Spanien bei der Fußball-WM:Mit Seele und Biss ins Endspiel

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Siegtreffer in der 89. Minute: Schwedens Torhüterin Zecira Musovic kann nur noch zusehen, wie der Ball, von Olga Carmona (verdeckt) geschossen, zum 2:1 über die Linie springt. (Foto: Marty Melville/AFP)

Taktisch besser als die USA, zweikampfstärker als Japan und nun auch noch effizienter als Schweden: Die Spanierinnen reisen in Hochform zum WM-Finale nach Sydney.

Von Felix Haselsteiner, Auckland

Der Unglaube hatte die Schwedinnen bereits erfasst, allerdings in einer bei dieser WM bisher ungesehenen Form. Die Trauer hatte sich in der vergangenen Woche ja immer wieder durch die Stadien in Neuseeland und Australien gezogen, auch durch den Eden Park in Auckland. Es waren tränenreiche, emotionale Abschiede vom Turnier gewesen, die die Japanerinnen, die Amerikanerinnen, die Niederländerinnen, die Kolumbianerinnen durchlitten hatten, man konnte ihnen den Schmerz ansehen auf dem Feld, und man konnte ihn hören, später im Gespräch mit den Medien, wo mindestens so viele Tränen flossen wie Worte gesprochen wurden.

Die Schwedinnen allerdings, sie wirkten jetzt: erschrocken. Erschrocken darüber, wie schnell sich diese Weltmeisterschaft für sie in die falsche Richtung entwickelt hatte. Am Ende reichten zwei Minuten - und die Spanierinnen hatten das WM-Finale erreicht. Sie hatten dieses Halbfinale mit den Mitteln der Schwedinnen gewonnen.

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Kurz zuvor hatten die Skandinavierinnen schon wieder unbesiegbar gewirkt. In dieser 88. Minute, in der man zurückdenken musste an die Millimeterentscheidung im Elfmeterschießen gegen die USA im Achtelfinale ebenso wie an die Widerstandsfähigkeit gegen Japan im Viertelfinale: Rebecka Blomqvist hatte kurz vor dem Ende dieses Halbfinales den 1:1-Ausgleich erzielt. "Schon wieder?", hat da auch Aitana Bonmatí gedacht. Das gab sie hinterher offen zu im Wissen, dass sie und ihre Spanierinnen zurückgeschlagen hatten.

Schon in der 89. Minute nämlich flog ein Schuss von Olga Carmona in Richtung der schwedischen Torhüterin Zecira Musovic, halb flog er an ihr vorbei, halb flog er über sie drüber, er knallte an die Unterkante der Latte und von dort ins Tor. Es war der Schuss zum 2:1, er brachte Spanien ins Finale am Sonntag in Sydney und Schweden ins Spiel um Platz drei am Samstag. Der Schuss stand aber auch für mehr, er kehrte auf fast schon kuriose Weise die Ereignisse um: Das entscheidende Tor dieses Halbfinals fiel nach einer Ecke, bei der ausgerechnet die Eckball-Expertinnen aus Schweden zu schlecht verteidigt hatten.

"Das war kein Zufall, dieses Tor. Spanien hat sich das verdient."

"Das ist sehr enttäuschend. Wir sind eigentlich so gut bei Standardsituation, aber bei der Ecke waren wir nicht präsent", sagte Musovic. Aber: "Das war kein Zufall, dieses Tor", gab Musovic zu, "Spanien hat sich das verdient."

So bedacht die Schwedinnen auf ihre Niederlage reagierten, so emotional waren einmal mehr die Spanierinnen, die schon nach dem Halbfinaleinzug kaum hatten fassen können, was für ein fabulöses Turnier sie hier gerade abliefern. "Ich habe alle meine Tränen verbraucht. Ich bin leer", sagte Jennifer Hermoso: "Das ist etwas, das wir nie im Leben vergessen werden."

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Von Felix Haselsteiner

Es war aber ein weiter Weg, ehe die von Jorge Vilda trainierten Spanierinnen den Schwedinnen tatsächlich deren Unbesiegbarkeit streitig machen konnten. Vor etwas mehr als zwei Wochen, bei einem 0:4 in der Gruppenphase gegen Japan, hatte Spanien noch deutlich seine Verwundbarkeit vorgeführt bekommen, Bonmatí sprach die Niederlage nun direkt noch mal an: "Vielleicht war es unser Glück, dass wir unser schlechtes Spiel in der Gruppenphase hatten. Sonst wären wir wohl schon zuhause."

Wird Bonmatí gedeckt, wächst eben Abelleira über sich hinaus

Aber inzwischen ist Spanien von Jorge Vilda offenbar ziemlich perfekt eingestellt auf diese WM. Das Team ist wehrhaft, kann Zweikämpfe gewinnen, und wenn die Gegnerinnen es schaffen, Bonmatí im Mittelfeld mit drei Spielerinnen zu decken, dann ist das auch kein Problem: Weil neben ihr die 23-jährige Teresa Abelleira von Real Madrid eine beachtliche WM spielt. "Sie wird von Spiel zu Spiel besser", sagte Bonmatí, Abelleira wachse an den Herausforderungen - wie das gesamte Team.

Und angesichts der Erfolgs rücken auch die heiklen Themen in den Hintergrund: Alexia Putellas etwa, die Weltfußballerin von 2022, die einfach nicht in Form kommt. Gegen Schweden kehrte sie in die Startelf zurück, nach 56 Minuten wich sie für Salma Paralluelo, die spätere Torschützin zum 1:0 - was dem spanischen Spiel inmitten einer schwedischen Druckphase gut tat. Putellas ist quasi das letzte verbliebene Fragezeichen im Team. Sollte Spanien am Sonntag (gegen Australien oder England) tatsächlich Weltmeister werden, dann eher nicht mit ihr als Galionsfigur.

Trainer Jorge Vilda formte aus einer meuternden Mannschaft ein Finalteam

Es ist der Fußball, der im Fokus steht: der Stil dieses Teams, das gewissermaßen alle Elemente verbindet, die bei dieser WM wichtig waren. Der große Gewinner: der zuvor umstrittene Trainer Vilda, den 15 meuternde Spielerinnen (von denen nur drei beim Turnier dabei sind) im vergangenen Herbst noch per Protestbrief entfernen wollten.

"Meine Nackenhaare stehen mir noch immer zu Berge", sagte Vilda nach dem Sieg, er sprach von der "Seele" und dem "Biss" seiner Spielerinnen, lobte sie in den höchsten Tönen. Dabei ist der Erfolg unbestritten auch Vildas Leistung: Sein Team ist taktisch geschulter als die USA, zweikampfstärker als Japan und, wie sich nun herausstellte: sogar effizienter als Schweden.

Spaniens Trainer Jorge Vilda und Schwedens Trainer Peter Gerhardsson. (Foto: Amanda Perobelli/Reuters)

Der schwedische Trainer Peter Gerhardsson gilt als großer Bewunderer jenes klassischen spanischen Stils, mit dem das Männer-Team 2010 die WM in Südafrika gewann und an das die Frauen nun durchaus erinnerten. "Ich hätte gerne, dass mein Team so spielt wie Spanien", sagte er nach dem Spiel, er lobte die Passsicherheit, er wünschte Spanien herzlich den Titel am Sonntag.

Für die Schwedinnen geht es darum, das Turnier am Samstag "mit erhobenem Kopf" zu verlassen, so formulierte es Abwehrspielerin Magdalena Eriksson. Und gerade als sie den Satz "So ist Fußball, so ist es nun mal" aussprach, konnte man wenige Meter neben ihr in der Interviewzone Jennifer Hermoso hören, wie sie laut auf Spanisch rief: "Wir haben es gewonnen, verdammte Scheiße." Eriksson stockte für einen Moment, sie musste sich sammeln. Die Niederlage für sie und das schwedische Team fing jetzt so richtig zu wirken an.

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