Fußball-WM:Frankreich hat die Mentalität von 2018 wiedergefunden

Fußball-WM: Schießt im Gegensatz zur WM in Russland nun auch noch Tore: Frankreichs Olivier Giroud.

Schießt im Gegensatz zur WM in Russland nun auch noch Tore: Frankreichs Olivier Giroud.

(Foto: Adrian Dennis/AFP)

Seit 60 Jahren hat keine Mannschaft mehr einen WM-Titel verteidigt. Die Franzosen könnten genau das schaffen. Doch zunächst geht es gegen Marokko - ein Land, mit dem Frankreich eng verbunden ist.

Von Martin Schneider, Doha

Das Thema 2018 kam schnell hoch, Olivier Giroud sprach es selbst an. Das Spiel gegen England, sagte Giroud, habe ihn an die Partie gegen Belgien denken lassen. Auch damals im WM-Halbfinale von Sankt Petersburg habe man kämpfen müssen, es sei um die Details gegangen, seine Mannschaft habe auch Glück gehabt. Aber am Ende hatte es gereicht. "Die Mentalität erinnert mich an 2018", sagte Giroud also noch auf dem Platz. "Diese Gruppe verdient es, weit zu kommen."

Der Siegtorschütze berichtete auch ein bisschen aus der Kabine der Franzosen nach dem 2:1-Sieg gegen England. Es wurde gesungen und getanzt, Claude Makelele und Lillian Thuram kamen zu Besuch, Letzterer in Doppelfunktion als Alt-Internationaler und Papa von Stürmer Marcus. Die französische Sportministerin Amelie Oudea-Castera war auch da, sie trug auf der Tribüne einen Pullover mit Regenbogenärmeln. Zum Halbfinale gegen Marokko hat sich Staatspräsident Emmanuel Macron angekündigt.

Wenn Historisches möglich ist, dann sind die Wichtigen zur Stelle - auch wenn noch keiner darüber sprechen will. Trainer Didier Deschamps wies eine Frage danach zwar zurück, aber Frankreich könnte tatsächlich die erste Nation seit Brasilien 1962 sein, die einen WM-Titel verteidigt. "Erst kommt das Halbfinale", sagte Deschamps.

Doch seine Mannschaft ist unzweifelhaft im gleichen Modus wie in Russland, das hat das Spiel gegen England gezeigt. Auf hohem Niveau kippt das Spiel verlässlich in die Richtung der "les bleus", so war es 2018 auch im Achtelfinale gegen Argentinien (4:3) oder eben im Halbfinale gegen Belgien (1:0). Die englischen Medien machten das auch als Hauptgrund aus, warum die Reise weitergeht. England mag vielleicht auf bestem Weg sein, ein Spitzenteam zu werden. Frankreich aber ist schon eins. "Wir haben die Erfahrung und die mentale Stärke", wie Deschamps erklärt.

Beides benötigte sein Team auch. England schaffte es über weite Strecken, Kylian Mbappé völlig aus dem Spiel zu nehmen. Doch die französische Mannschaft bietet viele Optionen, vielleicht sogar noch mehr als in Russland. Und das, obwohl vor dem Turnier mit Karim Benzema, Paul Pogba, N'Golo Kanté und Christopher Nkunku gleich vier Spitzenspieler ausgefallen waren, mit Lucas Hernandez verletzte sich ein weiterer auch noch während der ersten Partie. Oder hat das in Wirklichkeit gar nicht so sehr geschadet? Fühlen sich die verbleibenden Blauen dadurch mehr in der Pflicht?

Auffällig ist, dass besonders die Weltmeister von 2018 glänzen. Neben Giroud, der im Gegensatz zur WM in Russland nun auch noch Tore schießt, bekam in den Analysen vor allem Antoine Griezmann besonderes Lob. Er bereitete die Tore von Aurélien Tchouaméni (17. Minute) und Giroud (78.) vor und ist nun der beste Vorlagengeber der französischen Geschichte. Griezmann, nach schwierigen Jahren in Barcelona nicht mehr der Spieler, der er noch 2018 war, verdient sich schon im ganzen Turnier die goldene Fleißkarte, weil er nach vorne und hinten arbeitet. Dass er dabei seine Technik nicht verloren hat, zeigt seine Flanke zum entscheidenden 2:1.

Torhüter Hugo Lloris ist seinen Landsleuten weiter ein kleines Rätsel

Ein anderer Protagonist des Abends war Torwart und Kapitän Hugo Lloris, der Frankreich mit diversen Paraden im Spiel hielt. In England bei Tottenham oft wegen seiner ausbaufähigen Strafraumbeherrschung und seinen gelegentlichen Patzern kritisiert, ist er auf der Linie einer der besten Torhüter der Welt. Und einer, der seinen Landsleuten weiter ein kleines Rätsel ist. Ein "geschlossenes Buch" nannte ihn Le Monde nach dem Spiel. Lloris ist kein großer Redner, er hat noch nicht mal einen offiziellen Instagram-Account, aber er ist mit 143 Einsätzen nun Frankreichs Rekordnationalspieler.

Auch für Deschamps purzelten im Al-Bayt-Stadion historische Statistiken: Nur noch zwei Trainer, Helmut Schön (16 Siege) und Luis Felipe Scolari (14 Siege), haben als Trainer bei Weltmeisterschaften häufiger gewonnen als "DD", der nun 13 Siege verzeichnet und zumindest Scolari noch überholen könnte. Doch auf dem Weg ins Finale wartet Marokko: Das wird eine besondere Herausforderung, die Marokkaner stellen die defensivstärkste Mannschaft des Turniers, haben überhaupt erst ein Gegentor kassiert (ein Eigentor) und in Spanien und Portugal bereits zwei europäische Schwergewichte ausgeschaltet.

Ein Teil Marokkos war zudem lange französisches Protektorat, in Frankreich und speziell in Paris wohnen Tausende Marokkaner. Auch emotional wird es für das Land also ein besonderer Abend. Mbappé grüßte immerhin vor dem Spiel schon virtuell seinen Kumpel und marokkanischen Nationalspieler Achraf Hakimi, mit dem er zusammen bei Paris Saint-Germain spielt. "Marokko hat einige der besten Mannschaften der Welt geschlagen, sie haben sich diesen Platz im Halbfinale verdient", sagte Deschamps.

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