Rechtskolumne:Darf man Schnee liegen lassen?

Lesezeit: 3 min

Vermieter können ihre Mieter per Mietvertrag zum Schneeschippen verpflichten. Das ist aber aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt sinnvoll. (Foto: imago stock&people)

Wenn es schneit, müssen Hauseigentümer für Sicherheit sorgen, auf dem Grundstück und in seinem Umfeld. Die Räum- und Streupflicht hat aber ihre Grenzen. Ein Blick auf die Details.

Von Stephanie Schmidt

Auf allen Dächern und Gauben in der Wiener Leopoldstadt sieht man Flockenhauben. Der junge Egon Schiele hatte hier sein erstes Atelier bezogen. Den Anblick fand der Künstler so zauberhaft, dass er ihn gleich auf der Leinwand festhielt - um 1907 entstand das Gemälde "Häuser im Winter", das heute im Schloss Belvedere hängt.

Winterimpressionen sind beliebte Motive vieler Künstler, die meisten Hauseigentümer würden jedoch Schnee und Eis am liebsten sofort von Haus und Hof verbannen - schon allein deshalb, weil die weißen Kristalle sie an ihre Verkehrssicherungspflicht erinnern. Zwar gehört diese zu den Aufgaben der Kommunen, doch sie kümmern sich in erster Linie darum, Straßen und Bushaltestellen von Schnee und Eis zu befreien. Sie sind auch für öffentliche Wege zuständig, übertragen die Verkehrssicherungspflicht aber zu einem gewissen Teil auf Hauseigentümer. Letztere müssen dafür sorgen, dass die Einfahrt zu ihrem Haus geräumt und gestreut ist - und in der Regel auch der Bürgersteig vor dem Haus. Natürlich führt nicht jede Schlitterpartie dazu, dass sich jemand verletzt. Wenn aber ein Passant über einen Schneehügel unmittelbar vor einem Wohnhaus stolpert, weil der Eigner seine Räum- und Streupflicht nicht erfüllt hat, und sich den Arm bricht, dann kann der Fußgänger womöglich Schadenersatz vom Hausbesitzer verlangen (Paragraf 823, Absatz 1, Bürgerliches Gesetzbuch).

Die Kommunen legen die Zeitspanne fest, während der die Wege geräumt sein müssen, in der Regel montags bis samstags von sieben bis 20 Uhr. Von Ort zu Ort gibt es geringfügige Unterschiede. So müssen die Anlieger, sofern sie die Aufgabe nicht an einen Dienstleister übertragen haben, in manchen Gemeinden schon früher ran an Schaufel und Kehrbesen - und bis sechs Uhr morgens für schneefreie Wege gesorgt haben. Manche Gemeinden haben geregelt, dass die Wege sogar bis um 22 Uhr eisfrei sein müssen. Die Verkehrssicherungspflicht gilt auch an Sonn- und Feiertagen, beginnt dann allerdings oft erst um acht oder neun Uhr morgens.

Sie gilt genauso für diejenigen, die ihr Haus vermieten. Aber Vermieter, die mehrere Hundert Kilometer von ihrem Mehrparteienhaus entfernt wohnen, können ja gar nicht schnell genug an Ort und Stelle sein, um Schnee zu schippen. Da wäre es doch sinnvoll, die Pflicht zum Räumen und Streuen auf die Mieter der Wohnungen zu übertragen. Doch geht das überhaupt? "Ja, das ist rechtlich möglich, diese Aufgaben in den Mietvertrag zu schreiben", bestätigt Martin Metzger, Vorstandsmitglied des Bundesfachverbands der Immobilienverwalter (BVI). "Aber ich halte das für unpraktikabel. Die Mieter müssen ja dann auch immer rechtzeitig mit den notwendigen Materialien für die Arbeit ausgestattet werden." Vor allem könne der Vermieter nicht ohne Weiteres überprüfen, ob Mieter die Aufgabe ordentlich ausführen oder sich nachlässig verhalten. So oder so - in letzter Konsequenz bleibe in dem Fall die Kontrollpflicht beim Vermieter.

Eigentümer von vermieteten Mehrfamilienhäusern beauftragen in der Regel ein Dienstleistungsunternehmen damit, die Zufahrten vom Schnee zu befreien; die Kosten dafür darf man in die jährliche Betriebskostenabrechnung packen und auf die Mieter umlegen.

Rechtskolumne
:Was darf man in der Mietwohnung renovieren?

Neue Fliesen im Bad, eine bunte Tapete im Kinderzimmer oder ein großer Einbauschrank - wann der Vermieter zustimmen muss und was für die Kosten von Renovierungen gilt.

Von Katharina Wetzel

Auch die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) bindet in der Regel Dritte ein, die in ihrem Auftrag Eis zerhacken und den Schnee wegschaufeln. Für die WEG ist übrigens ein Muss, was jedem Verbraucher empfohlen wird - eine Haftpflichtversicherung. Sie springt auch bei Unfällen durch Schnee und Eisglätte ein. Mit Unterstützung des Verwalters formuliert die Gemeinschaft einen Leistungskatalog, was der Dienstleister in der Wohnanlage zu tun hat. Das sei jedenfalls sinnvoll, sagt Metzger, der über jahrzehntelange Erfahrung in der Hausverwaltung verfügt. Aber kann man vom Dienstleister verlangen, dass jeder Eiszapfen sogleich abgeschlagen wird? Metzger verneint das. "Man sollte sich weitgehend an den Satzungsvorgaben der jeweiligen Kommune orientieren und darf den Hausmeister nicht überfordern." Einige individuelle Regelungen seien aber schon möglich. Dazu könne gehören, zu kontrollieren, ob Spielgeräte und Schaukeln auf dem Gemeinschaftsspielplatz der Wohnanlage vereist sind. So mancher Sparfuchs in einer WEG ist schon auf die Idee gekommen, die Gemeinschaft könne ja mehrheitlich beschließen, künftig die einzelnen Eigentümer selbst für Räum- und Streudienste einzuspannen. "Ein solcher Beschluss wäre nichtig", betont Martin Metzger und verweist in dem Zusammenhang auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs ( BGH, V ZR 161/11).

Ereignet sich ein Unglück, heißt es oft: Da hat der Hausmeister nicht schnell genug Schnee geräumt und nicht ausreichend gestreut. Dazu hat der BGH bereits vor einigen Jahren ein Grundsatzurteil gefällt: Nur bei einer "allgemeinen Glätte" oder bei klaren Anzeichen für eine Rutschgefahr habe der Anlieger eine Streupflicht, nicht bei einzelnen vereisten Stellen. Er wies die Klage einer Fußgängerin ab, die auf einem geräumten Gehweg auf einer vereisten Stelle gestürzt war und sich verletzt hatte (AZ IV ZR 254/16).

SZ PlusSchnee
:Weißes Wunder

Schneekristalle sind federleicht und eine verschneite Welt wirkt viel friedlicher. Schnee kann aber auch unglaubliche Wucht entfalten. Über ein Element, das niemanden kaltlässt.

Von Mareen Linnartz

Und bei andauernden Schneefällen kann Metzger zufolge kein Dienstleister gewährleisten, dass niemand ausrutscht. "Ich halte nichts von einer Vollkasko-Mentalität", betont der geschäftsführende Gesellschafter der in Rosenheim ansässigen Hausverwaltung Alpina Immowelten GmbH. "Bewohner und Passanten haben auch eine Fürsorgepflicht für sich selbst."

Die zu erfüllen, ist oft ganz einfach: raus aus den Stiefeln mit hohen Hacken und rein in die Outdoor-Boots. Und durch den frischen Schnee stapfen und genießen, wie schön er unter den Sohlen knirscht.

Die Autorin saß gern auf ihrem Balkon - solange bis neben ihm ein Außenaufzug installiert wurde. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPsychologie
:Kann man Selbstdisziplin lernen?

Selbstkontrolle und Disziplin helfen nicht, wenn man seine Gewohnheiten verändern will, sagt die Psychologie-Professorin Wendy Wood. Sondern etwas ganz anderes.

Interview von Hannes Vollmuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: