Weltwirtschaft:So reagieren deutsche Firmen auf die China-Strategie

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VW-Arbeiter in China: Noch verdienen deutsche Autokonzerne viel Geld in China, und das sollte ihrer Meinung nach auch so bleiben. (Foto: IMAGO/Yan Linyun)

Eigentlich ist die Industrie einverstanden mit der neuen Politik der Bundesregierung. Aber die Konzerne wollen auch weiterhin im Geschäft bleiben - trotz Taiwan-Krise und geopolitischen Risiken. Geht das?

Von Thomas Fromm

Es ist für den Vorstandvorsitzenden eines großen deutschen Unternehmens einfacher, über Deutschland zu reden als über China. Milliardeninvestitionen in deutsche Werke? Kein Problem für Siemens-Chef Roland Busch - im Gegenteil. Zu besichtigen an diesem Donnerstag in einem Siemens-Werk in Erlangen, wo die Botschaft sehr leicht vermittelbar war: Eine Milliarde Euro für Deutschland, 500 Millionen davon für den Großraum Erlangen. Und ein zufriedener Chef, der weiß, dass er in solchen Momenten nur gewinnen und bestimmt nichts verlieren kann.

Dann aber kam diese eine Frage, mit der jeder deutsche Konzernchef in diesen Tagen rechnen muss, auf die eigentlich jeder eine klare Antwort parat haben müsste - und irgendwie doch nicht hat. Also Herr Busch, die Sache mit Siemens in Franken ist klar, aber wie geht es weiter in China? Da, wo das Unternehmen 140 Millionen Euro in die Hand nimmt, um sie in ein Werk in Chengdu zu stecken? Da ist die Sache weniger eindeutig. Antworten auf die Frage nach der richtigen China-Strategie liegen auch am Tag, an dem die Bundesregierung ihre Eckpunkte vorgelegt hat, noch im Bereich des Ungefähren. Einerseits, andererseits.

Man dürfe nicht vergessen, dass China ein wichtiger Markt sei, sagt Siemens-Chef Busch. Ein Markt mit wichtigen Innovationen. "Wir glauben an den Handel und an den Austausch", sagt der Manager, die Industrie arbeite nun mal global. Andererseits: Die richtige "Balance finden", das sei nun "der richtige Weg".

Unternehmen und Branchen sind ganz unterschiedlich abhängig

Die schwierige Suche nach Antworten ist symptomatisch für eine ganze Industrie: Dass sich China in den vergangenen Jahren verändert hat und sich deshalb auch die deutsche Chinapolitik verändern muss, wie es Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag formulierte - das ist eine Diagnose, der wohl kein Manager in diesem Land widersprechen würde. Einseitige Abhängigkeiten von China abbauen, wenn möglich sogar vermeiden, die eigene wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit im Auge haben - auch das kann noch jeder unterschreiben. Die Frage ist nur: Wie weit dürfen die Veränderungen gehen, wenn aus dem jahrelangen Partner ein systemischer Rivale wird - vor allem dann, wenn sie das eigene Geschäft betreffen? Wenn es um Milliardenumsätze und Gewinne geht? Um Jahresbilanzen und Aktienkurse?

Arbeiten an der China-Strategie: Außenministerin Annalena Baerbock und ihr Wirtschaftskollege Robert Habeck. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Es fängt schon damit an, dass Unternehmen und Branchen unterschiedlich abhängig sind von China. Autokonzerne wie Volkswagen oder BMW wären ohne China um einiges kleiner, und der Chemiekonzern BASF investiert trotz der großen geopolitischen Unsicherheiten und der ungeklärten Taiwan-Frage zehn Milliarden Euro in ein neues Werk in China. Der Milliardenmarkt war im vergangenen Jahr zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner; insgesamt wurden Waren im Wert von an die 300 Milliarden Euro hin- und hergeschoben. Sollen Unternehmen, die sich "im hohen Maße vom chinesischen Markt abhängig machen, in Zukunft das finanzielle Risiko verstärkt selbst tragen müssen", wie es Baerbock nun fordert? Und was würde das zum Beispiel für einen Großkonzern wie BASF bedeuten? Vermutlich weiß man das auch in Ludwigshafen noch nicht so ganz. Bevor man eine Stellungnahme abgebe, müsse man die neue Strategie "zunächst inhaltlich prüfen". Andere haben die Berliner Strategie dagegen schon geprüft - und Position bezogen.

Zum Beispiel der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Grundsätzlich sei die auf 61 Seiten formulierte Strategie der Bundesregierung "klug". Aber eben nicht sehr konkret - vielleicht auch, weil ein Papier, das der Industrie Risikominderung statt Entkopplung empfiehlt, nicht wirklich konkret sein kann. "Denn die besorgniserregende Wahrheit ist, dass Deutschland in einem so hohen Maße abhängig von China ist, dass ein schneller Abbau der Abhängigkeiten und Risiken unrealistisch scheint", sagt der Ökonom.

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Kaum einer ist so sehr engagiert wie der VW-Konzern

Es gibt wohl kaum jemanden, der das besser weiß als Ralf Brandstätter. Die deutschen Autobauer machen rund ein Drittel ihres Geschäfts in China, aber nirgendwo ist die Abhängigkeit so groß wie bei VW. Für den VW-China-Vorstand Brandstätter geht es also um viel. Auf Linkedin schrieb der Manager nun seine Sicht auf die Dinge. Man sei beim Thema China "nicht naiv", schreibt er. Aber: China sei nicht nur Rivale, sondern auch Partner. Ohne China ließen sich die Probleme "der globalen Klimakrise" nicht angehen. System-Rivalität? Dem setzt Brandstätter seine Wolfsburger Unternehmensthemen entgegen. E-Mobilität. Digitalisierung, autonomes Fahren: Ohne China und das dortige Know-how wird es schwierig. "Deshalb wird Volksagen weiterhin in China investieren."

Der Münchner Halbleiterbauer Infineon, wie VW ein Dax-Konzern, sorgt sich um den wirtschaftlichen Austausch mit China. Konzernchef Jochen Hanebeck warnt davor, Exporte nach China zu sehr herunterzufahren. Schon jetzt sei die Halbleiterindustrie dabei begrenzt, Hochleistungsprozessoren nach China zu liefern, "aus guten Gründen", wie er am Donnerstag im Dresdner Infineon-Werk erklärte. Der Export wichtiger Produkte etwa für die Produktion erneuerbarer Energien sei aber auch im deutschen Interesse - und man hoffe, "dass diese Limitierungen sich auf die wirklich wenigen kritischen Bereiche beschränken".

Jochen Hanebeck ist seit 2022 Vorstandsvorsitzender von Infineon. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Risiken herunterfahren und gleichzeitig weitermachen - so sieht das auch Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). "Derisking aber kein Decoupling", sagt er, diese Strategie sei die Richtige. "Sie adressiert geopolitische Risiken, betont aber gleichzeitig Deutschlands Interesse an substanziellen Wirtschaftsbeziehungen und an Kooperationen mit China zur Bewältigung globaler Herausforderungen." China bleibe als "zweitgrößter Markt der Welt ein absolut zentraler Wirtschaftspartner". Dass die China-Debatte der deutschen Industrie mit der Berliner Strategie eher am Anfang steht als am Ende, machte Russwurm ebenfalls klar. Bei der "konkreten Ausgestaltung einiger Maßnahmen" bestehe "aus Sicht der Industrie noch Diskussionsbedarf", vor allem was "mögliche Instrumente zur Kontrolle deutscher Investitionen im Ausland anbelangt". Was den BDI, was die Industrie besonders umtreibt, ist deren Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und Vorprodukten. Deutschland und die EU bräuchten hier "eine umfassende und langfristig angelegte Strategie zur Diversifizierung".

Am klarsten formuliert es vielleicht Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), der die Interessen der deutschen Elektroindustrie und Digitalindustrie vertritt. Neue Lieferketten aufbauen, sich unabhängiger machen von China, auch andere Standorte im asiatisch-pazifischen Raum erschließen - alles richtig und wichtig. Aber, so Weber: "Ohne China wird es auch in Zukunft nicht gehen." Die Unternehmen der Elektro- und Digitalbranche würden auch in Zukunft ihre "souveränen, unternehmerischen Entscheidungen treffen", sagt der Verbandslobbyist. Man sei "nicht naiv, sondern gehe realistisch und künftig noch klarer mit Herausforderungen um, die dieser Markt mit sich" bringe.

Souverän entscheiden, übersetzt heißt das: Die China-Strategie aus der Politik ist zwar richtig. Aber wie sie am Ende dann konkret umgesetzt wird, darum würde sich die Industrie dann doch gerne selbst kümmern.

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