Handballer Fabian Wiede:"Mir fehlt die Fantasie"

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Fabian Wiede hat sich wenige Monate vor der Heim-EM erheblich verletzt. (Foto: Daniel Lakomski/mix1/Imago)

Ohne Gegnereinwirkung verletzt sich Fabian Wiede schwer - sein Ausfall für die Heim-EM in dreieinhalb Monaten droht. Und noch ein wichtiger Nationalspieler sendet ungute Signale.

Von Carsten Scheele

Bundestrainer Alfred Gislason hat mal erzählt, wie ungern er in den Wochen vor großen Turnieren ans Handy geht. Wenn es klingelt, droht meist Unheil, eine Absage oder die Kunde, dass sich wieder irgendein Handballer von nationaler Wichtigkeit verletzt hat. Vielleicht wäre es erträglicher, würde sich der Isländer im Vorfeld gar keine allzu großen Gedanken über die Zusammensetzung des deutschen Kaders machen. Einfach Handy ausschalten und Ende Dezember nach dem abschließenden Bundesligaspiel gucken, wer überhaupt fit ist - und dann wird nominiert.

So einfach geht das natürlich nicht, zumal im kommenden Januar nicht irgendein Turnier, sondern die Heim-Europameisterschaft in Deutschland ansteht. Für diese Veranstaltung laufen die Kaderplanungen längst, und Gislason hat sogar eine Doppelrückkehr klargemacht: Nach jahrelanger Abstinenz sollen die Weltklassekräfte Hendrik Pekeler (THW Kiel) und Fabian Wiede (Füchse Berlin) ins Nationalteam zurückkehren und bestenfalls gleich im Eröffnungsspiel in Düsseldorf gegen die Schweiz - vor der Weltrekordkulisse von mehr als 50 000 Fans in der großen Fußballarena - zeigen, wie sehr die Mannschaft von ihnen profitiert.

Gleich wird Fabian Wiede aus der Balinger Handballhalle getragen. Er muss operiert werden und fällt lange aus. (Foto: Oliver Schmi/Eibner/Imago)

Doch ob das klappt, ist ungewiss. Immerhin, Pekeler hat vor wenigen Tagen sein Comeback nach seiner Fersen-Operation gegeben; der Kieler Abwehrchef liegt im Zeitplan für das Turnier im Januar, es sieht gut aus. Im kompletten Gegensatz zum Berliner Rückraumspieler Wiede, der sich beim Spiel seiner Füchse in Balingen so schwer verletzt hat, dass für ihn nicht nur die restliche Hinrunde mit seinem Klub in ernste Gefahr geraten ist, sondern auch die EM mit dem Nationalteam.

Ob Wiede die EM spielen kann? Bob Hanning ist skeptisch

Es lief die 22. Minute und Wiede hatte im Grunde erstmal nur das gemacht, wofür er vom Bundestrainer so geschätzt wird. Als Linkshänder ist er im rechten Rückraum beheimatet, im Herzen ist er jedoch ein Spielmacher. Also stieg Wiede hoch, täuschte einen Wurf an, obwohl er längst anderes im Sinn hatte. Er entschied sich für einen sehr feinen Pass auf Max Darj, den Berliner Kreisläufer. Der drehte sich und warf den Ball ins Tor, doch da krümmte sich Wiede schon auf dem Boden.

Er war bei der Landung umgeknickt, ohne Gegnereinwirkung. Wiede konnte nicht aufstehen, Mitspieler und Physiotherapeuten eilten herbei. Auf einer Pritsche wurde er aus der Halle getragen, später zum Röntgen gebracht, auf Krücken kehrte er unter Schmerzmitteleinfluss zurück. Die Untersuchung in Berlin ergab: knöcherner Ausriss sowie Fraktur am rechten Sprunggelenk. Lange Pause.

Für seinen Klub, die Füchse, den aktuellen Tabellenzweiten, ist das ein erheblicher Verlust und schon die zweite schwere Verletzung nach dem Achillessehnenriss bei Kapitän Paul Drux. Sein Kapitänsamt hatte Wiede im Sommer übernommen, der nun auch langfristig ausfällt. "Unersetzbar" sei Wiede, klagte Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning beim RBB. Man werde sich bemühen, einen Ersatz für Wiede zu finden, jedoch wolle man nur Spieler holen, die das Team wirklich weiterbringen: "Und die sind gerade nicht auf dem Markt."

Wiede muss jedenfalls operiert werden, sobald die Schwellung zurückgegangen ist, beim Experten für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie in München-Harlaching. Wann er wieder spielen kann, ist gar nicht absehbar. Die Füchse werden als Reaktion erstmal U21-Weltmeister Max Beneke fest in die Profimannschaft hochziehen.

Und die Europameisterschaft, die in dreieinhalb Monaten startet? Die EM sei für Wiede "auf jeden Fall ernsthaft gefährdet", sagte Hanning: "Stand heute fehlt mir die Fantasie, daran zu glauben, dass er spielen kann."

Gislason und Wiede hatten Unstimmigkeiten zuletzt ausgeräumt

Sollte es wirklich soweit kommen, wäre es das nächste Großereignis, das Wiede mit dem Nationalteam verpasst; seit 2019 hat er bei großen Turnieren nicht mehr für Deutschland gespielt. Mal aus wichtigen Gründen (Schulter-OP vor der EM 2020), mal aus weniger wichtigen (Weisheitszahn-OP vor der WM 2023). Eine zwischenzeitliche Verstimmung beim Bundestrainer, weil Wiede ständig absagte, konnten beide in mehreren Gesprächen in diesem Sommer ausräumen. Gislason war frohgemut, dass er in Wiede für die EM im eigenen Land einen Weltklassespieler dazubekommt, den er zuletzt im rechten Rückraum vermisst hat - nun der neuerliche Rückschlag.

Und noch ein wichtiger Spieler sendet ungute Signale: Mittelmann Juri Knorr. Der Spieler der Rhein-Neckar Löwen, der als Spielmacher auch das Nationalteam lenkt, bekommt aktuell eine Bauchmuskelverletzung nicht in den Griff, weshalb sein Klub die Ausfalldauer mit "auf unabsehbare Zeit" angegeben hat. Doch Gislason weiß: Nicht Ende September, sondern Ende Dezember ist der Stichtag für die EM. Bis dahin besser: Handy aus.

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