Börse:Wie die Ölmultis von der Krise profitieren

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Eine BP-Raffinerie in Gelsenkirchen fackelt Gas ab. Die Gewinne des Ölmultis sind nach oben geschnellt. (Foto: Martin Meissner/AP)

Der Großkonzern BP fährt den besten Gewinn seit 14 Jahren ein. Auch bei den Konkurrenten läuft es wie geschmiert. Sind deren Gewinne unmoralisch?

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Vielleicht ist es fast schon philosophisch, sich zu fragen, welche Gewinne der liebe Gott da oben auf seiner Wolke so macht. Besonders große Gewinne könnten das sein, schließlich blitzt es in vielen Kirchen nur so vor Gold. Vielleicht sind es aber auch eher bescheidene Erträge, dafür aber doch sehr ethische. Der amtierende US-Präsident Joe Biden schien sich für erstere Lesart entschieden zu haben, als er davon sprach, dass manche Ölkonzerne in seinem Land "mehr Geld als Gott" verdienten. Ein verwunderliches Sprachbild, gerade da Biden tiefgläubiger Katholik ist.

Abgesehen hatte es der 79-Jährige mit seinen markigen Worten auf große Ölkonzerne wie Exxon Mobil. Deren Gewinne sind alleine in den drei zurückliegenden Monaten so stark gestiegen, dass es selbst alteingesessenen Börsianern die Sprache verschlägt. Seit am Dienstag nun auch der Ölriese BP seine Zahlen vorgelegt hat, ist klar: Insgesamt haben die fünf Ölmultis Shell, Exxon, Total, Chevron und BP im zweiten Quartal mehr als 60 Milliarden Dollar Gewinn eingefahren. Mit Milliardensummen wollen die sogenannten "Supermajors" ihre Aktionäre nun beglücken. Doch Autofahrer, kritische Anleger und Umweltschützer fragen sich: Was bitte soll daran super sein?

Die Ölmultis verdienen gleich doppelt

Vielleicht lässt sich diese Frage am besten im Frankfurter Börsensaal beantworten, wo Kapitalmarktstratege Robert Halver in einem der großen, weiß leuchtenden Rondelle vor einer Armatur mit sechs Bildschirmen steht. Während die großen Börsenindizes in den vergangenen Monaten nach dem Ukrainekrieg auf Tauchstation gingen, haben die Öltitel erstaunlich zugelegt: "Diese Ölaktien sind das Sondereinsatzkommando in einer Welt, in der eine Gaskrise herrscht", sagt Halver und tippt auf seiner bunten Finanz-Tastatur herum. "Zumal sie auch recht hübsche Dividenden zahlen."

Das Ergebnis gießt die Börse in steigende Aktienkurse: Die Titel des Ölriesen BP sind seit Jahresanfang um 20 Prozent gestiegen, die des Konkurrenten Chevron gar um knapp 50 Prozent, Anleger von Exxon Mobil konnten gar ein Plus von mehr als 65 Prozent verbuchen. In den vergangenen Monaten haben die Ölkonzerne schließlich gleich doppelt verdient: Infolge des Ukrainekriegs stiegen die Ölpreise am Weltmarkt, was den Konzernen Milliarden in die Kassen spült (siehe Grafik).

Dazu kamen üppige Gewinne aus dem Raffineriegeschäft, wo das Rohöl zu Benzin oder Heizöl wird. In deutschen Raffinerien hat sich die durchschnittliche Marge seit Jahresbeginn verfünffacht, hat der Energie Informationsdienst berechnet. Der Ölriese BP hat mit seinen Raffinerien im abgelaufenen Quartal nach eigenen Angaben pro Ölfass rund 46 Dollar Gewinn gemacht, während es ein Jahr zuvor nur rund 14 Dollar waren. "Das ist wie im Alter", sagt Börsenexperte Robert Halver: "Diese Aktien erleben gerade ihren zweiten Frühling."

Milliarden Dollar - für die Aktionäre

Wer jedoch aus dem Frankfurter Finanzzentrum ein wenig stadtauswärts herausfährt, kann schnell eine ganz andere Perspektive bekommen. Vor der Shell-Tankstelle an der Friedberger Landstraße knallt die Sonne auf den schwarzen Beton, während es beißend nach Benzin riecht. Die roten Lettern auf der Preissäule zeigen schon von weitem, dass ein Liter Super E10 hier aktuell 1,759 Euro kostet. "Ein Glück, dass ich so viel mit der Bahn fahre und das Auto praktisch gar nicht mehr brauche", sagt ein Mann im roten Shirt. "Ich bin sauer auf die Ölkonzerne", schimpft ein anderer, "die machen sich doch die Taschen voll."

Das ist zumindest nicht die ganze Wahrheit, denn während die Ölkonzerne Milliardengewinne schreiben, verteilen sie gute Teile dieses Geldes an ihre Aktionäre. Alleine BP hat seine Dividende auf sechs Cent pro Aktien angehoben und will damit gar zehn Prozent mehr an die Anleger ausschütten als noch im Vorquartal. Außerdem will das Unternehmen alleine im dritten Quartal 3,5 Milliarden Dollar in die Hand nehmen, um am Markt eigene Aktien zurückzukaufen. Weil dann die Nachfrage nach den Titeln steigt, klettert üblicherweise auch der Kurs.

Zusammengenommen haben die fünf globalen Ölmultis im ersten Halbjahr bereits rund 20 Milliarden Dollar investiert, um ihre eigenen Aktien zurückzukaufen. Chevron hat sein oberes Limit für Rückkäufe in diesem Jahr erst kürzlich um fünf Milliarden Euro erhöht. Exxon will in diesem und im kommenden Jahr eigene Papiere für rund 30 Milliarden Dollar zurückkaufen. Und Shell wiederum hat für die kommenden drei Monate Käufe in Höhe von rund sechs Milliarden Dollar angekündigt.

Die Übergewinne einkassieren?

Was Banker am Frankfurter Parkett freut, nennen Kritiker Krisengewinne, gar Kriegsgewinne. Oder auf Englisch "windfall profits", Zufallsgewinne also. Wobei die mit Wind im engeren Sinne nicht immer viel zu tun haben, sondern mehr mit Öl. In Großbritannien hat die Regierung bereits im Juni eine Sondergewinn-Steuer beschlossen, die Erdöl- und Erdgasfirmen zur Kasse bittet. In Frankreich wiederum hatte Präsident Emmanuel Macron weniger Sympathien für eine Steuer, drängte die Ölkonzerne aber zu "freiwilligen" Rabatten an den Tankstellen. Auch in Deutschland hatten Politiker wie SPD-Chef Lars Klingbeil und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang eine Übergewinnsteuer ins Spiel gebracht.

Wobei viele Experten eine solche Steuer kritisch sehen: Denn an welcher Zahl sollten Beamte die Übergewinne festmachen? So ließen sich Gewinne im aktuellen Jahr eher grobschlächtig mit den Gewinnen des Vorjahres vergleichen. Wenn dort aber ein Corona-Lockdown Restaurants das Geschäft verhagelte, machen sie ein Jahr später mit besserem Geschäft nicht notwendigerweise Übergewinne. Selbst im Vergleich zu einem Durchschnittswert der fünf oder zehn Vorjahre würden auch Unternehmen wie die Impfstoffmacher von Biontech zur Kasse gebeten.

Selbst zwei Studien von deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten bescheinigten den Ölmultis, den deutschen Tankrabatt "im Wesentlichen" weitergegeben zu haben. Während die Preise in Frankreich nach dem 1. Juni weiter kletterten, sanken die durchschnittlichen Preise pro Liter Super E 10 in Deutschland kräftig, der Rabatt dürfte also an die Kunden durchgereicht worden sein. "Beim Super-Benzin waren es 29 bis 30 Cent von den 35 Cent Steuersenkung", sagt Experte Florian Neumeier vom Münchener ifo-Institut.

Doch nicht alle Statistiken fallen für die Ölmultis gut aus. So zeigten Zahlen des Ölriesen Exxon, dass er in den kommenden Jahren nur rund 12 Prozent seiner Investitionen in grüne Technologien und CO2-Speicherung stecken will. "Nur ein kleiner Teil geht also wirklich in Erneuerbare", sagt Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas. "Dass es die großen Ölmultis braucht, um die erneuerbaren Energien zu finanzieren, stimmt einfach nicht."

In London wollen die Ölmultis nun mit besseren Nachrichten punkten, mit besseren Bildern vor allem. Erst kürzlich hat Shell dort eine futuristische Tankstelle eingeweiht: Unter warmen, orangefarbigen Holzbögen laden Elektroautos an Ladesäulen ihre Batterien auf, in nur 15 Minuten sollen die E-Autos vollgetankt sein. Zapfsäulen? Sucht man in der Londoner Tankstellenzukunft vergeblich.

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