Handball:Mit Herz, Hirn und der dritten Welle

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Timo Kastening überzeugte nicht nur am Siebenmeterpunkt in den beiden Testspielen gegen Ägypten, der Rechtsaußen war bester Torschütze. (Foto: Wolfgang Fehrmann/HMB-Media/Imago)

Die deutsche Nationalmannschaft zeigt in den Testspielen vor der Kadernominierung für die Heim-EM im Januar viele gute Ansätze - und Schwächen. Die Zuschauer sind zumindest schon in EM-Form.

Von Ralf Tögel, München

In der 56. Spielminute klebte David Späth die Briefmarke auf sein Bewerbungsschreiben. Die Handball-Nationalmannschaft führte mit 26:25 Toren im zweiten Testspiel gegen Ägypten, der Afrikameister war drauf und dran, das Spiel zu drehen. Dass der Olympia-Vierte von Tokio zur erweiterten Weltspitze zählt, hatten die Ägypter schon am Freitagabend mit dem 31:31-Remis beim ersten Aufeinandertreffen in Neu-Ulm bewiesen. In der mit 10 911 Zuschauern ausverkauften Münchner Olympiahalle nun waren die Deutschen zwar das bessere Team und führten phasenweise mit bis zu sechs Toren (23:17/40.), aber in der Schlussphase stemmten sich die Ägypter vehement gegen die drohende Niederlage. Wobei sie neben starker Physis auch hohe Handballkunst zeigten; die Nordafrikaner werden vom ehemaligen Weltmeistercoach Carlos Pastor angeleitet und waren ein idealer Gegner für diese wichtige Standortbestimmung.

Als nun vier Minuten vor dem Ende Yehia El-Deraa nach einem Kempa-Anspiel den Ball in der Luft fing und frei auf Späth zusegelte, warf sich der deutsche Torhüter in den Wurf des Gegners und verhinderte den Ausgleich. Es war die wohl entscheidende Parade zum 28:27-Erfolg im letzten Vorbereitungsspiel des Jahres, das für Trainer Alfred Gislason die finale Möglichkeit für Eindrücke bot, ehe er im Dezember den Kader für die Heim-EM im kommenden Jahr (10. bis 28. Januar) bekannt gibt. 18 Spieler werde er dann benennen, erklärte der Isländer nach dem Spiel recht grimmig, denn wie schon in Neu-Ulm waren seine Spieler zu unaufmerksam gewesen und hatten ein besseres Resultat in der Schlussphase verschusselt.

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"Das hat mich am Freitag und heute wieder geärgert", brummte der 64-jährige Isländer, räumte zugleich ein, dass seine Mannschaft "vieles richtig gemacht hat". Am Torhüter David Späth dürfte er kaum mehr vorbeikommen, denn der U21-Weltmeister hatte in seinen beiden ersten Spielen im A-Team bestens für eine Nominierung geworben.

Andreas Wolff ist im deutschen Tor nach überwundener Verletzung gesetzt, in München wird er geschont

In München stand Späth in der ersten Halbzeit und der Schlussphase auf dem Parkett, dazwischen der von Gislason zurückgeholte Routinier Silvio Heinevetter - der den klar schwächeren Eindruck hinterließ. Gislason dämpfte erwartungsgemäß die Euphorie um sein Torwarttalent von den Rhein-Neckar Löwen, dem er eine "ordentliche, aber keine sehr gute Leistung" attestierte. Der Bundestrainer will sich natürlich nicht drängen lassen. Neben dem gesetzten Andreas Wolff sind Späths Chancen in jedem Fall gestiegen.

Wolff ist ein Eckpfeiler im deutschen Kader, Gislason schonte ihn im zweiten Spiel, nachdem er in Neu-Ulm ein paar Spielminuten bekommen hatte. Es war der erste Einsatz des 32-Jährigen nach seinem Bandscheibenvorfall, nun soll sich Wolff Sicherheit beim polnischen Serienmeister Kielce in Liga und Champions League holen.

Und nicht nur auf der Torhüterposition bekam der Bundestrainer einige interessante Denkanstöße: So hat sich Timo Kastening, der fast eineinhalb Jahre verletzt fehlte und die WM in Polen und Schweden im Januar verpasste, als Fixpunkt auf Rechtsaußen und sicherer Siebenmeterschütze zurückgemeldet. Am Sonntagabend war der 28-Jährige von der MT Melsungen mit acht Treffern bester Werfer, Juri Knorr gelangen derer sieben.

Dabei unterstrich der Spielmacher wieder, dass er Herz und Gehirn dieser Mannschaft ist. Es war beeindruckend zu sehen, über welche Möglichkeiten der gerade mal 23-jährige Regisseur von Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen verfügt: Knorr bestimmt das Spieltempo, ist enorm torgefährlich, ohne dabei den besser postierten Nebenmann zu übersehen, hat ein gutes Auge für den Kreis und ist in der Abwehr gesetzt.

Die Defensive gefiel dem Trainer am besten, sofern die Erstbesetzung um den Innenblock Johannes Golla und Julian Köster auf dem Feld stand. Gislason bemängelte diesbezüglich fehlende Breite. Stand die Abwehr, war das Muster zu erkennen, nach dem die deutsche Auswahl jeden Gegner überrollen kann: nach Ballgewinnen aus einer starken Abwehr sofort ins Tempospiel zu gehen. Entweder sind die schnellen Außen frei - oder Knorr orchestriert die zweite und dritte Welle.

Fürs Eröffnungsspiel werden mehr als 50 000 Zuschauer erwartet - das wäre Weltrekord

Gleichwohl offenbarte die Mannschaft noch zu viele leichte Fehler und schwache Abschlüsse. "Es war der erste Lehrgang nach sechs Monaten, da fehlt es noch an Abstimmung", erklärte Linksaußen Lukas Mertens. Was laut Kapitän Johannes Golla "zu erwarten war" - und Hinweise gab, "wo wir stehen und woran wir arbeiten müssen". Noch jedenfalls reicht es nicht, um sich einen Platz auf der Liste der EM-Favoriten zu sichern. Das sind Titelverteidiger Schweden, Weltmeister Dänemark, Olympiasieger Frankreich und der EM-Zweite Spanien.

Alles im Blick: Spielmacher Juri Knorr gab einmal mehr eine Kostprobe seines großen Könnens. (Foto: Tilo Wiedensohler/Camera4+/Imago)

Als wichtiger Baustein für ein erfolgreiches Abschneiden des Gastgebers ist indes der Heimvorteil eingeplant. Für das Eröffnungsspiel in Düsseldorf werden mehr als 50 000 Zuschauer erwartet, das wäre Weltrekord. Auch die Partie in der Olympiahalle war nicht nur aus sportlicher Sicht ein wichtiger Testlauf, der Deutsche Handball Bund (DHB) ist bemüht, eine Euphorie vor der EM zu entfachen. In München ist das prächtig gelungen, schon beim 29:24-Sieg der Frauen am Nachmittag gegen Ungarn war die Halle voll.

In Südbayern gibt es eine große Handballgemeinde, angesichts des seit Jahrzehnten fehlenden Profihandballs aber auch eine gewisse Entwöhnung und damit reges Interesse an derlei Wettbewerben. Der Vorverkauf für die EM laufe laut Olympiapark GmbH besser als bei der WM 2019 - obwohl das deutsche Team seine Vorrunde in Düsseldorf und Berlin spielt. Schon damals war die Halle voll, im Januar sind in München in den beiden Vorrundengruppen Hochkaräter wie Dänemark, Island und Serbien vertreten.

"Dass wir organisatorisch so ein großes Turnier stemmen können, weiß die Welt", erklärte DHB-Präsident Andreas Michelmann. Aber man sei als Gastgeber auch emotional spitze: "Wir haben immer volle Hallen und tolle Stimmung, auch wenn Deutschland nicht spielt. Das gibt es so nur in Deutschland."

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