In den vergangenen zwölf Jahren ist beim TSV 1860 München viel passiert, aber eines ist gleich geblieben: Investor Hasan Ismaik wettet darauf, dass 50+1 fallen wird. Und immer wieder hat er seither damit gedroht, gegen die Regelung juristisch vorzugehen. Im Jahre 2011 stieg Ismaik als Investor beim damaligen Zweitligisten ein, und im Kooperationsvertrag wurde damals geregelt, dass er mit seiner Firma HAM International bei einem Wegfall von 50+1 die Kontrolle über den Klub sofort übernehmen kann. Jene 50+1-Regel sichert den eingetragenen Vereinen und ihren von den Mitgliedern gewählten Gremienmitgliedern die Macht in den deutschen Klubs gegenüber Investoren. Ismaik ging wohl davon aus, dass sie bald fallen würde, aber das ist in einem Dutzend Jahren nicht passiert. Und nun stand ein Termin an, der sie noch zementieren sollte.
Am 9. Oktober hätten die 36 Profivereine der ersten und zweiten Bundesliga über die 50+1-Regel abstimmen sollen - der Ausgang wäre absehbar gewesen: Die Regelung soll bleiben und auf eine sichere Grundlage gestellt werden, Ausnahmen sollen nicht mehr zulässig sein. Doch ein Befangenheitsantrag von HAM International gegen einen Entscheider des Bundeskartellamts führte nun laut Deutscher Fußball-Liga (DFL) zu einer "Verschiebung", voraussichtlich auf den 9. Dezember.
TSV 1860 München:Eskalationsstufe blau
Die Transfers, die Sechzig in Abwesenheit eines Sportchefs tätigte, werfen Fragen auf. Die Aufsichtsräte des e. V. fühlen sich nicht ausreichend informiert - der Gesellschafterstreit betrifft nun auch Trainer und Mannschaft.
Dass Sechzig als Drittligist in die Vorgänge überhaupt involviert ist, liegt daran, dass sich jeder beiladen lassen kann, der ein berechtigtes Interesse vorweisen kann; dies haben beim TSV 1860 sowohl der e.V. als auch die Investorenseite getan. Während die DFL laut ihrem Schreiben davon ausgeht, dass sich die Angelegenheit durch den Antrag nur um zwei Monate verschiebt, stellte HAM International beim Bundeskartellamt einen sehr viel weitreichenderen Antrag: Das Amt solle die Prüfung der Regelung komplett neu beginnen.
Wie Spiegel Online berichtete, geht es um einen Entscheider in dem von der DFL angestoßenen Verfahren, das im Kern die Zulässigkeit von 50+1 bestätigte und somit Grundlage für die anstehende DFL-Entscheidung ist. Jener Entscheider sei selbst aktiver Fußballfan. Dies, so HAM International, sei den Verfahrensbeteiligten verschwiegen worden, durch eine Akteneinsicht sei es nun herausgekommen: Einer der drei Bearbeiter des Verfahrens sei Mitglied in einem Fanverein von Eintracht Frankfurt und auf dessen Internetpräsenz als Kassier ausgewiesen. Und jener Fanverein habe - mit etlichen anderen Fanklubs - eine Erklärung unterzeichnet, die sich für den Fortbestand der 50+1-Regel einsetzt: "Am Ende geht es um noch mehr Geld, das an immer gleiche Profiteure durchgereicht wird", heißt es darin. "Für uns Fans" werde der Fußball bei einem Wegfall von 50+1 "nicht besser und seine gesellschaftliche Verantwortung dadurch nicht gestärkt".
Bei der Prüfung 2018 bestand die Mitgliedschaft in der 50+1-kritischen Fanorganisation noch nicht
Der Beisitzende hatte 2018 beim Bundeskartellamt intern angezeigt, dass er Mitglied bei Eintracht Frankfurt ist. Ein Sprecher der Behörde teilte schriftlich mit, die Frage "einer möglichen Befangenheit wg. Vereinsmitgliedschaft" sei bereits "eingangs des Verfahrens von Amts wegen" geprüft und verneint worden. Durch Ismaiks Antrag "sehen wir uns aber dazu verpflichtet, diese erneut nach den bestehenden Regeln des Bundeskartellamtes zu prüfen". Bei der Prüfung bestand die Mitgliedschaft in der offenbar 50+1-kritischen Fanorganisation allerdings noch nicht. Auf SZ-Anfrage teilte die Pressestelle des Bundeskartellamts dazu mit: "Der betreffende Berichterstatter ist im Juni 2019 einem - von über 1000 - Eintracht-Frankfurt-Fanklub beigetreten und seit September 2021 als Vorstandsmitglied insbesondere zuständig für die Betreuung des Social Media-Kanals des Fanklubs, in dem über Besuche des Fanklubs bei Spielen der Eintracht berichtet wird. Die vermeintliche Tätigkeit als Kassierer ist ein Fehler auf der Internetseite des Fanklubs." Der Fanklub habe "das Ziel einer überregionalen Vernetzung von Fans von Eintracht Frankfurt, die gemeinsam Heimspiele besuchen und Auswärtsfahrten organisieren möchten".
Unter den Fans und Mitgliedern des TSV 1860 wird schon seit Langem diskutiert, ob ein Vorgehen von HAM International gegen 50+1 für den e.V. ausreicht, um den Kooperationsvertrag mit Ismaik aufzukündigen. Die Antwort war stets: nein. Der Wortlaut des Vertrags dürfte für diese Interpretation nicht ausreichen. Auch im aktuellen Fall fordern wieder einige Löwenfans die Kündigung, auch diesmal wird es nicht dazu kommen. Vorhersehbar sind jedoch Proteste in der Fankurve, die das Heimspiel gegen den SC Verl an diesem Samstag (14 Uhr) überlagern dürften.
Die Blogbetreiber antworten, die angefochtenen Behauptungen seien in dem Text gar nicht aufgestellt worden
Zumal auch eine andere Auseinandersetzung weitergeht, die auf den Machtkampf der Gesellschafter zurückzuführen ist - zwischen der Profifußball-KGaA und dem e.V.-nahen Blog sechzger.de, der in einem Artikel das Transfergebaren im Sommer unter Mitwirkung des Investoren-Vertreters Anthony Power kritisiert hatte. Die Betreiber erhielten, wie von KGaA-Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer angekündigt, per Rechtsanwalt eine Unterlassungserklärung und eine Aufforderung zu einer Gegendarstellung bis spätestens Donnerstag - der sie bis Freitagnachmittag noch nicht nachgekommen waren. Stattdessen antworteten sie in einem Schreiben, das der SZ vorliegt, die angefochtenen Behauptungen seien in dem Text gar nicht aufgestellt worden.
Beispielsweise habe der Autor, entgegen dem Vorwurf aus der Abmahnung, nicht behauptet, dass der frühere Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny "im Auftrag des TSV 1860 München" an Transferaktivitäten beteiligt gewesen sei: "Berichterstattung, die (...) Aktivitäten von Herrn Kothny oder Herrn Power thematisierten, müssen für die TSV 1860 München & Co. KGaA nicht von rechtlichem Interesse sein und begründen schon gar nicht einen entsprechenden Unterlassungsanspruch." Was den angeblichen Berater von Trainer Maurizio Jacobacci angehe, so enthalte der Artikel im Wortlaut lediglich die Formulierung, dass sich die Person als Berater "ausgegeben" habe. Bezüglich der getroffenen Aussagen wären die Blogbetreiber "im Ernstfall eines gerichtlichen Verfahrens (...) hinreichend vorbereitet" und könnten "entsprechende Glaubhaftmachungsmittel vorlegen bzw. Beweis antreten", schreiben sie.
Bei der Pressekonferenz zum Spiel gegen Verl erschien Geschäftsführer Pfeifer auf dem Podium und machte kurz offiziell, dass die KGaA nun rechtlich gegen den Artikel vorgehe. Man habe die Angelegenheit "intern klar aufgearbeitet", um die Vorwürfe dann "hart von uns zu weisen". Jacobacci ergänzte: "Da werden Menschen beschuldigt, die viel Zeit investiert und ehrliche Arbeit abgeliefert haben. Meine Frage ist einfach: Mit welchem Motiv?" Wer Unschuldige "beschmutzt", müsse Beweise liefern, der Artikel schade auch der Marke 1860: "Das, was uns hier zwischen den Zeilen vorgeworfen wird, ist unrecht und gelogen, und das hat Sechzig nicht verdient."
Danach verließ Pfeifer schnell das Podium. Und Jacobacci zögerte wenig später eine ganze Weile, ehe er dann doch noch eine Frage eines sechzger.de-Reporters beantwortete - zur Taktik des SC Verl.