U-Bahn in Moskau:Unterirdischer Reichtum

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Die Majakowskaja-Station in Moskau gilt bis heute als eine der schönsten. (Foto: Frank Herfort)

Die Metro-Stationen der früheren Sowjetunion sollten die Menschen mit ihrem Prunk überwältigen. Geblieben sind elegante, aber auch erdrückende Zeitzeugen im Untergrund.

Von Silke Bigalke

Reisende sollen sich in der Moskauer Metro klein vorkommen, in diesem unüberschaubaren System aus unterirdischen Gängen und Prunksälen; die Menschen überwältigen, das war ihre Aufgabe, von Anfang an. Bereits die ersten Stationen sollten zeigen, dass im Kommunismus alles größer, schöner und besser sei, und vielleicht ist man diesem Ziel nie näher gekommen als unter der Erde Moskaus.

Die U-Bahn-Stationen konservieren dort ein Gefühl, das auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion überall ähnlich ist, egal ob man in Moskau aussteigt, im ukrainischen Kiew oder im usbekischen Taschkent. Stets sind sie größer, als eigentlich praktisch wäre; sie sollen mit ihrem Prunk, mit Marmor und Mosaiken, Säulen, Stuck und Statuen die Überlegenheit eines politischen Systems untermauern, das letztlich nicht überlebt hat. Diese Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit hat der deutsche Fotograf Frank Herfort nun festgehalten, in seinem Bildband " CCCP Underground" nimmt er die Leser mit in den Untergrund einer vergangenen Welt.

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Das Metrosystem in Moskau ist das größte Europas

Begonnen hat seine Reise in Moskau, das Metrosystem der russischen Hauptstadt ist inzwischen das größte in Europa, und sicher auch das schnellste. Selbst die Rolltreppen, die täglich Millionen Menschen unter die Erde bringen, fahren mit überdurchschnittlicher Geschwindigkeit. Unten strömen die Moskowiten durch volle Gänge und tragen jeden, der nicht daran gewohnt ist, einfach mit. Niemand hat Zeit und Nerven, die Schönheit der Station zu bewundern. Die vermehren sich derzeit so schnell, dass selbst die Einwohner nicht mehr mitkommen. Allein Anfang Dezember haben zehn neue U-Bahnhöfe in der Stadt eröffnet, insgesamt sind es inzwischen rund 250.

Die Station Kropotkinskaja wirkt durch ihre Größe und die hellen Marmorsäulen wie ein Tempel. (Foto: Frank Herfort)

Herfort konzentriert sich in seinem Buch auf die Haltestellen, die vor 1991 entstanden sind. Schon in den Dreißigerjahren gerieten sie so modern, so elegant und originell, dass sie auch im Ausland viel Applaus bekamen, wie die Majakowskaja-Station mit ihrem hellen Stein, der beinahe wirkt wie Glas. Die Säulen, die das weiße Gewölbe tragen, sind in rostfreien Stahl gekleidet. Ihre spiegelnden Oberflächen wirft das Licht wie Sonnenstrahlen auf den Marmorboden. Die Station liegt 33 Meter unter der Erde und scheint doch im Himmel zu schweben. Die Station Kropotkinskaja, eröffnet 1935, wirkt durch ihre schiere Größe und die hellen Marmorsäulen hingegen beinahe wie ein Tempel.

Die Wände dieser Station in Kharkov in der Ukraine sehen aus wie Fischschuppen. (Foto: Frank Herfort)

Fotograf Frank Herfort ist schon 2004 für seine Diplomarbeit nach Moskau gekommen und wenige Jahre später ganz umgesiedelt. Die U-Bahn hat ihn immer gereizt, und doch hat er sich lange nicht an die Metro als Projekt herangewagt. "Es waren so viele Leute, so viele Stationen, so viel Material. Ich wusste nicht, wo ich anfangen soll", erzählt er Anfang Dezember im Skype-Gespräch. Als er irgendwann doch damit anfing, geschah das beinahe unbewusst.

An einem Wintertag vor sieben Jahren stand er an der eher unscheinbaren Haltestelle Schtschukinskaja, westlich vom Zentrum. In Moskau wartet man nie lange auf die nächste Bahn, doch ihm blieben ein paar Minuten, um sich umzusehen. Die Wand jenseits der Schienen war mit Metallpaneelen verkleidet, in der Mitte ist ein Relief eingearbeitet. Es zeigte typisch sowjetische Motive, Segelboote auf der Moskwa, Flugzeuge und Friedenstauben am Himmel. Symbole, wie sie ihm auf seiner Reise durch den Untergrund noch oft begegnen sollten, Bilder von technischen Errungenschaften wie Zeppeline und Erntemaschinen oder Heerführer und Kosmonauten, Arbeiter und Sportler, die sich ins Zeug legen für eine gemeinsame Utopie. Von da an achtete er immer mehr auf Details, fotografierte Statuen, Mosaike, Kronleuchter, Treppenaufgänge. Herfort fuhr eine Station nach der anderen ab, um ein Gefühl zu bekommen für Moskaus unterirdischen Reichtum.

770 Stationen in 19 Städten hat Herfort besucht

Schon ihre Erbauer bewarben die Stationen als "Paläste fürs Volk", auf Herforts Bildern hat der Betrachter sie ganz für sich allein. Insgesamt 779 Stationen in 19 Städten hat er besucht. Unterschiede fielen ihm eher bei den Pendlern auf als in der Architektur: In Sankt Petersburg drängeln sie weniger als in Moskau, in Nowosibirsk fahren sie spät zur Arbeit, in Samara reisen sie lieber über der Erde. Ihre Metro haben sie alle dem sowjetischen Staat zu verdanken.

Moskau war als erstes an der Reihe. In den Dreißigerjahren plante Josef Stalin die Hauptstadt nach seinen größenwahnsinnigen Vorstellungen gründlich um, mit zehnspurigen Straßen und gigantischen Wolkenkratzern. Doch kein Unternehmen erschien wagemutiger als die Metro. "Wir hatten sehr wenig Ahnung von diesem Bau, waren naiv und betrachteten es als etwas fast Übernatürliches", erinnerte sich später Nikita Chruschtschow, damals Chef der kommunistischen Partei in Moskau. Die U-Bahn zu graben sei ihnen anfangs noch schwieriger erschienen "als die Raumfahrt heute", schrieb er Jahrzehnte später in seinen Memoiren.

Disko oder U-Bahn? Diese Haltestelle in Jekaterinburg ist auf jeden Fall ein Hingucker. (Foto: Frank Herfort)

Viele unterirdische Stationen erscheinen heute noch unbegreifbarer, wenn man bedenkt, was an Moskaus Oberfläche geschah, während sie entstanden. Der U-Bahnhof Ploschad Rewoljuzii etwa ist der russischen Revolution gewidmet, dort hocken Arbeiter, Matrosen, Studenten, Soldaten und Bauern in Bronze unter schweren Marmorbögen. Die Station eröffnete während des Großen Terrors Ende der Dreißigerjahre, das Regime erschoss damals hunderttausende Menschen, darunter frühere Revolutionäre. Der Legende nach fürchteten die Erbauer der Station, dass die Skulpturen kniender Sowjetmenschen als Kritik an den Repressionen verstanden werden könnten.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurden U-Bahnen zu Bombenschutzkellern. In der Moskauer Metro öffneten Geschäfte, sogar Bibliotheken, dort wurden Haare geschnitten und Babys geboren. Und es wurde weiter gebaut: Die Stationen dieser Zeit feierten den sowjetischen Sieg mit viel Prunk und Pathos. Als Prächtigste unter ihnen gilt die Komsomolskaja an der Ringstrecke, dort zeigen Mosaike Nationalhelden nach wichtigen Schlachten, die älteste ist fast 800 Jahre her. Stalin wollte sich mit ihnen in eine Reihe stellen, sein Konterfei wurde in den Sechzigerjahren allerdings durch das Lenins ersetzt.

Nach Stalins Tod wurde es bescheidener

Frank Herfort zeigt die Schönheit dieser Stationen, die Politik dahinter spart sein Bildband aus, also die Ausbeutung der Zwangsarbeiter, den kommunistischen Terror, die Unverhältnismäßigkeit der protzigen Bauten während der Kriegs- und Nachkriegsjahre. "Oben wurde gebombt, die Leute hatten nichts zu essen, und unter die Erde wird teurer Marmor gebracht", so kommentiert Herfort den Widerspruch.

An der ansonsten schlichten Station Tulskaja in Moskau stechen die eigenwilligen Lampen hervor. (Foto: Frank Herfort)

Nach Stalins Tod wurden die Stationen bescheidener, umso mehr, je weiter man aus dem Zentrum herausfuhr. Manche unterscheiden sich nur noch durch die Farbe der Fliesen an den Wänden. Die Säulen stehen in schlanken Reihen links und rechts des Bahnsteigs, was diesen Stationen in den Sechzigerjahren den Namen "Tausendfüßler" einbrachte, Sorokonoschki im Russischen. Wörtlich heißt das Vierzigfüßler - was noch besser zur Zahl der Säulen passt.

Die Moskowiten sind stolz auf ihre Metro, für sie ist sie kein Museum, sondern Wohnraum und Treffpunkt. Im größten Trubel verabredet man sich in der Mitte des Bahnhofs, "klappt meistens", sagt Herfort. Er mag besonders die Stationen der Achtzigerjahre, wie die sehr schlichte Tulskaja, die völlig auf Säulen und Bögen verzichtet. Umso mehr stechen die eigenwilligen Lampen hervor, die riesige Karos an der Decke formen. Für noch mehr "Achtzigerjahre-Sozialismus-Design" ist der Fotograf ins ukrainische Charkow gefahren, die Metro der Millionenstadt eröffnete erst 1975. Die Stationen sind großzügig wie überall, wirken aber fast erdrückend mit ihren dunklen Farben und den groben, geometrischen Formen, die durch ihre Beleuchtung noch dramatischer wirken.

Eine der Lieblingsstationen des Fotografen: die U-Bahn in Taschkent. (Foto: Frank Herfort)

Herforts Favorit liegt ein paar tausend Kilometer weiter östlich in Taschkent, damals die erste Metro in Zentralasien. Die Stationen sind farbenfroher als die in Charkow; Wandbilder zeigen die usbekische Baumwollernte, Lampen erinnern an Bienenwaben, Mosaike an sowjetische Helden wie Jurij Gagarin. Dessen Portrait hängt in der Station Kosmonawtlar, dort hat die Polizei dem deutschen Fotografen 2017 seine Speicherkarte abgenommen. In Sowjetzeiten galten viele Bahnhöfe als militärische Objekte, Herfort hat den Spruch "Fotografieren verboten" mehr als 50 Mal gehört, selbst wenn sich die Regeln längst gelockert haben.

Um sie menschenleer zu fotografieren, wartete Frank Herfort morgens früh um fünf Uhr vor den Eingängen darauf, dass die Moskauer Metro öffnete. Ganz menschenleer ist sie aber selbst nachts nicht, dann kommen Wartungsarbeiter und Putzkolonnen, polieren Lampen, wischen Böden - damit am nächsten Morgen wieder alles glänzt wie schon vor 80 Jahren.

"CCCP Underground, Metro Stations of the Soviet Era", Frank Herfort , Benteli Verlag , 25 Euro

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