Wirtschaftspolitik:Pekings Angst vor der deutschen China-Strategie

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Positionssuche: Der Besuch von Bundeskanzler Scholz bei Staatspräsident Xi in Peking im November wurde auch in Deutschland kritisch beäugt. (Foto: Yao Dawei/AP)

Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt schwächelt, sie braucht Investoren, Technik, Handelspartner - besonders aus Deutschland. Dessen Abrücken von Abhängigkeiten ist Peking ein Dorn im Auge.

Von Lea Sahay, Peking

"Ein Konsens wurde erreicht", titelte die chinesische Staatspresse am Mittwoch begeistert, "deutsche Unternehmensführer und Chinas Handelsminister lehnen Decoupling ab". Gemeint ist die Entkopplung der deutschen von der chinesischen Wirtschaft. Anlass des Berichts waren Äußerungen des Verbandspräsidenten der deutschen Maschinenbauer (VDMA), Karl Haeusgen, und des SAP-Chefs Christian Klein, die diese Woche in Peking vom chinesischen Handelsminister Wang Wentao empfangen wurden. "Decoupling ist als Strategie nicht im Interesse deutscher Firmen", zitierte ein Staatsblatt die Geschäftsleute.

Tatsächlich verrieten die Treffen viel über Pekings Sicht auf die Beziehungen zu Deutschland und die neue China-Strategie, die am Donnerstagabend chinesischer Zeit veröffentlicht wurde. Es war das erste Mal, dass Handelsminister Wang eine Delegation der deutschen Maschinenbauer zu einem Gespräch einlud. Selbstverständlich sei das nicht, sagte Haeusgen: "Wir sind in chinesischen Augen ein eher kleiner Verband."

Haeusgen spricht von einer "Charmeoffensive"

Der Chinese sei im Gespräch "offen" und "gut vorbereitet" gewesen, Haeusgen sprach von einer "Charmeoffensive", wie sie Verbandsmitglieder in den letzten Jahren nicht erlebt hätten. Von einem solchen Entgegenkommen berichten deutsche Politiker und Unternehmer bei ihren Besuchen in letzter Zeit häufiger. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Wirtschaftlich steht Peking massiv unter Druck, auch das machte der Besuch von Haeusgen deutlich: Wie in vielen anderen Branchen auch fallen bei den Maschinenbauern die Nachholeffekte nach dem abrupten Ende der chinesischen Covid-Politik geringer aus als erwartet. Anstelle von sechs Prozent rechnet Haeusgen dieses Jahr mit einer Umsatzzunahme "zwischen null und drei Prozent".

Für die chinesische Regierung ist diese langsame Erholung ein Problem, das Wachstum schwächelt, die Immobilienkrise belastet den Aufschwung. Gerade die Baubranche hält sich mit Investitionen zurück, "bei Komponenten für chinesische Baumaschinen ist die Nachfrage um 40 bis 50 Prozent eingebrochen", berichtete Haeusgen. Die Inflation in Europa und den USA belastet wiederum die Nachfrage nach chinesischen Produkten. In den großen Städten liegt die Jugendarbeitslosigkeit mit mehr als 20 Prozent auf einem Rekordhoch.

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Wirtschaftsvertreter sagen, sie seien der chinesischen Versprechen müde

Zudem hat das Vertrauen vieler ausländischer Unternehmer und Investoren in den chinesischen Markt gelitten. Das liegt an Chinas rigoroser Corona-Politik, die Ideologie über Vernunft stellte, und an dem Ausbleiben von Reformen und größerer Öffnung, obwohl Peking beides angekündigt hatte. Wirtschaftsvertreter sprechen davon, dieser "Versprechen müde" zu sein. Sorgen löste zuletzt auch ein Anti-Spionagegesetz aus, das die Weitergabe jeglicher Daten ins Ausland potenziell unter Strafe stellt.

Deutsche Unternehmen hätten in den Jahren vor der Corona-Krise einen "lemminghaften China-Boom" erlebt, sagte Haeusgen, der sich auch bezahlt gemacht habe. Nun sei aber ein "Klumpenrisiko" entstanden. Diese Risikobedenken spiegelt auch eine VDMA-Umfrage wider: 900 der 3700 Mitgliedsunternehmen haben eine Niederlassung in China und schaffen dadurch dem Verband zufolge 150 000 Jobs im Land. 45 Prozent der Firmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, geben aber an, ihre China-Strategie grundsätzlich zu überdenken. Vor allem die geopolitischen Risiken und die Marktschwächung, aber auch die Benachteiligung gegenüber chinesischen Unternehmen etwa bei öffentlichen Projekten sind dafür die Ursachen.

In einer anderen Befragung des Verbands unter den in China ansässigen deutschen Maschinenbauern belegte das Land zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht mehr Platz eins der beliebtesten Investitionsstandorte außerhalb Europas.

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Pekings größte Angst ist eine Allianz freiheitlicher Staaten gegen China

Die chinesische Regierung können solche Signale nur beunruhigen. Das Land braucht internationale Investoren und ausländische Technologie, gerade aus Europa - das macht eine klarer abgegrenzte deutsche China-Politik in seinen Augen gefährlich. Pekings größte Angst ist eine geeinte Allianz freiheitlicher Staaten unter Führung der USA. Die amerikanischen Sanktionen gegen Chinas Halbleiterindustrie und die Exportverbote für niederländische und japanische Chip-Produktionsmaschinen zeigen, dass diese Sorgen nicht unbegründet sind. Vor Kurzem konterte Peking mit Exportkontrollen für Seltene Erden, die Hersteller für Chips benötigen.

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Obwohl die Regierung die deutsche Debatte über die Abhängigkeit von wichtigen Sektoren der chinesischen Wirtschaft kritisiert, hält Staats- und Parteichef Xi Jinping es umgekehrt genauso: Mit der Strategie der "Zwei Kreisläufe", die er 2020 vorstellte, versucht der Parteichef, das Land unabhängiger vom Handel mit dem Ausland zu machen.

Auch beim Ukraine-Krieg hinterlässt Peking einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits gibt es sich als Friedensvermittler, andererseits hat es die russische Aggression nie verurteilt. Erst am Mittwoch veröffentlichte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua ein Propagandavideo, in dem die Nato als todbringend und "toxisches Erbe" des Kalten Krieges bezeichnet wird.

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