FC Bayern München:In die Offensive gezwungen

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Flügelstürmer, aber auch Außenverteidiger: Serge Gnabry in Hoffenheim. (Foto: Michael Probst/AP)

Das 1:1 gegen Hoffenheim ist der nächste Beleg: Wenn Julian Nagelsmann nach Bestform und Wünschen der Spieler aufstellt, geht beim FC Bayern nach vorne fast alles - aber nach hinten fehlt die Stabilität.

Von Felix Haselsteiner, Sinsheim

81 Minuten dauerte es, bis Julian Nagelsmann sich zu einem Schritt gezwungen sah, den einer seiner Vorgänger, der Niederländer Aloysius Paulus Maria "Louis" van Gaal, niemals gegangen wäre. Van Gaal prägte in München einst Sätze aus dem familiären ("Grüße an alle Muttis") und dem floralen Bereich ("Tod oder Gladiolen"), doch kein Ausspruch von ihm blieb so hängen wie "Müller spielt immer" - ein Satz, der seitdem Gesetz ist und bei Missachtung Konsequenzen hat, wovon unter anderem ein anderer Nagelsmann-Vorgänger, der entlassene Niko Kovac, berichten kann.

Nun aber ging Müller beim Bundesligaspiel gegen die TSG Hoffenheim beim Stand von 1:1 kurz vor Schluss vom Feld. Er war erneut Dreh- und Angelpunkt einer hervorragend kombinierenden, pressenden und spielfreudigen Bayern-Offensive gewesen, derselben wie schon unter der Woche, in der Champions League gegen Salzburg, bestehend aus Leroy Sané, Serge Gnabry, Kingsley Coman, Müller und Robert Lewandowski.

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Nur: Neun Minuten vor Schluss braucht auch ein Weltklasse-Quintett des FC Bayern mal einen neuen Impuls, weshalb Müller - gemeinsam mit dem auf der Sechser-Position spielenden Jamal Musiala - das Feld verließ und stattdessen Eric Maxim Choupo-Moting und Marcel Sabitzer aufliefen. Neue Impulse brachten beide nicht mehr, bis auf eine gute Kopfballchance in der 83. Minute blieben die Bayern ab Müllers Abgang ohne weitere Offensivszenen.

Gnabry und Coman nehmen seit einigen Wochen die Rolle als Außenspieler ein

Die späten Wechsel gegen Hoffenheim erzählen einerseits einen Teil der Geschichte des 1:1 im Kraichgau, mit dem der FC Bayern seine aus reiner Ergebnis-Sicht durchwachsene Bundesliga-Rückrunde - 17 Punkte aus neun Spielen - fortsetzte: Eine beeindruckende Zahl an Großchancen erarbeiteten sich die Münchner, nur fehlte diesmal das "Quäntchen Glück" (Müller), das unter der Woche noch dazu beigetragen hatte, dass sie gleich sieben Tore erzielt hatten.

Diesmal hätten es bei entsprechender Verwertung erneut so viele werden können, doch entweder trafen die Münchner aus einer knappen Abseitsposition (gleich dreimal) oder scheiterten am Pfosten sowie am hervorragenden Hoffenheimer Torwart Oliver Baumann. Müller lobte die Spielweise, die Intensität, die Energie - stellte aber fest, dass angesichts des Ergebnisses "eher die Frustration" überwiege.

Thomas Müller (rechts, mit Stefan Posch) lobt nach der Partie gegen Hoffenheim die Spielweise des FC Bayern. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Trainer Nagelsmann sah ein "interessantes Fußballspiel für Zuschauer und Journalisten", wirkte allerdings auf der Pressekonferenz nicht so, als hätten ihm die 90 Minuten genauso zugesagt wie dem Publikum im ausverkauften Stadion in Sinsheim. Er äußerte Kritik an den Platzverhältnissen: "Ich glaube - ohne Kritik am Platzwart oder Hoffenheim - der Platz war furztrocken", sagte Nagelsmann. Dann sprach er über ein Thema, das den FC Bayern aktuell begleitet, und bei dem die Auswechslungen der 81. Minute in etwas größerem Kontext eine Rolle spielen.

Nach eigener Aussage zum "1734. Mal in den vergangenen vier Wochen" analysierte er die vermeintlich offensive Ausrichtung, mit der der FC Bayern derzeit antritt; beziehungsweise, wenn es nach Nagelsmann geht, antreten muss.

"Erst einmal finde ich es despektierlich gegenüber Serge und King, weil die ganze Welt behauptet, die können nicht verteidigen", begann Nagelsmann. Beide seien "Weltklassespieler, Berufsfußballer, da gehört verteidigen auch dazu". Gnabry und Coman nehmen seit einigen Wochen die Rolle als Außenspieler ein, ihnen kommen in der Konstellation mit einer Dreierkette allerdings mehr Defensivaufgaben zu als im Normalfall.

Coman klärte zwar in seiner neuen Aufgabe unter der Woche noch sehenswert Bälle im eigenen Strafraum, Gnabry ist beachtlicher Fleiß zu attestieren, dennoch: Die Stärken der beiden liegen eindeutig in der Offensive - und die Abwesenheit eines klassischen Außenverteidigers sorgt taktisch gesehen immer dann für kritische Situationen, wenn einer der beiden Spieler auf der Sechser-Position aufrückt. So wie Joshua Kimmich, dessen Ballverlust links vorne vor dem 1:0 der Hoffenheimer eine Lücke entstehen ließ, in die Kevin Vogt und David Raum vorstoßen konnten.

Nagelsmann sagt: "Die Spieler wünschen sich auch, dass die aktuellen Spieler auf ihrer besten Position spielen."

Nagelsmann betonte zwar, dass eine Dreierkette nicht per se offensiver sei als eine Viererkette, was Ralf Rangnick einst schon an einer Taktiktafel im ZDF-Sportstudio erklärt habe. Die vergangenen Spiele der Münchner halten aber Indizien bereit für eine Gegendarstellung: Offensiv geht derzeit fast alles, defensiv fehlt in vielen Situationen die Stabilität.

"Die Spieler wünschen sich auch, dass die aktuellen Spieler auf ihrer besten Position spielen." - Bayern-Trainer Julian Nagelsmann. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Es geht jedoch nicht nur um taktische Details, sondern vor allem um die Besetzung der entsprechenden Rollen. Nagelsmann betonte, dass Bayern seit Wochen Stamm-Linksverteidiger Alphonso Davies vermisse, der in frühestens "drei bis vier Wochen" wieder zur Mannschaft stoßen könne. Und er sprach über die Besonderheiten der Rolle des Bayern-Trainers: "Da unterscheidet sich das Trainer-Sein bei Bayern vielleicht zu anderen Klubs, dass man gewisse Entscheidungen auch mit Rücksprache der Spieler fällt", sagte Nagelsmann: "Und die Spieler wünschen sich auch, dass die aktuellen Spieler auf ihrer besten Position spielen."

Würde man das alles zusammenrechnen, wäre "das aktuell diese offensive Aufstellung, die uns am stärksten macht", sagte Nagelsmann. Es klang wie eine Abwandlung des Van-Gaal-Zitats, das nun nicht mehr "Müller spielt immer", sondern "alle Offensiven spielen immer" lautet. Im Umkehrschluss klang es aber auch danach, dass Dayot Upamecano, Marcel Sabitzer oder gar Bouna Sarr - Spieler, mit denen eine Viererkette durchaus zu besetzen wäre - derzeit nicht den Qualitätsansprüchen entsprechen. Dass den Münchnern in Abwesenheit von Corentin Tolisso und Leon Goretzka personell die Hände gebunden sind, zeigten letztendlich am deutlichsten die Auswechslungen: Impulse von der Bank sind aktuell nicht zu erwarten.

Tolisso und Goretzka dürften jedoch in den kommenden zwei Wochen, spätestens während der Länderspielpause, wieder in den Kader zurückkehren. Damit würde sich die personelle Lage etwas entspannen - und auch in Sinsheim war deutlich zu sehen: Spielerisch ist der FC Bayern sicherlich in keiner Krise, sondern eher auf einem Höhepunkt. "Wenn wir die kommenden Spiele so spielen wie heute, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir sie gewinnen", sagte Thomas Müller.

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