Tischtennis bei Olympia:"Versuchen wir es eben ein 19. Mal!"

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Sie hatten keine Chance, aber sie hätten sie gerne genutzt: Timo Boll und Patrick Franziska (von links) im Doppel gegen Ma Long und Xu Xin. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Am Ende eines brillanten Olympia-Turniers ist für die deutschen Tischtennisspieler im Spiel um Gold wieder mal gegen China Schluss. Aber Paris ist ja schon 2024. Der 40-jährige Timo Boll überlegt, ob er noch einmal antritt.

Von Claudio Catuogno, Tokio

Es ist immer wieder dieselbe Frage, und der Tischtennis-Bundestrainer Jörg Roßkopf gibt immer wieder dieselbe Antwort darauf. Da spielt man also gegen China um Gold, die Tischtennis-Großmacht, den ewigen Olympiasieger, der in seinen Reihen nicht nur den Weltranglisten-Ersten hat, sondern auch den Weltranglisten-Zweiten, und den Weltranglisten-Dritten, den auch. Da weiß man also schon vorher, dass man wahrscheinlich wieder verlieren wird. Da stellt man sich also an die Platte, die Musik geht aus, Konzentration auf den ersten Aufschlag, tief runtergehen für die erste Ballannahme ...

Was lässt einen eigentlich glauben, dass es heute klappen wird?

"Da muss man wahrscheinlich selbst Sportler gewesen sein, um das zu verstehen", sagte Roßkopf am Freitag in Tokio. "Wenn wir diesen Optimismus nicht jedes Mal hätten, müssten wir gar nicht antreten. Aber deswegen lieben wir es ja, es ist die Herausforderung schlechthin. Wir haben 18 Mal verloren? Versuchen wir es eben ein 19. Mal!"

Und was, Jörg Roßkopf, müsste zusammenkommen, um es wirklich mal zu packen? "Drei Siege. So einfach."

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Von den drei Siegen waren die deutschen Tischtennisspieler Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska auch am Freitag wieder weit entfernt, 0:3 verloren sie das olympische Finale gegen die wieder mal unschlagbaren Chinesen Fan Zhendong, Ma Long und Xu Xin. Drei gewonnene Sätze hatten die Deutschen am Ende zusammengekratzt, zwei durch Ovtcharov, einen durch Boll, keinen durch das Doppel Boll/Franziska. Neun Sätze hatten sie verloren.

Die Bilanz des deutschen Teams ist trotzdem beachtlich

Das Schöne bei Olympia ist aber: Man hat dann Silber gewonnen. Es gibt dann eine Siegerehrung, es gibt Medaillen, es gibt Emotionen, und bald folgt auch die Gewissheit, wieder ein großartiges Turnier gespielt zu haben, mit Siegen gegen Taiwan und Japan, auch keine Selbstverständlichkeit. "Da waren ein paar Freudentränen mit dabei", sagte Ovtcharov, gerade vom Podest herabgestiegen. "Für mich war das eine Ehre - und Timo hat gesagt, für ihn auch."

Die Bilanz ist ja trotzdem beachtlich. "Wir sind die Nummer zwei auf der Welt", sagte Roßkopf, "seit vielen Jahren schon, und die Nummer eins in Europa." Nach Silber 2008 in Peking und jeweils Bronze 2012 in London und 2016 in Rio war es für die deutschen Männer die vierte Medaille im Mannschaftswettbewerb in Serie. Ovtcharov hat außerdem Bronze gewonnen im Einzel. Und das im Tischtennis, "das ist ja ein globaler Sport", sagte Roßkopf. Das ist nicht Rodeln oder Bahnrad, dafür braucht man nur eine Platte und einen Schläger. Darin sind sie weiterhin die Besten hinter den Allerbesten, in dem Wissen fliegen Ovtcharov, Boll und Franziska jetzt nach Hause. Danke, wir haben's versucht, versuchen wir's halt wieder.

Aber wie lange kann das noch so weitergehen? Timo Boll ist jetzt 40 Jahre alt, und was das für die Spiele in drei Jahren in Paris heißt, darauf hat er selbst noch keine klare Antwort. "Es macht mir noch großen Spaß", sagt er. "Ich will aber auf keinen Fall jemandem den Platz wegnehmen, wenn ich da leistungsmäßig nicht mehr hingehöre." Er könne "schon noch mithalten", sagte Boll, "in den entscheidenden Momenten bin ich aber schon etwas langsam gegen die Besten. Die haben mich heute wieder zu schwierigen Bewegungen gezwungen, es wird mühsamer. Meine Zeit ist noch nicht vorbei, aber in drei Jahren wird es vielleicht noch schwerer sein, die Besten zu schlagen."

Ovtcharov gelingen zwei brillante Sätze gegen Fan Zhendong

In Tokio gab es immer wieder diese Momente, in denen am Tischtennishorizont so etwas wie ein Momentum schimmerte - jetzt noch diesen Punkt holen und noch den nächsten ... Dann geht heute was! Aber jedes Mal haben die Chinesen das schnell wieder als Fantasterei entlarvt. Traum vorbei. Das Doppel wäre wichtig gewesen für die Deutschen, aber da hatten Boll und Franziska gegen Ma Long und Xu Xin sehr schnell keine Chance. Dann war Ovtcharov gegen Fan Zhendong dran, den Weltranglisten-Ersten. Ihm gelang ein brillanter erster Satz und nach dem verlorenen zweiten noch mal ein brillanter Dritter. "Wenn ich das gewonnen hätte, wer weiß ... " Und Boll wehrte gegen Ma Long fünf Matchbälle ab, großes Kino, aber die Entscheidung war da schon gefallen.

Warum glaubt man trotzdem dran? Weil jeder von ihnen im Einzel schon mal einen Chinesen geschlagen hat. "Jeder hat gute Erfahrungen mit einzelnen von ihnen", sagte Boll, "es muss halt der eine Tag kommen, an dem alles zusammenkommen muss. Der Glaube ist weiter da."

Frage nach der Siegerehrung von einer chinesischen Kollegin, "eine gute Frage", sagt Dimitrij Ovtcharov: Ist ein Tischtennis-Sieg gegen China die größte Herausforderung, die es im Sport überhaupt geben kann? Ovtcharov überlegt eine Weile. "Ich habe gelesen, Novak Djokovic sagte mal was Ähnliches zu der Herausforderung, Rafael Nadal bei den French Open auf Sand schlagen", sagte er dann. "Dass das das Schwierigste sei, was es im Sport gibt."

Letztlich kann Dimitrij Ovtcharov aber nur als Tischtennisspieler sprechen. Und da, sagte er, "ist keine größere Aufgabe vorstellbar". Auf ein Neues also.

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