Australiens Aus bei der Fußball-WM:"Hoffentlich ist das der Start von etwas Neuem"

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Ein junger Fan ist nach dem 1:3 gegen England schwer zu trösten. (Foto: Hannah McKay/Reuters)

Gastgeber Australien verpasst das WM-Finale, doch die Begeisterung für den Frauenfußball im Land ist enorm. Das Spiel gegen England sieht fast die Hälfte der Bevölkerung, Spielerinnen wie Sam Kerr formulieren noch in der Enttäuschung neue Appelle.

Von Anna Dreher, Sydney

Bis die ersten Spielerinnen von der hellbeleuchteten Bühne des Halbfinales ins Innere des früheren Olympiastadions von Sydney kamen, verging viel Zeit. Die Engländerinnen waren mit Feiern beschäftigt, die Australierinnen damit, das Ausscheiden bei ihrer Heim-Weltmeisterschaft zu verarbeiten. Kyra Cooney-Cross hatte sich als erste gesammelt und mühte sich, ihre Gefühle in Worte zu fassen. "Das waren nicht wir heute. Wir können das besser", sagte die 21-jährige Mittelfeldspielerin. "Das war einfach nicht unsere Nacht." Was passiert sei, fühle sich noch nicht echt an. Sie suchte Zuversicht im Blick nach vorne auf das Spiel um Platz drei am Samstag gegen Schweden (10 Uhr, ARD) in Brisbane. Aber das war natürlich nicht ihr Ziel gewesen.

Alle versuchten zu begreifen, was schiefgelaufen war. Die Australierinnen waren nah dran gewesen, diesem Spiel und damit ihrer WM-Geschichte eine andere Wendung zu geben. Nach dem 1:0 der Engländerin Ella Toone (36. Minute) schoss Sam Kerr nach einem Solo von der Mittellinie ein Traumtor aus 24 Metern (63.), das mit seiner Explosivität zu einem Befreiungsschlag hätte werden können - wenn nicht die Engländerinnen wieder einmal mit beeindruckender Effizienz Antworten gefunden hätten, wie es unter Trainerin Sarina Wiegman gewissermaßen schon zur Gewohnheit geworden ist.

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Lauren Hemp traf in der 71. Minute erst selbst, bevor sie in der 86. Minute eine feine Vorlage lieferte für das 3:1 durch Alessia Russo, das Australien aus seinen Träumen riss. Nun steht England ein Jahr nach dem Triumph bei der Heim-EM auch bei der WM im Finale und könnte zum zweiten Mal nach den Männern 1966 Weltmeister werden.

11,15 Millionen Australier sollen insgesamt das Spiel gesehen haben

Besonders Kerr hätte das verhindern können. Die Rekordtorschützin war nach dem erneuten Rückstand zweimal aus guter Position gescheitert. Was wäre dann noch möglich gewesen für die Australierinnen, die mit diesem Turnier ein ganzes Land bewegt haben?

Schon beim historischen Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Frankreich erreichten sie eine hohe TV-Quote, und nun eine neue Dimension: Seven West Media meldete, dass das Halbfinale das meistgesehene Fernsehereignis seit der Einführung des aktuellen Messsystems im Jahr 2001 gewesen sei. Durchschnittlich sollen 7,13 Millionen Zuschauer eingeschaltet haben, in der Spitze sogar 11,15 - Übertragungen an Veranstaltungsorten wie Kneipen oder bei Public Viewings mit Tausenden Teilnehmern wie beispielsweise in Melbourne nicht einberechnet. In Australien leben etwa 26 Millionen Menschen.

Trainer und Tröster: Tony Gustavsson umarmt Sam Kerr nach der 1:3-Niederlage im Halbfinale. (Foto: Alessandra Tarantino/AP)

"Das Einzige, was mich im Moment lächeln lässt, ist die Art und Weise, wie wir die Nation inspiriert haben. Alle stehen hinter uns", sagte Kerr, die lange abseits auf dem Rasen verharrt war, nachdem das Nationalteam, in Herzform stehend, der Ansprache von Trainer Tony Gustavsson zugehört hatte. "Das Turnier war großartig. Ich denke, dass es hoffentlich lebensverändernd für den Frauenfußball in Australien war."

Bei dieser WM drehten sich anfangs viele Fragen um ihren Gesundheitszustand nach einer Wadenverletzung, die ihr den Einstieg erst in der Schlussphase des Achtelfinals ermöglichte. Aber das Themenspektrum erweiterte sich bald. Mit jedem Auftritt war zu spüren, dass dieses Team - ohne und erst recht mit Kerr - im vor allem von Cricket, Rugby und Australian Football begeisterten Land eine ganze Sportart in den Fokus rückte.

Kerr appelliert direkt nach der Niederlage für eine Finanzierung der Basis.

Der Sydney Morning Herald hatte berichtet, dass im Vergleich zu 2022 die Zahl der Anmeldungen für Fußballcamps um 170 Prozent gestiegen sei, manche waren in einer Viertelstunde ausgebucht. Premierminister Anthony Albanese hatte für den Fall des Titelgewinns am 20. August einen Feiertag für dieses Datum angekündigt. Für die "Matildas" selbst ging es ohnehin um ganz Grundsätzliches, um die Zukunft, um nachhaltige Veränderung, um Anerkennung. Das wollten die Nationalspielerinnen auch in der Enttäuschung nicht untergehen lassen.

Kerr nutzte die Gelegenheit für einen Appell. "Wir brauchen eine Finanzierung für unsere Entwicklung, wir brauchen eine Finanzierung für die Basis. Wir brauchen das überall", sagte die Stürmerin. Davon hänge ab, was nach der Euphorie bei dieser WM hinterlassen werde. Für sie stand dabei sogar fest: "Nicht, was du auf dem Platz machst - das Vermächtnis ist, was du abseits des Spielfelds tust." Jetzt sei es an der Zeit zu investieren, Fußball sei schließlich nicht grundlos das Spiel der Welt. "Es ist schwer, darüber jetzt zu reden", sagte Kerr noch. "Aber hoffentlich ist das der Start von etwas Neuem." Das Argument, Fußball interessiere in Australien nicht, sei nun jedenfalls widerlegt worden, meinte Co-Kapitänin Steph Catley. Das Stadion von Sydney war bei all ihren drei Partien mit 75 784 Zuschauern ausverkauft.

2015 waren die Nationalspielerinnen bereits in einen Streik getreten, nachdem sie mehr als zwei Monate auf ihr Gehalt warten mussten, der Rahmenvertrag zwischen Klubs, Gewerkschaft und Australiens Fußballverbands FFA war ausgelaufen. Später kamen erneut Forderungen nach Verbesserungen auf. Vor vier Jahren dann haben sich die "Matildas" mit dem Verband geeinigt, auf die gleiche Bezahlung etwa aus Werbeeinnahmen und auf gleiche Trainingsbedingungen wie die Männer.

Ein Spiel bleibt den Australierinnen nun noch, um diese besondere, für sie ohnehin schon erfolgreichste Weltmeisterschaft zu genießen. "Ich weiß, wir sind emotional, aber wir haben keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Wir sind hart im Nehmen, wir sind fit, wir haben die Unterstützung der Fans", sagte Trainer Gustavsson, der am Samstag auf sein Heimatland Schweden trifft. "Wir dürfen uns jetzt nicht runterziehen lassen, sonst haben wir keine Chance auf Bronze." Und ein bisschen klang es, als wollte er damit auch die Fans aufmuntern.

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