele auch dazu führen, dass Unternehmen abwandern oder Produkte am Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Die Sorge quält die Europäer und ihre Industrie schon seit Jahren. Doch nun arbeitet die Kommission an einer neuen Lösung: einem Mechanismus, der importierten Gütern ihren CO₂-Fußabdruck anlasten soll, in Euro und Cent.

Ein Entwurf für eine entsprechende Verordnung kursiert mittlerweile in Brüssel, er ist Teil des großen Klimapakets der EU-Kommission; Mitte Juli soll es offiziell vorgelegt werden. "Fit for 55" hat der zuständige Exekutivvizepräsident Frans Timmermans dieses Bündel aus zwölf Gesetzesvorschlägen genannt. Damit soll es gelingen, den Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ um 55 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Dies wiederum ist ein wichtiger Zwischenschritt für das andere Ziel: Europa soll bis 2050 klimaneutral werden. Nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, die wollen die Europäer vor lauter Klimaschutz nicht verlieren.

Der Entwurf für die passende Antwort ist 24 Seiten lang. Er beschreibt ein Verfahren, das sehr an eine Steuererklärung erinnert. Wer Güter in die EU importiert, soll deren CO₂-Fußabdruck erheben - und eine Erklärung darüber bei einer neuen Behörde einreichen. Für jede Tonne Kohlendioxid, die der Importeur mit seinen Produkten in die EU eingeführt hat, muss er ein Klima-Zertifikat erwerben. Dessen Preis wiederum bemisst sich an dem, was im Schnitt die Zertifikate im europäischen Emissionshandel kosten.

Die EU ist auch bei dem Instrument Vorreiter, international gibt es dafür noch kein Beispiel. Von 2026 an soll dieser "Grenzausgleich" fällig werden, zunächst aber nur für Unternehmen, die Zement, Düngemittel oder Strom einführen wollen, oder Produkte aus Eisen, Stahl und Aluminium. Gelten soll der Mechanismus für alle Drittstaaten bis auf Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz. Laut Entwurf kann die EU-Kommission sowohl die Liste der Güter anpassen als auch Länder von der Steuer entbinden - etwa, sobald dort ein mit der EU vergleichbares System zum Handel mit Emissionszertifikaten entsteht. Hat ein Importeur daheim schon für seinen CO₂-Ausstoß bezahlt, soll das verrechnet werden.

Ökonomen halten "Klimaclub" für bessere Variante

Es ist ein komplexes Verfahren, das nicht nur unter Ökonomen auf Widerspruch stößt. "Die Formeln und Verfahren zur Bestimmung des CO₂-Gehalts ausländischer Güter sind komplex", warnt etwa Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Dies könne zu Rechtsunsicherheit und Betrug führen. Obendrein umfasse das neue Instrument nur rund ein Prozent des globalen Treibhausgas-Ausstoßes. Zwar sei der Vorschlag vermutlich konform mit den Regeln der Welthandelsorganisation, sagt Felbermayr. Dennoch riskiere die EU, Handelspartner zu verprellen. "Ein solcher CO₂-Grenzausgleich würde viele Probleme und Risiken schaffen, aber kaum etwas zum Klimaschutz beitragen", warnt der Ökonom.

Erst im Februar hatte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums ein Gutachten zum Grenzausgleich vorgelegt, Felbermayr hatte die Federführung. Die Ökonomen empfahlen seinerzeit die Gründung eines "Klimaclubs", dessen Mitgliedstaaten sich auf einen gemeinsamen Mindestpreis für CO₂ verständigen. Auch so ließen sich die Wettbewerbsbedingungen zwischen Handelspartnern angleichen. Wer diesem Klub nicht beitritt, dem drohe dann ein Grenzausgleich.

Gleiche Regeln freilich bedeuten auch, dass die europäische Industrie mehr zahlen muss. Denn bisher bekommen sie Zertifikate im EU-Emissionshandel kostenlos - um keine Nachteile im internationalen Wettbewerb zu erleiden. Müssten dagegen ihre Konkurrenten einen Ausgleich für Importe zahlen, wäre auch Europas Industrie dran. "Die große Frage wird sein, wie man diesen Übergang organisiert", sagt Jennifer Tollmann, die sich beim Thinktank E3G mit internationaler Klimapolitik befasst. Obendrein regele der EU-Entwurf noch nicht, was eigentlich mit den Einnahmen passiert. "Ein Teil der Einnahmen sollte auch Drittstaaten dabei helfen, Europas Standards zu erreichen", sagt Tollmann.

Frauen sammeln Kohlestücke im indischen Bundesstaat Assam. (Foto: Anupam Nath/AP)

Im Ausland sind die Vorbehalte groß. Peking und Washington verfolgen den Brüsseler Plan mit Argwohn. Und als diese Woche nach langer Unterbrechung die Klimadiplomaten aus aller Welt zu virtuellen Verhandlungen zusammentraten, da meldete sich zu dem Thema auch die Entwicklungsländergruppe G77 zu Wort, der auch China angehört. Einseitige Handelsbeschränkungen schließe die Klimarahmenkonvention aus, erinnerten sie. Alles andere bedrohe die soziale und wirtschaftliche Entwicklung von Staaten - "inklusive des Dialogs und des gegenseitigen Verständnisses".

In Brüssel stellt man sich schon auf das eigentliche Ringen ein, das nach der Präsentation von "Fit for 55" beginnen dürfte. Denn neben dem EU-Parlament müssen auch die Mitgliedstaaten zustimmen. Gerade Ost- und Südeuropäer fordern mehr Unterstützung für den schwierigen Umbau ihrer Wirtschaft, zugleich soll das Pro-Kopf-Einkommen weiter dafür entscheidend sein, wie viel ein EU-Land einsparen soll. Reiche Länder aus West- und Nordeuropa bestehen darauf, dass alle ehrgeiziger werden.

Laut Diplomaten führte die Klima-Debatte beim EU-Sondergipfel Ende Mai zu keiner Annäherung. Die Staats- und Regierungschefs teilten Kommissionschefin Ursula von der Leyen ihre Prioritäten und Sorgen mit. Dies sei keine Überraschung, sagt ein erfahrener Verhandler aus einem EU-Gründungsland: Bevor die Details des "Fit for 55"-Pakets nicht vorlägen, sei niemand bereit, Maximalpositionen zu räumen. Der Insider erwartet, dass über die Details jahrelang verhandelt werden dürfte, da für die Wirtschaft eines jeden EU-Landes viel auf dem Spiel stehe.

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