Basketballer Ibaka in München:Der Hochdekorierte mit dem filmreifen Leben

Lesezeit: 4 min

Serge Ibaka (re.) gewann mit den Toronto Raptors den NBA-Titel - jetzt spielt er für die Bayern in der Basketball-Bundesliga. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Serge Ibaka vom FC Bayern ist der wohl schillerndste Basketballprofi der Bundesliga, er denkt weit über das Parkett hinaus. Über einen NBA-Sieger aus Afrika, der mit 18 Geschwistern in Armut aufwuchs - und seine Heimat nicht vergisst.

Von Sebastian Winter

Serge Ibaka, der höchstdekorierte und vielleicht auch schillerndste Basketballprofi der Bundesliga, trägt an diesem Dienstagnachmittag eine blaue Wollmütze mit bunten Stickereien zur Trainingskleidung seines Klubs. Ibaka, 1071 NBA-Spiele, 2019 Champion mit den Toronto Raptors, hatte sich nach seiner Vorstellung beim FC Bayern München Mitte September rar gemacht bei Frage- und Antwortrunden. Nun, ein halbes Jahr später, nimmt er sich 20 Minuten Zeit. Dieser 2,10-Meter-Hüne, der auch deswegen so breite Schultern hat, weil er nicht nur vor Spielen in den Kraftraum geht, sondern auch danach noch in der Nacht. Und er sagt: "Let's do it."

"Lasst uns loslegen", so einen Satz dürfte der 34-Jährige wohl auch den Teamkollegen zurufen im Training, im Kraftraum, vor den Duellen in der Euroleague und in der Bundesliga. Wie am kommenden Freitag gegen Kaunas und am Sonntag darauf in Göttingen. Ibaka ist da in jeder Hinsicht ein Vollprofi. Zehn Punkte im Schnitt und 5,6 Rebounds hat er in der Bundesliga erzielt, in der Euroleague sind es noch bessere 13,1 Punkte und 6,7 Rebounds. Gute Statistiken sind das, wenn auch nicht überragend. "Er ist natürlich nicht mehr der Spieler, der er vor 15 Jahren war", sagt sein Trainer Pablo Laso, der am Dienstag ein paar Minuten vor Ibaka am Mikrofon sitzt: "Aber er hat uns viel Professionalität gegeben."

Pokalsieger FC Bayern
:Der Funke springt über im deutschen Basketball

Die Münchner verteidigen ihren Pokal-Titel und verdienen sich als Gastgeber des Turniers beste Noten. Die Veranstaltung ist beispielhaft dafür, wie der Sport sich entwickelt hat - sogar Dennis Schröder kommt und macht eine deutliche Ansage.

Von Ralf Tögel

Ibaka hat im vergangenen Winter fern der Heimat dazu beigetragen, dass die Bayern nach einer üblen Schwächephase in den ersten Novemberwochen in der Bundesliga hinter Chemnitz auf Platz zwei stehen und in der Euroleague wieder Chancen auf die Play-Ins haben. Er hat sich trotz einer acht Monate langen Pause nach seiner NBA-Zeit schnell ans europäische System angepasst, was nicht einfach ist, wie er selbst betont: "Viele Spieler, die vielleicht in der NBA gut sind, haben es schwer hier in Europa. Wegen der anderen Regeln, der anderen Feldgröße, der größeren Spielintensität."

Vor allem setzt Ibaka Zeichen. Mal ein Monsterblock zur richtigen Zeit, der die Mitspieler aufrüttelt, dann dieser Treffer im Dezember im Euroleague-Spiel gegen Olimpia Mailand 0,5 Sekunden vor Schluss, mit dem er die Verlängerung erzwang - und später Münchens Sieg. "Er ist eine Referenz, die sich in wichtigen Momenten zeigt", sagt Laso. Auch in der Defense im Übrigen, selbst wenn Steals nicht so sein Ding sein mögen - dafür ist der Mann aus dem Kongo etwas zu wenig quirlig in Bodennähe.

"Wenn Sie einen Film drehen wollen, dann kommen Sie zu mir", sagt er über sein Leben

Die Adaption an Europa ging ihm auch deshalb so einfach von der Hand, weil er nach 14 Jahren in der NBA weiß, was man investieren muss, um auf höchstem Niveau zu bleiben. "Serge hat Basketball im Blut", sagt Laso. Dazu gehört, dass Ibaka, der mit Laso Spanisch und mit den Teamkollegen Französisch und Englisch spricht, sein Haus um 9.30 Uhr verlässt und erst um 17 Uhr zurückkehrt, jeden Tag. Für einen Büromenschen nichts Besonderes. Wenn man aber bedenkt, dass die Profis an drei oder vier Abenden pro Woche und an jedem Wochenende spielen und auch während der Woche lange Auslandsreisen unternehmen, dann ist es außergewöhnlich. "Das ist der Preis", sagt Ibaka. Er zahlt ihn gerne.

Ibakas Leben ist ohnehin eines, das filmreif ist, wie der Vater einer Tochter selbst formuliert: "Wenn Sie einen Film drehen wollen, dann kommen Sie zu mir." In Brazzaville geboren, wuchs er mit 18 Brüdern und Schwestern im Kongo auf. Die Familie verlor die Mutter, als er acht war. In den Wirren des Zweiten Kongokrieges zogen sie in den Norden des Landes und lebten in einer Unterkunft ohne Strom und fließendes Wasser; sein Vater, ein Hafenarbeiter, saß später im Gefängnis. "Es war nicht leicht", sagt Ibaka, doch er hat sich aus der Armut herausgekämpft. Zunächst ging er als 17-Jähriger nach Spanien, wo er die dortige Staatsbürgerschaft annahm und mit der Nationalmannschaft 2011 Europameister und ein Jahr später Olympiazweiter in London wurde. Und dann, mit 19, in die NBA.

Serge Ibaka 2016 als Spieler der Oklahoma City Thunder - am Korb beobachtet vom Deutschen Ex-NBA-Profi Dirk Nowitzki. (Foto: Ronald Martinez./AFP)

Ibaka ist dort zum Multimillionär geworden, mit viel Glanz und Glamour drumherum: Mit seiner Frau, einem Topmodel, flaniert er über rote Teppiche aller Art, es gibt Filmdokumentationen über ihn, er bringt eigene Alben heraus und taucht rappend in Videos der aufstrebenden ghanaischen Sängerin Gyakie auf. Außerdem ist er Mitproduzent des Films "Fight like a girl", der von einer jungen Kongolesin handelt, die zur Arbeit in einer illegalen Mineralienmine gezwungen wird, ihren Entführern entkommt und ein neues Leben als Profiboxerin beginnt - beruhend auf wahren Begebenheiten.

Mit seiner Stiftung unterstützt Ibaka benachteiligte Kinder im Kongo

Ach, und eine eigene Kochshow hat er auch auf Youtube. So wie Mälzer, Lafer und Co. smalltalkt er dort mit NBA-Stars wie Giannis Antetokounmpo - und bereitet nebenbei Lammzunge oder auch mal einen Rinderpenis oder Hühnchen-Eierstöcke zu. Er koche aber nicht, betont Ibaka: "Ich designe Essen." Er mache diese Dinge im Sommer, wenn Zeit ist, "sie haben mir geholfen, so lange dabei zu bleiben, weil ich durch sie meinen Kopf freibekomme".

Er kann sich seine Hobbys aussuchen, ausgesorgt hat er ohnehin, wie das so ist bei einem, der mehr als ein Dutzend Spielzeiten in der besten Basketballliga der Welt unter Vertrag stand. "Der Segen des Herrn ist es, der reich macht, und er lässt keinen Kummer folgen", steht auf seiner Instagram-Seite, der mehr als eine Million Menschen folgen. Seine Heimat, in der die Armut erdrückend ist, vergaß Ibaka aber nie. Mit seiner Stiftung unterstützt er benachteiligte Kinder im Kongo. Ihr Leitsatz: "Alles ist möglich."

Coach Laso wusste, dass Ibaka in seinem letzten NBA-Jahr in Milwaukee nicht mehr richtig zum Zug gekommen war, dass da einer ist, der einem Klub wie dem FC Bayern unheimlich viel geben kann. Deshalb rief er ihn an, bevor er selbst im Sommer in München Trainer wurde. Laso kannte ihn ja aus früheren Zeiten in Spanien: Weil es 2011 in der NBA einen Lockout gab, hielt sich Ibaka für zwei Monate bei Real Madrid fit - unter Trainer Laso.

"Ich denke, er ist hier glücklich", sagt der Bayern-Trainer Laso, "ich würde ihn sehr gerne hierbehalten." Und Ibaka? Unglücklich wirkt er ganz und gar nicht an diesem Dienstag. Er wisse noch nicht, wie es weitergeht, "ich genieße das jetzt hier, und dann sehen wir weiter". Alles ist möglich. So war das immer bei dem Mann aus Brazzaville.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusStart der NBA-Saison
:Der Basketball-Alien

2,24 Meter Körpergröße, dazu Krakenarme und Hände wie Klodeckel: Victor Wembanyama ist riesig. Und das ist auch der Hype um ihn, ehe er nun in der NBA debütiert. Wird er die Sportart verändern? Oder kann man auch zu groß sein für das Spiel unter den Körben? Eine Vermessung in Grafiken und Geschichten.

Von Jonas Beckenkamp

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: