Großbritannien:"Noch mehr Elend"

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Demonstranten protestieren vor der Bank of England gegen die neuerliche Erhöhung des Leitzinses. (Foto: SUSANNAH IRELAND/REUTERS)

Die Inflation ist weiter hoch in Großbritannien, also hebt die Bank of England den Leitzins weiter an - auf ein Niveau wie seit Langem nicht mehr. Dazu erhöht die Regierung die Steuern auf alkoholische Getränke. Das kommt nicht bei allen gut an.

Von Alexander Mühlauer, London

Bevor Rishi Sunak nach Kalifornien in den Sommerurlaub flog, musste er in dieser Woche noch ein Bier zapfen. Er war zu Gast beim Great British Beer Festival in London, einem dieser Termine, bei dem es darum geht, den Premierminister ins beste Licht zu rücken. Doch das ging gründlich schief. Als Sunak hinter dem Zapfhahn stand, rief plötzlich ein Mann vor der Theke: "Herr Premierminister, welch eine Ironie, dass Sie die Alkoholsteuer an dem Tag erhöhen, an dem Sie ein Pint zapfen." Sunak tat so, als habe er nichts gehört, aber da war es schon zu spät.

Die Reporterinnen und Kameraleute stürzten sich auf den Mann vor der Theke. Wie man jetzt weiß, heißt er Rudi Keyser, ist 46, und betreibt ein Pub in Wimbledon. Er habe nicht gedacht, hier den Premierminister zu treffen, sagte Keyser der britischen Nachrichtenagentur PA, aber als er ihn gesehen habe, sei er wütend geworden. Das, was Sunak mache, sei nichts weiter als "ein Raubzug auf Kosten der Allgemeinheit". Alles werde teurer. Und in dieser Situation komme Sunak hierher aufs Festival, um aus PR-Gründen ein Pint zu zapfen. Einfach nur dreist, findet Keyser.

Großbritanniens Premier Rishi Sunak beim Beer Festival. (Foto: Simon Walker/IMAGO/Avalon)

Was ihn so aufregt, ist die Tatsache, dass die Regierung zum 1. August die zuletzt eingefrorene Alkoholsteuer erhöht hat. Nach Angaben der British Beer and Pub Association müssen Brauereien nun auf Bier in Flaschen und Dosen 10,1 Prozent mehr Steuern zahlen. Gleichzeitig wird jedoch die Steuer auf Fassbier in Pubs nicht angehoben. Die Regierung bezeichnet das als "Brexit Pubs Guarantee". Und deshalb war Sunak auch auf dem Bier-Festival und zapfte ein Pint. Aus Sicht der Regierung ist das ja die gute Nachricht: 38 000 britische Pubs werden von der Steuererhöhung ausgenommen.

Eine Flasche Gin kostet jetzt im Durchschnitt 90 Pence mehr

Doch was Sunak feiert, empfindet die Bier-Branche unter dem Strich als Zumutung. Die British Beer and Pub Association rechnet mit zusätzlichen jährlichen Kosten von 225 Millionen Pfund (261 Millionen Euro). Verbandschefin Emma McClarkin warnte die Regierung vor weiteren Belastungen, Bier müsse für alle erschwinglich bleiben. Ihr Kollege Miles Beale von der Wine and Spirit Trade Association wurde etwas deutlicher: Als wären die Lebenshaltungskosten nicht schon hoch genug, habe sich die Regierung entschlossen, den Verbrauchern "noch mehr inflationäres Elend aufzuerlegen".

In Zahlen ausgedrückt bedeutet das nach Berechnungen des Verbands, dass sich eine Flasche Wein im Durchschnitt um 53 Pence (62 Cent) verteuert, eine Flasche Port um 1,50 Pfund (1,74 Euro) und eine Flasche Wodka oder Gin um 90 Pence (1,04 Euro). Sunak hatte die Steuererhöhungen bereits 2021 angekündigt, da war er noch Finanzminister. Die neuen Abgaben sollen nicht nur die Staatskasse aufbessern, sondern vor allem dazu beitragen, dass in Großbritannien weniger Alkohol konsumiert wird.

Sunak dürfte das persönlich wenig kümmern, er trinkt keinen Alkohol. Was ihn allerdings umtreiben dürfte, sind die Auswirkungen der Steuererhöhung auf die Lebenshaltungskosten. Mit 7,9 Prozent liegt die Inflationsrate in Großbritannien so hoch wie in keinem anderen G-7-Staat. Um die Teuerung zu bekämpfen, hat die Bank of England den Leitzins am Donnerstag um 0,25 Prozentpunkte auf 5,25 Prozent angehoben - das ist der höchste Stand seit 15 Jahren.

Nobelpreisträger Ben Bernanke soll die Prognosen der Bank of England verbessern

Die Notenbank hatte ihre Serie von Zinserhöhungen bereits im Dezember 2021 gestartet. Dennoch steht sie in der Kritik, das Ausmaß der Inflation zu spät erkannt zu haben. Die Bank of England hat sich deshalb Expertise von außen geholt. Ben Bernanke, der frühere US-Notenbankchef, soll dabei helfen, die Prognosen "in Zeiten der Unsicherheit" weiterzuentwickeln. Bernanke wurde im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Bis Frühjahr 2024 soll er einen Bericht vorlegen, wie die Bank of England ihre Prognosen verbessern kann.

Der frühere US-Notenbankchef und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Ben Bernake, soll bis Frühjahr 2024 einen Bericht vorlegen, wie die Bank of England ihre Prognosen verbessern kann. (Foto: CHIP SOMODEVILLA/AFP)

Der Chefökonom der britischen Notenbank, Huw Pill, hatte erst kürzlich eingeräumt, dass sich die wichtigsten Prognosemodelle auf Daten der vergangenen 30 Jahre konzentrierten, als die Inflation allgemein niedrig war. Ältere Daten - die Zeiträume abdeckten, in denen die Inflation üblicherweise höher war - seien schwer zu integrieren, da sich die Struktur der Wirtschaft erheblich verändert habe. Dies mache es schwierig, vorherzusagen, wie schnell die Inflation wieder sinken werde, sagte Pill.

Die Aussichten für die britische Wirtschaft sind jedenfalls nicht gerade gut. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für dieses Jahr lediglich mit einem Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent. Im Vergleich mit den anderen G-7-Staaten schneidet laut IWF-Prognose nur ein Land schlechter ab: Deutschland.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat Großbritannien ähnliche Probleme wie vergleichbare Volkswirtschaften in Westeuropa. Allen voran die hohen Energie- und Lebensmittelpreise. Hinzu kommt allerdings ein speziell britisches Problem: der Brexit. So haben die Kosten für Unternehmen, die mit EU-Staaten handeln, wegen der Zollbürokratie deutlich zugenommen. Hinzu kommt: Das britische Pfund ist im Vergleich zum Euro - und vor allem zum US-Dollar - längst nicht mehr so stark wie vor dem Brexit-Referendum. Die Folge: Importe sind teurer geworden.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass die britische Regierung einmal mehr brexitbedingte Grenzkontrollen verschieben wird. Diesmal geht es um tierische und pflanzliche Produkte, die aus der EU nach Großbritannien eingeführt werden. Eigentlich hätten diese von Oktober an überprüft werden sollen. Doch nun kommt es anders. Laut Financial Times ist die Regierung zu der Überzeugung gelangt, dass neue Kontrollen zusätzliche Kosten für die Wirtschaft bedeuten würden. Doch das kann das Land gerade gar nicht gebrauchen: einen weiteren Preistreiber.

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