Antoine Griezmann bei der WM:Asterix ist wieder da

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Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff: Antoine Griezmann. (Foto: Christophe Ena/AP)

Bei Barcelona in Ungnade gefallen, bei Atlético an die Bank gefesselt: Unter Didier Deschamps ist Antoine Griezmann wieder einer der wichtigsten Spieler Frankreichs - in einer nur scheinbar neuen Rolle.

Von Martin Schneider, Doha

Es war vor vier Jahren, Antoine Griezmann war gerade Weltmeister geworden, da wurde er im Moskauer Luschniki-Stadion noch mit dem Siegerkonfetti im Haar gefragt, ob er nun in einer Reihe mit den Allergrößten stehe. Die Frage lautete konkret, ob diese Generation französischer Fußballer seinen Namen tragen werde. Es gab die Generation Platini, die wurde Europameister. Es gab die Generation Zidane, die wurde Weltmeister. Und jetzt, da man wieder die Coupe du Monde habe, wäre da nicht sein Name der passende?

Griezmann sagte damals weder ja noch nein, aber so völlig absurd wirkte es gar nicht, dass man ihn auf das Plateau Michel Platinis hob. Er hatte die meisten französischen Tore im Turnier geschossen, einen Elfmeter im Finale versenkt. Mit seiner Statur, seinen blonden Haaren und seinen gerissenen Ideen fehlte ihm eigentlich nur der Flügelhelm zum Asterix. Warum also nicht?

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Vier Jahre später, vor der WM in Katar, war von diesem Bild so gar nichts mehr übrig. Griezmann war zum amtlichen Problemfall geworden. Und im Prinzip begannen die Schwierigkeiten schon vor der WM in Russland. Griezmann stand vor einem Wechsel von Atlético Madrid zum FC Barcelona, eigentlich der logische Schritt für einen Generationen-Fußballer. Aber er entschied sich dagegen, nicht still und heimlich, sondern er ließ eine Dokumentation darüber drehen, er nannte sie "La decisión", die Entscheidung.

Ein ganzer Film, in dem jemand pathetisch erklärt, warum er nicht kommen will - das kam beim FC Barcelona mittelgut an, auch Lionel Messi, damals noch im Dienst der Katalanen, war verstimmt. Ein Jahr später wechselte Griezmann dann für die festgeschrieben Ablöse von 120 Millionen Euro doch nach Katalonien, was den Effekt hatte, das nun beide Klubs sauer auf ihn waren und der Spott nochmals größer wurde.

Auch die Lage wurde noch verzwickter: Seine Zeit verlief unglücklich, seine Spielweise passte nicht in die Mannschaft, der Klub selbst wandelte am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Griezmann stand als Top-Verdiener ohne Leistungsnachweis im Zentrum der Kritik (wobei er da nicht allein war), nur zwischendrin machte er mal Schlagzeilen, weil auch seine dritte Tochter wie die beiden anderen am 8. April geboren wurde. Er habe sein Gefühl für Timing ja doch noch nicht verloren, spöttelten manche.

2021 ging er zurück zu Atlético, per Leihvertrag mit einer angeblich sehr teuren Kaufoption. Die griff offenbar ab einer gewissen Zahl an Einsatzminuten, weshalb er in dieser Saison zunächst nur limitiert spielen konnte. Seine Einsatz-Statistik liest sich wie die eines Zeitarbeiters: 27 Minuten, 28 Minuten, 27 Minuten, 29 Minuten. Erst im Oktober einigten sich die beiden Klubs. Unter diesen Voraussetzungen reiste Griezmann nach Katar.

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Und dort ist er nun mit Kylian Mbappé der vielleicht wichtigste Spieler dieser französischen Mannschaft - in einer Rolle, die auf den ersten Blick ungewöhnlich ist, auf den zweiten Blick aber genau dem entspricht, was er schon immer am besten konnte: sich für die Mannschaft aufopfern.

Griezmann, mittlerweile 31 Jahre alt, der sich der Welt als Stürmer vorstellte, der Torschützenkönig der EM 2016 wurde, ist in Katar zu einer Art Arbeiter-Achter geworden. Er spielt im Raum hinter der Sturmspitze Olivier Giroud und zwischen den Flügel-TGVs Mbappé und Ousmane Dembélé. Griezmann rennt, er kämpft, er leitet das Pressing an. In Abwesenheit von Paul Pogba und N'Golo Kanté ist er zum Mittelfeld-Stabilisator geworden, allerdings ohne seine Offensiv-Fähigkeiten zu verlieren. Kein Spieler kommt bei der WM auf mehr sogenannte Schlüsselpässe, also Pässe, die zu einer Torchance führen - gegen England bereitete er beide Tore vor. Nur in einer Statistik steht eine fette Null: bei den Toren. Seit 14 Länderspielen hat Griezmann nicht mehr getroffen.

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"Er ist bereit, diese Opfer zu bringen. Er bringt Gleichgewicht in unser Team", sagte Nationaltrainer Deschamps in Katar über ihn. Die beiden verbindet eine besondere Beziehung, was Miroslav Klose oder Mesut Özil für Joachim Löw waren, das ist Griezmann für Deschamps. Sein Spieler, dem er immer die Treue hielt, auch wenn es schwierig wurde. Deschamps setzte Griezmann unglaubliche 72 Länderspiele in Serie ein. "Ich verdanke dem Trainer alles", sagte wiederum Griezmann über Deschamps.

Um zu verstehen, warum Griezmann in dieser vermeintlich neuen Rolle aufblüht, muss man ein bisschen in seine Biografie schauen. Als Kind fiel er durch das Raster der französischen Akademien. Diagnose: zu schmächtig. Ein Trainer aus dem Baskenland entdeckte ihn zufällig, er solle es doch mal bei der Real Sociedad in San Sebastián versuchen.

Griezmann wechselte dorthin und wurde der Ziehsohn eines Jugendtrainers aus Uruguay. Dort legen sie Wert auf die richtige Einstellung. Bei Atlético traf er dann auf den argentinischen Trainer Diego Simeone, der in seinen schwarzen Klamotten ein bisschen aussieht, als würde er den Gegner einfach verspeisen. Simeone predigt einen fanatischen Kollektivfußball, jeder Spieler ist Teil des Systems und wer sich nicht daran hält, wird aufgefressen. So wurde Griezmann erzogen.

In Katar wird garantiert niemand fragen, ob es nun die Generation Griezmann ist, die vielleicht gegen Marokko gewinnt und ins Finale einzieht, zu sehr überstrahlt die Klasse von Mbappé mittlerweile alles. Griezmann selbst stört das nicht. "Die Mannschaft braucht mich im Mittelfeld, ich soll die Defensive mit der Offensive verbinden", sagte er. "Ich bin darüber stolz und glücklich."

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