Fußball bei Olympia:Das ganz große Drama

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Erlösung nach dem letzten Schuss: Julia Grosso (unten links) tritt als zwölfte Elfmeterschützin im Finale gegen Schweden an - und sichert Kanada Gold. (Foto: Carlos Barria/Reuters)

Kanadas Fußballerinnen gewinnen erstmals olympisches Gold. Gegen Schweden behalten sie in einem spannenden Elfmeterschießen im entscheidenden Moment die Nerven.

Von Anna Dreher, Yokohama/München

Caroline Seger, ein Glück, sie würde das zu einem guten Ende bringen. Oder nicht? Die 36 Jahre alte Kapitänin des schwedischen Fußballnationalteams, so erfahren, so ruhig selbst in brenzligen Situationen, sie würde bestimmt nicht danebenschießen. Ihre Mitspielerinnen, die Seger dabei beobachteten, wie sie als neunte Schützin zum Punkt lief, wirkten jedenfalls beruhigt. Und Kanadas Torhüterin Stephanie Labbé grinste auch nicht mehr oder hüpfte wie zuvor auf der Linie hin und her. Das hier war wirklich wichtig, das hier war der Elfmeter, der über Gold oder Silber entscheiden könnte. Seger atmete tief durch. Lief an. Und schoss meterweit über die Latte.

Dieser Ball, er wollte im olympischen Fußballfinale der Frauen nur ungerne ins Tor. Das hatten die kanadischen und vor allem die schwedischen Fußballerinnen am Freitagabend oft zu spüren bekommen. Und nun ging es im Elfmeterschießen gerade so weiter, es brachte alle zur Verzweiflung und machte dieses Endspiel zu einem wahren Nervenkrimi, zum ganz großen Drama.

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Der Schuss von Seger war der vierte Elfmeter nacheinander, der nicht im Tor landete. Und nachdem dann Deanne Rose Kanada wieder herangebracht hatte und Labbé den nächsten Schuss parierte, war es Julia Grosso, die zur Entscheiderin wurde. 20 Jahre alt, keine 30 Länderspiele, Mittelfeldspielerin bei der University of Texas. Aber sie blieb cool, traf zum 3:2 (0:1, 1:1, 1:1) und löste eine Euphorie aus, in der überdeutlich wurde, welche Bedeutung diese Medaille für ihr Team hat: Nach Bronze 2012 und 2016 erstmals Gold, der größte Erfolg für den kanadischen Frauenfußball.

Eigentlich galt als sicher, dass die USA Gold gewinnen würden. Doch die verloren im Halbfinale gegen Kanada

Schon das Erreichen des Endspiels war ein enormer Schritt gewesen, weil im Halbfinale kein Geringerer als die USA bezwungen worden waren. 20 Jahre lang hatten die Kanadierinnen nicht gegen ihre Nachbarinnen gewinnen können. Überhaupt galt ja schon als sicher, dass Gold an die Amerikanerinnen gehen würde. 2019 waren sie mit einer Aura der Unbesiegbarkeit Weltmeisterinnen geworden, bis zum Turnier in Japan hatten sie 44 Partien lang nicht verloren. Gold lautete das Ziel und es schien alles andere vermessen zu sein. Seit Frauenfußball 1996 in Atlanta ins olympische Programm aufgenommen wurde, hatten sie viermal Gold und einmal Silber gewonnen.

Doch nun waren es die Schwedinnen, die durchweg so souverän auftraten, dass sie ihren Favoritenstatus immer weiter festigten und schon zum Auftakt mit einem großen Ausrufezeichen versahen. Sie überrannten die USA mit 3:0, wovon sich diese nicht mehr richtig erholen sollten. Am Donnerstag sicherten sie sich mit 4:3 gegen Australien immerhin noch Bronze.

Die Schwedinnen hingegen zeigten selbstbewusst über das ganze Turnier hinweg eine verlässlich gute Abwehrleistung und agierten mit einer flexiblen und variablen Offensive, was in einem Torverhältnis von 13:2 und dem zweiten olympischen Finaleinzug nach 2016 mündete. Damals verloren sie gegen Deutschland, das sich dieses Mal nicht qualifizieren konnte. Und nun schien ihnen auch die Erfahrung aus der Niederlage von Rio zu helfen, mehr Entschlossenheit in jede Bewegung zu legen und zu einem verschworenen Kollektiv zu werden.

Es sollte sich rächen, dass die Schwedinnen so viele Torchancen ungenutzt ließen

Die Kanadierinnen stemmten sich mit ihrer Zweikampfhärte dagegen, aber ihnen war die Nervosität anzumerken, vor dem ganz großen Coup zu stehen. Ballverluste durch Fehlpässe prägten die ersten Minuten. Die Schwedinnen zeigten immer wieder ihre Angriffsgefahr, in der 34. Minute schließlich mit einem erfolgreichem Abschluss: Kosovare Asllani sprintete die rechte Seite entlang und passte im richtigen Moment zu Stina Blackstenius. Die 25-Jährige schoss den Ball per Direktannahme zum 1:0 ins Tor, ihrem fünften Treffer bei diesen Spielen. Doch es sollte sich rächen, dass sie weitere Gelegenheiten ungenutzt ließen.

In der 65. Minute brachte Bayern Münchens Amanda Ilestedt im Strafraum Christine Sinclair zu Fall. In diesem Moment veränderte sich die Dynamik. Mit 187 Treffern hat die 38-jährige Sinclair mehr Länderspieltore als sonst jemand im Fußball erzielt, sie hat fünfmal an einer WM und viermal an Olympia teilgenommen. Sie wusste genau, dass diese Szene entscheidend sein würde und reklamierte vehement einen Strafstoß. Es dauerte, bis ihr die Schiedsrichterin nach Rücksprache und Videobetrachtung zustimmte - aber sie tat es.

Jessie Fleming, die bereits gegen die USA verwandelt hatte, trat an und war auch dieses Mal erfolgreich, 1:1, Ausgleich (67. Minute), alles wieder offen, auf einmal drehten die Kanadierinnen auf. Nur reichte auch das nicht. Die Schwedinnen kämpften unermüdlich, kamen immer wieder zum Abschluss, doch auch in der Verlängerung fehlte die entscheidende Präzision. Und es dürfte sie noch lange beschäftigen, dass sie diesen vermaledeiten Ball nicht in der regulären Spielzeit, nicht in der Verlängerung und auch nicht im Elfmeterschießen öfter über die Linie gebracht haben, obwohl sie so viele Möglichkeiten hatten.

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