Technologiekonzern:Siemens investiert eine Milliarde Euro in Deutschland

Lesezeit: 4 min

Siemens-Chef Roland Busch (li.) führt Kanzler Olaf Scholz durch die Produktion am Standort Erlangen. Der Konzern will dort einen Campus für Entwicklung und Hightech aufbauen. (Foto: HEIKO BECKER/REUTERS)

Der Münchner Konzern will viel Geld in heimische Standorte investieren; allein 500 Millionen Euro in Erlangen. Es soll ein Zeichen sein - auch gegen jene, die mit Milliarden ins Ausland gehen.

Von Thomas Fromm

Ein besonderer Tag für Siemens sei das, sagt der Chef, und das könne man schon daran erkennen, dass der Vorstand hier vorne stehe. Dass dies hier auch ein besonderer Tag für Deutschland sein soll, das darf man vermutlich daran erkennen, dass auch der Bundeskanzler nach Erlangen gekommen ist. Denn wenn ein Konzern wie Siemens schon mal eine Milliarde Euro in Deutschland investiert, davon die Hälfte in Erlangen, dann ist das ja mal etwas in diesen Zeiten. Deutschland vor der Deindustralisierung, die großen Konzerne auf der Flucht, nichts geht mehr? Von wegen. "Wir glauben nicht, dass wir die Geisterfahrer sind", sagt Roland Busch, der Chef des Technologiekonzerns. Er sieht sich also eher auf der richtigen Seite der Autobahn.

"Liebe Siemensianerinnen und Siemensianer", sagt Kanzler Olaf Scholz (SPD) dann etwas später bei einem gemeinsamen Termin von Manager und Politikern, und dass er heute hier ist, hat natürlich nicht nur etwas mit Franken zu tun. "Damit stärkt Siemens die Innovationskraft des ganzen Landes", sagt er. Termine wie diesen, bei dem es vor allem good news gibt und nur wenige kritische Fragen, erlebt ein Kanzler zurzeit auch nicht so oft. Und wenn ein Konzern wie Siemens eine Milliarde in Deutschland investiert, dann kann es ja nicht ganz so schlecht um den Standort stehen, wie viele behaupten.

Das Unternehmen hatte seine Investitionspläne häppchenweise kommuniziert. Vor einem Monat hatte man einen ehrgeizigen Milliardenplan für künftige Investitionen bekannt gegeben. Es ging damals um zwei Milliarden Euro, die in neue Hightech-Fabriken in Asien, Europa und den USA gehen sollen. Bekannt waren bislang nur: der Bau einer neuen Hightech-Fabrik in Singapur für 200 Millionen Euro, aus der heraus die wachsenden Märkte in Südostasien bedient werden sollen. Und noch mal 140 Millionen Euro für das Siemens-Werk im chinesischen Chengdu. Damals fragten sich viele: Schön, aber wohin fließt nun der große Rest der zwei Milliarden? Der Konzern wartete ein paar Wochen, um das Geheimnis aufzulösen.

Und so stehen sie hier am Donnerstagmittag auf dem Gelände des Erlangener Siemens-Werks und freuen sich über ihre eigene Dramaturgie. Eine Milliarde Euro für Deutschland, 500 Millionen Euro davon sollen in einen neuen Campus für Entwicklung und Hightech in Erlangen gehen; Forschung und Fertigung sollen ausgebaut werden. Siemens setze auf Innovation in Deutschland, sagt Busch, auf industrielle Automatisierung und Digitalisierung. Hochautomatisierte Fabriken, in denen Menschen und Maschinen Hand in Hand arbeiten. Dass bei alldem neue Arbeitsplätze rausspringen, bestätigt Siemens zwar. Wie viele genau? Offen.

Willkommen im fränkischen Silicon Valley

Aus dem Raum Nürnberg soll nun eine Art "Grundstein für das industrielle Metaverse" werden, sagt Busch, also für das Geschäft mit virtuellen Darstellungen der realen Welt in der Industrieproduktion. Und der Konzern? Könnte so eine Art neues Meta (Facebook) in den Fabriken werden - willkommen im fränkischen Silicon Valley. "Wir revolutionieren die Art, wie wir produzieren", sagt der Siemens-Chef. Wieder mal eine Revolution aus Bayern also, mehr als 100 Jahre nach der letzten.

Es passt gut zu diesem Erlangener Mittag, dass am gleichen Tag Außenministerium Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin sitzt und eine neue China-Strategie verkündet. Denn irgendwie geht es am Ende ja auch darum: Sich unabhängiger zu machen von China, ohne China zu verlassen. Ohne China und seine Führung zu verprellen. Busch spricht an diesem Donnerstag davon, "Balance" zu finden. Abhängigkeiten zurückfahren, aber bitte auch Chancen und Gewinne mitnehmen. Wenn alles so einfach wäre.

Angesichts der steigenden geopolitischen Spannungen mit China und der Frage, wie es mit Taiwan im Besonderen und mit den Beziehungen zu Peking im Allgemeinen weitergeht, wird Siemens damit auch zu einer Art Testfall der deutschen Industrie. Wie kriegt man die richtige China-Dosis hin? Was ist zu viel, was zu wenig China? Wie viel Geld sollte man in Deutschland investieren? Nun ist es ja nicht so, dass Siemens den Milliardenmarkt China aufgeben will - im Gegenteil. Auf das Chinageschäft verzichten? Besser nicht. Stattdessen: Risiken verteilen, man weiß nie, wann und wo der nächste größere Konflikt auf dieser Welt stattfindet. Aber wenn man zwei Milliarden Euro in neue Werke investieren will und die Hälfte davon in Deutschland bleibt, dann ist das ja auch ein Statement.

Und ein Zeichen gegen die drohende Deindustrialisierung eines Landes, das jahrelang glaubte, dass es immer so weitergehen würde mit der Globalisierung und dass alles, was im Ausland investiert wird, immer auch automatisch gut sein würde für den Standort Deutschland. Wenn man so will, geht es hier um eine Botschaft, auch für jene Unternehmen, die kein Problem damit haben, zehn Milliarden Euro in China zu investieren. Für Unternehmen wie den Chemiekonzern BASF und seinen sehr China-affinen Chef Martin Brudermüller zum Beispiel. "Viele Unternehmen investieren derzeit lieber im Ausland", sagt Busch. Siemens dagegen investiere in Deutschland. Man wird dem Siemens-Chef nicht zu nahe treten, wenn man das so interpretiert: Wir bei Siemens machen es anders, und das ist auch gut so.

Siemens glaube "an die Innovationskraft und den Erfindergeist Deutschlands"

Natürlich ist Deutschland zurzeit alles andere als ein Traum für Unternehmen und Investoren. Komplizierte Bürokratie, steigende Energiepreise und der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Das weiß auch der Siemens-Chef. Warum er es trotzdem macht? "Weil es hier etablierte, erfolgreiche Ökosysteme gibt", sagt er. "Auto, Chemie, Pharma, und sehr starke mittelständische Unternehmen." Und dann kommt eine jener rhetorischen Figuren, die dadurch überzeugen wollen, indem sie das Gesagte einfach wiederholen: "Wir investieren in Deutschland, weil wir an die Innovationskraft und den Erfindergeist Deutschlands glauben", sagt Busch. Und gleich noch einmal: " Wir investieren in Deutschland, weil wir an die Menschen in diesem Land glauben." Es sind Sätze, die maßgeschneidert sind für einen Bundeskanzler im heißen Sommer 2023.

Andere investieren auch in diesen Wochen und Monaten, aber sie investieren vielleicht vor allem, weil ihnen dabei hohe Summen zufließen. Der US-Chiphersteller Intel bekommt für seine Chipfabrik in Magdeburg an die zehn Milliarden Euro staatliche Subventionen und investiert so insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro. Zehn Milliarden Euro Steuergeld, damit ein US-Konzern in Sachsen-Anhalt Halbleiter produziert - unumstritten ist das keineswegs. Die Befürworter argumentieren: Europa ist bei Halbleitern abhängig von Asien und sollte daher unabhängiger werden. Weil aber die Produktion von Chips in Europa im Vergleich erheblich teurer ist, gehe es nicht ohne Subventionen.

Weil das so ist, sollen EU-Staaten den Bau von Chipfabriken mit Milliardenhilfen fördern können. Der sogenannte Chips Act sieht an die 43 Milliarden Euro vor, mit denen die Halbleiterindustrie in der EU gefördert werden kann. Auch das neue Infineon-Werk in Dresden wird mit öffentlichen Mitteln gefördert - hier geht es um einen staatlichen Zuschuss von rund einer Milliarde Euro.

Siemens, das ist Busch wichtig, erhält bei seinen Investitionen keine Subventionen. Man investiere mal. Einfach so.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivWirecard
:Es könnte eng werden - für die Freiheit und fürs Geld

Für den früheren Wirecard-Boss Markus Braun geht es vor Gericht um so ziemlich alles. Nun hat er eine empfindliche Niederlage kassiert - und wehrt sich dagegen mit einer Verfassungsbeschwerde.

Von Klaus Ott, Stephan Radomsky

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: