Langlauf bei Olympia:Ein Zeichen an alle Kritiker

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Knappe Sache bis zur Silber-Medaille: Sofie Krehl auf den letzten Metern, angefeuert von Katherine Sauerbrey, Katharina Hennig und Victoria Carl. So etwas wie "Todesangst" habe sie verspürt, erzählt die Schlussläuferin später. (Foto: Sergei Bobylev/imago)

Die deutschen Langläuferinnen werden völlig überraschend Zweite in der Olympia-Staffel. Das bestätigt Teamchef Peter Schlickenrieder, der auf das Prinzip des mündigen Athleten baut.

Von Volker Kreisl

Sofie Krehl war überrascht. Denn dies war Olympia. Jenes traditionelle Elitetreffen, um das sich die ganz großen Legenden ranken. Wenn ältere große Skisportler von den Spielen erzählen, dann geht es meist ums Maximale, das Podium, die Medaille, den Platz in der eigenen Sportgeschichte, die im Langlauf sehr weit zurückreicht. Und nun stand die junge Olympiadebütantin Krehl vor der letzten Runde der Frauenstaffel als Schlussläuferin bereit - und zwar ganz vorne.

"Als Allererste auf die Strecke zu gehen, das war eine neue Situation", sagte Krehl hinterher. Ungewohnt war ebenso die Situation, dass Krehl am Ende, wenn auch nicht Gold, so doch noch die Silbermedaille gesichert hatte - was einem Zuckerl obendrauf entsprach, denn das Quartett von Trainer Peter Schlickenrieder wäre mit Bronze auch zufrieden gewesen. Die Abteilung der Männer macht ebenfalls langsam Fortschritte, sie erreichte am Sonntag den mindestens erhofften fünften Staffel-Rang. Die Langläuferinnen wollten indes schon mehr, nach Jahren des Misserfolgs, nach einer missratenen Heim-WM in Oberstdorf, ging es um ein Zeichen an alle Kritiker.

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Dieser zweite Platz zwischen Gold, das schließlich die Russinnen gewannen, und Bronze (Schweden) passte dennoch besser zu diesem überraschenden Tag. Von diesem wird die Langlaufgemeinde des Deutschen Skiverbands und das Quartett Katherine Sauerbrey, Katharina Hennig, Victoria Carl und Sofie Krehl noch länger schwärmen, etwa darüber, wie gut alles gelaufen war und wie unglaublich knapp es am Ende noch wurde. So knapp, dass die verfolgte Schlussläuferin Krehl am Ende so etwas wie "Todesangst" verspürte, und der Teamchef Peter Schlickenrieder mit den Tränen kämpfte.

Der erste Hinweis: Startläuferin Katherine Sauerbrey hält Anschluss an die Spitze

"Ich denke, das ist das, was den Langlauf ausmacht", sagte Schlickenrieder. Man hatte sich vorgenommen, mit diesem Tag auch einen Beweis zu führen, nämlich, dass das Langlaufen als Spitzensport im deutschen Verband eine Zukunft hat. Schlickenrieder hatte daher bewusst immer wieder eine Medaille als Ziel ins Gespräch eingestreut. Genauso wie er auch erwähnte, dass der Unterbau für die Zukunft tragfähig bleibt. Das Langlaufen werde des Weiteren nicht durch den Schneemangel abgeschafft, auch diese Meinung hatte er zuletzt mit durchaus guten Argumenten dargelegt. Und schließlich sollte mit einer Medaille auch sein Trainingskonzept vom reifen Athleten bestätigt werden, was nun von Anfang an gelang.

Große Erleichterung: Sofie Krehl (unten), die als vierte deutsche Starterin auf die Loipe ging, und Katherine Sauerbrey, die als erste Anschluss hielt an die großen Langlauf-Nationen. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Katherine Sauerbrey, 24, sollte als Startläuferin den ersten Hinweis geben. Sie hatte sich ebenfalls bereits im Klassisch-Rennen über zehn Kilometer bewährt, nun absolvierte sie ohne Probleme ihren Part und meisterte die Aufgabe: Dranbleiben, Anschluss halten an den Ski-Enden der großen Langlauf-Nationen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass zwei der Dauer-Favoriten eine schwere Niederlage erleben würden: Die Teams von Finnland und Norwegen kamen nicht aufs Podest.

Sauerbrey hatte die Deutschen also auf Kurs gehalten, dann schlug die Viertelstunde von Katharina Hennig. Für Russland ging nun Natalia Neprjajewa in die Spur, Hennig knapp dahinter, selber verfolgt von der aktuell zweimaligen Pekingsiegerin Therese Johaug, die nun alles geben musste, um die Lücke zuzulaufen. Johaug arbeitete und stemmte und schob, letztlich kam sie an die beiden aber nicht mehr heran, der Vorsprung von rund 20 Sekunden blieb. Und dann passierte es tatsächlich: Auf der letzten langen Schleife, eingangs des großen Zielareals, da ging Hennig in die Nebenspur und überholte Neprjajewa - und das DSV-Quartett lag auf einmal, ja, auf dem Gold-Rang.

Auch das gelang: In der Abfahrt waren die Deutschen schneller - dank besserer Ski

Niemand mehr lief vor ihnen - das hatten die meisten von ihnen zuletzt wohl eher in Jugendrennen oder nationalen Ausscheidungen erlebt, dies hier aber war die Olympiastaffel. Und für die Motivation eines Teams ist so ein Zeichen kostbar. Es war wohl der letzte Beweis für die beiden, die noch kamen und die womöglich erkannten: Wir müssen uns ja gar nicht verstecken.

Victoria Carl jedenfalls sprang - nun in freier Technik - auf und davon, dahinter die Russin, der Abstand des fünfköpfigen Verfolgerfeldes blieb überraschend groß, war aber auch nicht wirklich beruhigend. Überhaupt, es ging in Richtung Entscheidung, die Frage kam auf, wann die Deutschen denn zurückfallen, und ja, Carl musste am ersten Anstieg nach dem Wechsel ihrem Tempo Tribut zollen und wurde überholt. Die Langlaufwelt schien wieder den bekannten Gesetzen zu folgen, jedoch: Zu diesen zählen auch oft mal gut präparierte deutsche Skier, und tatsächlich, als Tatjana Sorina die Abfahrt beendete, war Carl wieder hinten dran und lief sogar an ihr vorbei. Mehr noch, sie baute die Führung aus. Ergebnis des dritten Staffel-Teils: Sofie Krehl, die Schlussläuferin, ging verblüfft als Führende in die Schlussrunde, wieder waren es rund 20 Sekunden.

Schlickenrieders Philosophie von der selbständigen Sportlerin und vom selbständigen Sportler ging also auf. Der Teamchef weiß, dass ein erfolgreicher Athlet weniger durch fremde Trainingspläne, durch Vorgaben, Druck und Zwang entsteht, sondern umgekehrt: "Er muss absolut überzeugt sein von dem, was er tut. Und das kann er nur, wenn er selbst entscheidet und diese Verantwortung annimmt", sagte Schlickenrieder zuletzt dem Fachmagazin Nordic Sports. Alle vier Läuferinnen haben dies am Freitag auf der Langlaufstrecke von Zhangjiakou vorgeführt. Sie haben Tempo rausgenommen und verschärft, dort, wo sie es für richtig hielten, und damit ihre Kräfte optimal zur Wirkung gebracht. Anders ist dieser ersehnte Erfolg nicht zu erklären.

Verblüfft als Führende in die Schlussrunde, erschöpft als Zweite ins Ziel: Sofie Krehl. (Foto: Francisco Seco/AP)

Vor allem gelang dies Krehl, deren Kräfte in der zweiten Hälfte ihrer Strecke immer weiter schwanden. Hinter ihr stampften die Gegnerinnen wie zwei Lokomotiven heran, in einem Tempo, dem Krehl offensichtlich nicht mehr lange widerstehen konnte. In so einem Moment, in dem eine Sportlerin in der Loipe geschluckt werden kann und damit auch der ganze, schöne Erfolg des Teams - da kann wohl tatsächlich eine Ahnung von Untergangsstimmung bei Krehl aufgekommen sein, "beinahe Todesangst", wie sie sagte.

Dann ging es zum letzten Mal ins Halbrund vor der Zielgeraden und Krehl konnte links in den Augenwinkeln schon ihre sicheren Bezwingerinnen Jonna Sundling und Krista Parmakoski erahnen, aber dann kramte sie noch ihre letzten Energien zusammen, rutschte drei, vier Meter vor den Verfolgerinnen ins Ziel und fiel dort in den Schnee. Irgendwann kam auch sie zur Besinnung und erkannte wohl, dass dieses deutsche Quartett jetzt selbst Teil einer olympischen Legendengeschichte ist.

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