Bundesregierung:"Wir zeigen, dass wir realistisch sind, aber nicht naiv"

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Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz (Foto: Metodi Popow/Imago)

Monatelang wurde debattiert, nun hat die Bundesregierung die neue China-Strategie beschlossen. Wie umgehen mit der Regierung in Peking, ohne sich abhängig zu machen und die wirtschaftlichen Beziehungen zu gefährden, das ist die Kernfrage. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Von Oliver Klasen

Monatelang wurde darüber innerhalb und außerhalb der Koalition diskutiert, nun ist die neue China-Strategie der Bundesregierung an diesem Mittwoch im Kabinett verabschiedet worden. Das 64-seitige Papier, das auf der Homepage des Auswärtigen Amtes veröffentlicht und von Außenministerin Annalena Baerbock auf einer Veranstaltung vorgestellt wurde, zeigt auf, wie das Verhältnis Deutschlands zu China in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aussehen könnte.

"China hat sich in den letzten Jahren so rasant verändert, wie vielleicht kein anderes Land. Wer China zuhört, weiß, mit welchem Selbstbewusstsein es die Entwicklung dieses Jahrhunderts prägen wird", schreibt Baerbock auf Twitter. Mit der China-Strategie gebe sich die Bundesregierung einen Kompass. "Wir wollen mit China zusammenarbeiten. Denn wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa", so die Grünen-Politikerin. Das gelte sowohl für fairen Wettbewerb als auch für die Eindämmung der Klimakrise, diese könne nur gemeinsam mit China gelingen.

Die Bundesregierung bewegt sich in einem Spannungsfeld, das sich nur schwer auflösen lässt. Einerseits will sie gegenüber der Regierung in Peking selbstbewusster auftreten und einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten, etwa in der Halbleiterindustrie oder bei Arzneimitteln, vermeiden. Andererseits ist ihr klar, dass selbst für den Fall, dass sich die Beziehungen etwa wegen der Taiwan-Frage verschlechtern sollten, ein Boykott chinesischer Firmen ein kaum gangbarer Weg wäre. Zu eng sind die wirtschaftlichen Verflechtungen, von denen deutsche Firmen in den vergangenen Jahren auch sehr profitiert haben. Dementsprechend ist die Bundesregierung erkennbar bemüht, die Beziehungen nicht zu gefährden, zuletzt zu beobachten bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen im Juni in Berlin.

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Die China-Strategie, so sieht es die Bundesregierung, soll die im Juni veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie ergänzen und präzisieren. Dass sie erst jetzt vorgestellt wird und nicht zusammen mit der Sicherheitsstrategie im Juni, sehen einige Kritiker als Konzession an die Regierung in Peking.

In der Sicherheitsstrategie wird China als "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale" beschrieben, ein Dreiklang, den die EU-Kommission erstmals so formuliert und den die Bundesregierung übernommen hat. Exakt diese Formulierung findet sich nun auch in der China-Strategie. Baerbock erwähnte ihn außerdem in ihrer Rede vom Mercator Institute for China Studies, wo sie die Leitlinien der Strategie vorstellte. "China hat sich verändert und deshalb muss sich auch unsere China-Strategie verändern, sagte die Außenministerin dort. Man stelle sich den "Herausforderungen, die sich aus Chinas Verhalten der letzten zehn Jahre ergeben". Und man zeige auf, wie Deutschland mit China zusammenarbeiten könne, ohne die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Wohlstand zu gefährden. "Wir zeigen, dass wir realistisch sind, aber nicht naiv", sagte Baerbock.

Immer wieder genannt wird auch der Begriff des "De-Risking", also des gezielten Reduzierens von Risiken im Verhältnis zu China, ohne dass bisher klar war, was daraus folgt. Vorgaben für deutsche Firmen, die zu einer Diversifizierung ihres internationalen Geschäfts und zu Investitionen auch in anderen asiatischen Staaten angehalten werden, sind in der Nationalen Sicherheitsstrategie eher allgemein gehalten.

In der China-Strategie versucht die Bundesregierung nun, konkrete Maßnahmen auszubuchstabieren, um die Abhängigkeit Deutschlands und der EU von China zu reduzieren:

EU-Binnenmarktes stärken und EU-Wettbewerbsrecht weiterentwickeln: Die Bundesregierung dringt auf eine forschungs- und innovationsfördernde Standortpolitik in der EU und in Deutschland. Der Fokus soll dabei auf der digitalen und grünen Transformation der Wirtschaft liegen. Ziel sei, dass europäische Unternehmen nicht nur innerhalb der EU, sondern auch global im Wettbewerb mit chinesischen subventionierten Unternehmen besser als bisher bestehen können.

Globale Lieferketten durch eine breitere Risikostreuung diversifizieren: Eine Konzentration auf wenige Herkunftsländer oder nur eines bei Vor-, Zwischen- und Endprodukten, etwa bei Seltenen Erden, Photovoltaik oder Antibiotika soll künftig vermieden werden. Das Beispiel Russlands habe gezeigt, wie fatal eine einseitige Abhängigkeit auf dem Rohstoffsektor sei.

Abhängigkeiten in kritischen Bereichen der Informationstechnologie reduzieren: Die Bundesregierung will im IT-Sektor noch mehr in Forschung, Entwicklung und Innovation investieren und aufkommende Schlüsseltechnologien frühzeitig identifizieren.

Unternehmen sensibilisieren: Die Regierung will sich mit gegenüber China besonders exponierten Unternehmen vertraulich über deren Risikoanalysen austauschen.

Außerdem sollen chinesische Direktinvestitionen in Deutschland und der EU strenger überprüft, die Exportkontrolle verschärft und die kritische Infrastruktur sowie der Cyberraum besser gegen Angriffe von außen geschützt werden.

In der Bundesregierung gab es bisher unterschiedliche Herangehensweisen in der China-Politik. Die Grünen traten mit Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck für einen härteren Kurs gegenüber Peking ein als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das zeigte sich zuletzt vor allem bei der Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Container-Terminal im Hamburger Hafen, die gegen den Widerstand der Grünen zustande kam.

Neben der Risikominimierung sind in der China-Strategie auch Politikfelder genannt, in denen Deutschland künftig enger mit Peking zusammenarbeiten will, etwa in der Klimapolitik oder in Energiefragen.

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