Kroos und Kramer in der DFB-Elf:Kraft aus der Mitte

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Versicherung und Kreativität im Mittelfeld: Christoph Kramer und Toni Kroos sind auch gegen Polen gefragt. (Foto: imago/Moritz Müller)

Der eine rennt und kämpft, der andere organisiert die Offensive: Christoph Kramer und Toni Kroos könnten gegen Polen wieder die Zentrale der Nationalelf bilden - sie ergänzen sich gut. Aber sind sie bereit für noch mehr Verantwortung?

Von Thomas Hummel, Warschau

Polen ist derzeit kein großer Fleck auf der Fußball-Weltkarte. Auch wenn es direkt neben dem Land des Weltmeisters liegt, repräsentiert es eher die Peripherie. Dennoch war Polen Wegweiser für mehrere Karrieren in der deutschen Nationalmannschaft. Für Miroslav Klose und Lukas Podolski sowieso. Nun könnte es auch für Toni Kroos und Christoph Kramer so weit sein: Die beiden Profis werden am Samstagabend in Warschau wohl wieder das Zentrum des deutschen Spiels verantworten.

Das Nationalstadion an der Weichsel beherbergte vor zwei Jahren eine Partie, die die Laufbahn eines jungen Fußballers durchaus aus der Bahn hätte werfen können. Es beherbergte das Halbfinale der EM, und weil Bundestrainer Joachim Löw kurz zuvor eine pfiffige Idee hatte, sollte Kroos eigentlich der Siegfaktor sein. Der damalige Münchner kam neu in die Mannschaft, um Italiens Andrea Pirlo zu attackieren. Doch das Vorhaben scheiterte kläglich, Kroos gelang kaum etwas und Deutschland verlor 1:2. Wer wollte, konnte an dem seinerzeit 22-Jährigen die Niederlage festmachen.

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Wer Kroos heute auf das Erlebte anspricht, der erntet erst einmal einen überraschten Blick. Klar, in Warschau war das, hatte er fast vergessen. "Abgehakt" sei das, erklärt Kroos. Wer so viel durch die Welt reist und alle drei Tage woanders auftritt, der kann sich sowas nicht merken. Zudem ist seither viel passiert: Triple 2013, Double 2014, Weltmeister in Rio, Wechsel zu Real Madrid. Wenn überhaupt, dann hat die Pleite von Warschau der Karriere von Toni Kroos einen mächtigen Schub gegeben.

Christoph Kramer hatte erst im Mai dieses Jahres mit den Polen zu tun. In einem Übungsspiel in Hamburg sollte er die Mannschaft auffüllen, weil so viele Profis fehlten. 0:0 endete die Partie, Kramer forderte den Ball, lief rauf und runter und spielte kluge Pässe. Danach erfuhr er, dass der WM-Kader noch geändert werden könne und er mit ins Trainingslager fahren dürfe. Der Ausflug endete mit einem Einsatz im WM-Finale samt Heldengeschichte und Gehirnerschütterung. Von Polen hinaus in den Fußball-Olymp.

"Was passiert ist, das ist nicht einfach zu erklären, das ist schwer zu realisieren", sagt Kramer. Vor dem Gruppenspiel zur EM-Qualifikation in Warschau muss er nun schon Fragen beantworten, ob er sich bereits als Führungskraft sehe. Er lacht ein wenig und verneint.

In Brasilien hatten sich im defensiven Mittelfeld Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira abgewechselt. Der eine ist zurückgetreten, die beiden anderen sind verletzt. Deshalb rutschen nun Kroos und Kramer in die Verantwortung. Das klappte in den September-Partien gegen Argentinien und Schottland nicht reibungslos. Doch Löw ahnt wohl, dass er sich nun weniger Sorgen machen muss.

Der eher defensiv veranlagte, extrem laufstarke Kramer aus Mönchengladbach und der ballsichere Stratege aus Madrid könnten sich gut ergänzen. Kramer wird eine entscheidende Rolle zukommen, wenn die Deutschen das polnische Konterspiel unterbinden wollen. Die Gastgeber haben sich zuletzt auf den schnellen Gegenzug nach Ballgewinn konzentriert, eine kampfstarke Absicherung vor der DFB-Abwehr soll das verhindern.

Kroos war immer dann am stärksten, wenn hinter ihm einer aufgeräumt hat. Wenn er sich auf das spielerische Element konzentrieren kann, gehört er zu den weltweit besten Mittelfeldspielern - so kann er mit seiner Ballfertigkeit und vielen geometrischen Pässe für ein Übergewicht im Mittelfeld sorgen.

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Kroos soll zudem das Vakuum an Anführern füllen. Durch das Fehlen von Lahm, Schweinsteiger, Khedira, Mertesacker, Klose oder Özil muss sich im Team eine neue Hierarchie bilden. Am Selbstvertrauen des Mittelfeldspielers Kroos soll es dabei nicht scheitern. Das war schon immer prächtig, nun verfügt er zudem über die Aura des Weltmeisters.

"Er hat bei der WM in Brasilien nochmal einen unglaublichen Schritt gemacht, den der eine oder andere Bayern-Verantwortliche vielleicht nicht erwartet hat. Man merkt eine große Reife bei ihm", sagt DFB-Manager Oliver Bierhoff. Der kleine Seitenhieb Richtung München dürfte dem Spieler gefallen haben, der dort die letzte Wertschätzung vermisst hatte. Auch Bundestrainer Löw vertraut seinem Können: "Er ist der Mann, der im Mittelfeld die Mannschaft führt, die Angriffe einleitet und das Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff ist. Das hat er zuletzt überragend gemacht."

Kroos nimmt die Rolle gelassen an, die vielen Ausfälle scheinen eher Ansporn für ihn zu sein, die Polen dennoch zu schlagen. "Wir haben es hier immer so gehalten: Wenn Spieler ausfallen, fangen es andere auf." Der Satz ist auch als Kompliment an seinen Nebenmann Kramer zu verstehen, der sich nach nur sieben Länderspielen intern bereits jede Menge Respekt erspielt hat.

"Er kommt immer mit 14 Kilometern daher pro Spiel, dazu kann er noch was mit dem Ball. Da muss man schon den Hut ziehen. Er hat einen unbändigen Willen", beschrieb ihn Thomas Müller. Auch dank solcher Komplimente wirkt Kramer zuversichtlich. Er kündigte an, den Mitspielern auf dem Platz Anweisungen zu geben, er habe keine Scheu, auch mal was zu sagen.

Zudem verweigere er sich der Belastungsdebatte, obwohl gerade er mit seinem großen Einsatz den Körper strapaziert. Er bemerke die Anstrengungen durch die WM und den baldigen Saisonstart danach, "aber ich versuche mir immer einzureden, dass ich unglaublich fit bin". Auch so kann das mit der Wegweisung funktionieren: einfach an sich selbst glauben.

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