WM-Aus für Australien:Ein Traumtor ist zu wenig

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Trauer bei den Australierinnen: Sie sind raus bei dieser WM. (Foto: Sydney Low/ZUMA Wire/Imago)

Australiens Stürmerin Sam Kerr erzielt den Treffer des Tages - doch am Ende jubelt England: Die Europameisterinnen besiegen die Gastgeberinnen und stehen im WM-Finale. Englands Trainerin Wiegmann gelingt damit etwas Einmaliges.

Von Anna Dreher, Sydney

Aus dem engen Mannschaftskreis wurde recht schnell eine Ansammlung von Punkten. Die Australierinnen wollten irgendwie zusammen sein und doch jede für sich. Sam Kerr ging einige Meter auf dem Rasen und suchte abseits ihre Ruhe. Erst stand die 29-Jährige noch aufrecht da und blickte in die Ferne, dann beugte sie sich nach vorne, aufgestützt auf ihre Beine. Schließlich musste sie sich setzen. Es wirkte, als versuche sie mit jedem Positionswechsel zu verstehen, was da eben passiert war. Aber sie schüttelte immer wieder den Kopf. Nein, begreifen konnte Kerr das wohl nicht.

Sie selbst war an diesem Abend im ehemaligen Olympiastadion von Sydney so nah dran gewesen, die Hoffnung auf den Weltmeistertitel am Leben zu halten. Doch nun war diese Reise vorbei. In ihrem Rücken tanzten die Engländerinnen ausgelassen vor jenem Teil der 75 784 Zuschauer, der ein weiß-rotes Outfit trug. Die Gastgeberinnen sind ausgeschieden, die Europameisterinnen haben es ins Finale geschafft. Dort trifft England am Sonntag (12 Uhr, ZDF) auf Spanien, das sich am Dienstag gegen Schweden durchgesetzt hatte.

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Diejenigen, die gelb-grün gekleidet auf der Tribüne saßen, aber feierten die Spielerinnen dennoch, als hätten sie gerade gewonnen. Als Kerr sich gesammelt hatte und ihre Kolleginnen zusammen rief, um ihrerseits eine weniger euphorische Runde durchs Stadion zu gehen, kam ihnen lauter Jubel entgegen. "Ich bin sehr glücklich darüber, wie die Fans das Team in einem niederschmetternden emotionalen Moment unterstützt haben", sagte Australiens Trainer Tony Gustavsson auf der Pressekonferenz. "Ich glaube, ein Grund ist, dass sie stolz darauf waren, dass alle Spielerinnen alles gegeben haben. Denn das haben sie."

Statt zu jubeln stehen die Australierinnen desillusioniert auf dem Platz

Dass die Australierinnen bei dieser WM trotz des verpassten Finales ein Wintermärchen geschrieben haben, zeigte sich auch schon, bevor das Halbfinale begonnen hatte. Die große Party, die vor dem Stadion wie bei einem Straßenfest mit Live-Band, Lichtershow und Essensständen stattgefunden hatte, übertrug sich auf den Innenbereich. Als die Australierinnen zum Aufwärmen auf den Platz kamen, waren zwar noch nicht viele Zuschauer im Stadion, die Lautstärke aber glich der manch voller Arena. "Das Vermächtnis, das wir durch diese Weltmeisterschaft hinterlassen wollten, war es, die nächste Generation zu inspirieren", hatte Torhüterin Mackenzie Arnold vor der Partie gesagt. "Ich denke, wir haben mehr als das getan, mehr, als wir erreichen wollten."

Die Gastgeberinnen waren mehr als Außenseiterinnen in ihr Heimturnier gestartet, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Rekordtorjägerin Kerr vor dem Auftakt an der Wade verletzt hatte und bis zum Achtelfinale nicht eingesetzt werden konnte. Aber das Team emanzipierte sich von seiner Überfigur und getragen von der wachsenden Begeisterung entwickelte es sich zum Mitfavoriten auf den Titel. Geschichte haben sie ohnehin schon geschrieben: Das Viertelfinale gegen Frankreich gewannen sie im längsten Elfmeterschießen, das es jemals bei einer WM gegeben hat. Und sind damit so weit gekommen, wie noch kein australisches Fußballteam zuvor.

Die "Matildas" waren es auch, die den Engländerinnen die einzige Niederlage seit dem Dienstantritt von Wiegman im September 2021 zufügen konnten. Bis auf das 0:2 im April hatte England in 30 Partien nicht verloren. Am Mittwoch aber hatten sie Schwierigkeiten, wirklich gefährlich vors Tor zu kommen, England behielt die Kontrolle. In einem von Beginn an intensiven, schnellen Spiel war es dann ein Einwurf, der die Europameisterinnen in Führung brachte. Der Ball landete bei Ella Toone. An ihren Schuss in den rechten Winkel kam die nach dem Elfmeterschießen so gefeierte Arnold in der 36. Minute nicht ran.

Nach so vielen Angriffsversuchen zeigte schließlich Sam Kerr, dass der Wirbel um sie durchaus gerechtfertigt ist: Alessia Russo verlor den Ball, Katrina Gorry passte schnell zu Kerr, die noch vor der Mittellinie lossprintete und sich nicht aufhalten ließ, bis sie aus 24 Metern ins linke obere Eck ein solches Traumtor zum 1:1 schoss (63.), das es verdient gehabt hätte, ein Siegtreffer und nicht nur ein Zwischenstand zu sein. "So, wie ich Sam kenne, denkt sie wahrscheinlich, das Tor ist nichts wert gewesen", sagte ihr Trainer Gustavsson: "Aber es beweist, wer sie ist und was sie kann."

Beim Schuss von Sam Kerr kann Englands Torhüterin Mary Earps nur springen und hinterhergucken. (Foto: Cameron Spencer/Getty Images)

Wenige Minuten später hätten die Engländerinnen schon zweimal beinahe das 2:1 bejubeln können, in der 71. Minute war der Ball drin: Nach einem langen Pass wurde Lauren Hemp zu schlecht verteidigt und konnte als nächste Arnold überwinden. "Ich habe zu ihr gesagt, so gut habe ich dich noch nie spielen sehen", sagte Rachel Daly über Hemp: "Ehrlich, dieses Mädchen ist beängstigend! Und sie wird nur noch besser und besser."

Die Australierinnen waren danach permanent bemüht und einige Male sehr nah dran, den Ausgleich zu erzielen. Kerr alleine hatte erst mit dem Kopf und dann volley aus kurzer Distanz beste Chancen. Aber statt weiter ans Finale glauben zu können, stand sie dann in der 86. Minute desillusioniert auf dem Platz - und dürfte geahnt haben, dass es vorbei war. Hemp spielte in diesem Moment mit erstaunlicher Leichtigkeit einen frechen wie cleveren Pass, der die australische Abwehr überrumpelte und zur idealen Vorlage für Russos 3:1 wurde. "Sie ist in diesem Turnier gewachsen, wie unser gesamtes Team", sagte Englands Trainerin Sarina Wiegman über Russo. "In dem Moment dachte ich: Das geben wir nicht mehr her."

Die Niederländerin ist nun der erste Mensch im Fußball, der mit zwei verschiedenen Nationen das Finale einer Weltmeisterschaft erreicht hat. 2019 war Wiegman das mit den Niederlanden gelungen, nachdem sie 2017 gemeinsam den EM-Titel gewonnen hatten - wie 2022 mit England.

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