Andrea Bölk, 55, wurde im Dezember 1993 mit der Handball-Nationalmannschaft in Norwegen Weltmeisterin. Es war der bis heute letzte deutsche Titel. Man erreicht die gebürtige Rostockerin, die inzwischen in Buxtehude zu Hause ist, telefonisch in Dänemark, wo ihre Tochter Emily Bölk, 25, als Kapitänin mit den deutschen Handballerinnen die aktuelle WM bestreitet. Nach fünf Siegen in fünf Spielen geht es an diesem Montag im finalen Hauptrundenspiel gegen Gastgeber Dänemark darum, ob Deutschland als Erster oder als Zweiter ins Viertelfinale kommt. Die Qualifikation für die besten Acht hat das DHB-Team mit dem klaren 31:21 gegen Serbien am Samstag bereits sichergestellt.
SZ: Frau Bölk, wie haben Ihnen bislang die Leistungen der deutschen Mannschaft gefallen?
Andrea Bölk: Gut! Mir gefällt, dass die Mannschaft mittlerweile in der Lage ist, auch in engen Spielen cool zu bleiben. Dass sie ein Spiel wie gegen Rumänien dreht, ist ein klarer Fortschritt, das hätte sie so vor zwei Jahren noch nicht geschafft. Man erkennt eine Einheit, es herrscht große Harmonie.
Welche wegweisende Bedeutung hat das letzte Gruppenspiel gegen Dänemark?
Klar wäre es besser, mit einem Sieg und dann als Gruppenerster im Viertelfinale den Schwedinnen aus dem Weg zu gehen, aber in der K.o.-Phase muss man eh alle Gegner schlagen. Die Däninnen haben den größeren Druck, sie sind klar favorisiert.
Ist das Finale oder gar der Titel für die deutsche Mannschaft möglich?
Dazu gehört natürlich auch Glück, an solchen Tagen muss alles stimmen, aber ja, ich glaube, dann könnte diese Mannschaft ganz weit kommen.
Wie überraschend war Ihr WM-Titel vor 30 Jahren?
Wir waren schon eine gute Truppe, aber dass wir im Endspiel in Oslo vor so vielen dänischen Fans gegen Dänemark gewinnen würden, hätten wir uns nicht ausgemalt. Dem Bundestrainer Lothar Doering war es gelungen, eine Einheit zu formen. Wir hatten den Glauben sowie das nötige Glück und hatten uns in einen Rausch gespielt.
Konnte der Titel den deutschen Frauenhandball nachhaltig verändern?
Nicht wirklich. Ein Jahr später war die Europameisterschaft in Deutschland, die Hallen waren voll, das DSF ( Deutsches Sport Fernsehen) hat die Spiele übertragen, wir holten Silber und ich dachte: Jetzt geht es richtig los! Aber leider hat sich nichts nachhaltig verbessert. Viele Sportarten, außer Fußball, werden nicht im Fernsehen gezeigt, und das ist katastrophal.
Sie sehen für die Akzeptanz des Frauenhandballs in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren keine Verbesserung?
Nein. Aber ich verstehe eben auch nicht, warum ARD und ZDF die deutschen Spiele bei Europa- und Weltmeisterschaften, und zwar egal in welcher Sportart, nicht grundsätzlich übertragen. Die Menschen bekommen gar nicht erst die Möglichkeit, bestimmte Sportarten für sich zu entdecken. Emmy spielt in Budapest und macht da ganz andere Erfahrungen. In Ungarn wird jedes Sportevent, auch Handball, im Fernsehen gezeigt. Das Gleiche gilt hier in Dänemark.
Deutsche Handballerinnen haben seit 2008 kein Halbfinale mehr erreicht und waren zuletzt 2008 bei Olympia. Warum tut sich die Mannschaft seit Jahren so schwer?
Die Leistungsträgerinnen waren sehr jung - und sind es eigentlich immer noch. Sie sammeln Erfahrungen und werden mit der Zeit abgeklärter, zum Beispiel durch Spiele in der Champions League. Die Breite im Kader ist mittlerweile größer, die Auswahl ist vielfältiger. Es gibt nicht nur eine starke erste Sieben, man kann auch ohne Leistungsverlust wechseln. In der Mannschaft steckt unheimlich viel Potenzial, sie ist auf einem richtig guten Weg.
Wie bewerten Sie die Arbeit des Bundestrainers?
Endlich ist mit Markus Gaugisch ein Bundestrainer mit Leib und Seele dabei. Er findet immer die richtigen Worte, hat selbst Handball gespielt und weiß, wie sich die Spielerinnen in bestimmten Situationen fühlen. Markus Gaugisch ist offen und kommuniziert unheimlich viel. Die Mannschaft vertraut ihm, es passt super. Damit sind beste Voraussetzungen geschaffen, um endlich mal wieder um Medaillen kämpfen zu können.
Wie stolz sind Sie, dass Ihre Tochter sogar Kapitänin des Nationalteams ist?
Sehr stolz. Am Anfang dachte ich: Hoffentlich geht es gut, sie war noch so jung und das kostet vielleicht zu viel Kraft. Aber Emmy ist eine Person, die sehr darauf bedacht ist, dass es der Mannschaft gut geht und der Zusammenhalt groß ist. Sie bekommt beides super hin: Führungsspielerin und Kapitänin.
Emilys Karriere war vorhersehbar. Die ganze Familie ist ausgesprochen sportlich.
Mein Vater, Klaus-Peter Stein, war Fußball-Europameister mit der DDR-Junioren-Auswahl und hat bei Hansa Rostock gespielt. Auch mein Bruder Heiko spielte später bei Hansa. Meine Mutter Inge war Handball-Nationalspielerin bei Empor Rostock, so wie ich später auch. Das Witzige war: Meine Eltern waren in Rostock in derselben Kinder- und Jugendsportschule wie später mein Mann und ich. Wir sind denselben Weg gegangen. Mein Mann Matthias war Handballer erst bei Empor Rostock und nach der Wende beim VfL Fredenbeck.
Emilys Handballkarriere war demnach ganz in Ihrem Sinne?
Ich habe nach Emmys Geburt weiter Handball gespielt und habe sie eigentlich immer mit zum Training geschleppt. Sie ist praktisch in der Sporthalle aufgewachsen. Emmy hatte aber alle Möglichkeiten, sich in anderen Sportarten auszuprobieren, doch ihr Herz hing von Anfang an am Handball.