Formel 1:Der oberste Bulle bleibt, vorerst

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Zurück im Fahrerlager - und besonders beobachtet: Red-Bull-Teamchef Christian Horner (Mitte) kam am Donnerstag nach seiner Entlastung wieder an die Strecke von Bahrain. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Nach wochenlangen Ermittlungen wegen angeblich "unangemessenem Verhalten" wird Teamchef Christian Horner vom Mutterkonzern Red Bull freigesprochen. Mercedes-Boss Toto Wolff kritisiert fehlende Transparenz.

Von Anna Dreher, Sakhir

Am Donnerstagvormittag war es so weit, Christian Horner betrat die Bühne. Als der Teamboss von Red Bull Racing mit Sonnenbrille und Aktentasche, begleitet von seinem Chefdesigner Adrian Newey, durch das Fahrerlager in Bahrain lief, wurde er von so vielen Augen und Kameraobjektiven beobachtet wie selten. Selbst später beim Mittagessen blieb er im Fokus. "Wir sind jetzt hier, um uns auf den Grand Prix und die kommende Saison zu konzentrieren und zu versuchen, unsere beiden Titel zu verteidigen", sagte Horner, als ihm ein Reporter des britischen Senders Sky Sports News das Mikrofon entgegenhielt. Er sei froh, an der Strecke zu sein.

Die Erleichterung des Engländers speiste sich aus den Geschehnissen des Vorabends, als die Red Bull GmbH ein Statement verschickt hatte, auf das seit Wochen gewartet worden war. Nüchtern und vage gehalten, aber immerhin gab es endlich eines. "Die unabhängige Untersuchung der gegen Christian Horner erhobenen Vorwürfe ist abgeschlossen. Red Bull kann bestätigen, dass die Beschwerde abgewiesen wurde", lauteten die ersten Sätze. Damit stand erst drei Tage vor dem ersten Rennen der neuen Formel-1-Saison am Samstag (16 Uhr, Sky und RTL) fest: Horner wird Chef des amtierenden Weltmeisterteams bleiben, vorerst.

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Seine Zukunft war in den vergangenen Wochen eines der großen Themen der Königsklasse. Anfang Februar berichtete die Tageszeitung De Telegraaf - aus dem Heimatland des niederländischen Red-Bull-Piloten Max Verstappen - als erste darüber, dass eine Mitarbeiterin Horner unangemessenes Verhalten vorgeworfen habe. Was genau das heißt, ist bis jetzt nicht durchgedrungen. Im Tratschladen Formel 1 heizte das die Spekulationen natürlich erst recht an. Ging es um anstößige Nachrichten? Um Übergriffe? Um Machtmissbrauch? Die Dimension der Vorwürfe war schwer zu greifen. Und das ist sie nun noch immer.

Ob die Angelegenheit mit dem Freispruch beendet ist, steht ebenfalls noch nicht fest. "Die beschwerende Partei hat das Recht, Berufung einzulegen", hieß es in der Mitteilung weiter. Und wer weiß, was im Nachgang doch noch öffentlich bekannt werden wird? Red Bull sei überzeugt, dass die Untersuchung "fair, gründlich und unbefangen war", teilte der Konzern mit über die Investigation, die er selbst in Auftrag gegeben und bezahlt hat. Weil der - angeblich mehr als 100 Seiten lange - Bericht vertraulich sei, werde Red Bull sich "aus Respekt für alle Beteiligten" nicht weiter äußern. Zum Abschluss war noch die Rede davon, dass dieses Statement zeitgleich vom Rennstall Red Bull Racing versandt werden würde. Was dann aber gar nicht der Fall war.

Die Entscheidung dürfte ohnehin auf höchster Ebene getroffen worden sein, wo seit dem Tod des Red-Bull-Gründers Dietrich Mateschitz im Oktober 2022 der frühere Leipziger Fußball-Verantwortliche Oliver Mintzlaff als Geschäftsführer auch die Motorsport-Angelegenheiten verantwortet. Welches Rechercheergebnis nun nach Wochen des Wartens entscheidend für den Beschluss gewesen ist, darüber kann weiter gerätselt werden. Für Red Bull ist wichtig, dass erstmal Ruhe einkehrt. Denn zuvor stand zu befürchten, dass diese Affäre das Ende einer Ära bedeuten könnte.

Die vergangenen Wochen dürften Christian Horner noch eine Weile nachhängen

Horner ist vor Mercedes-Teamleiter Toto Wolff, der seit 2013 bei den Silberpfeilen ist, der dienstälteste Chef - und einer der erfolgreichsten. Seit Red Bull 2005 in die Formel 1 einstieg, trägt er die Verantwortung. Er baute diesen Rennstall auf, er holte Design-Mastermind Adrian Newey, er führte Sebastian Vettel (2010 bis 2013) und Max Verstappen (2021 bis 2023) zu insgesamt sieben Championships, flankiert von sechs Konstrukteurstiteln. Sein Anteil am Erfolg der Weltmeister ist unbestritten. Umso heftiger wirkten die möglichen Auswirkungen einer drohenden Trennung. Wie sehr würde der 50-Jährige als Anführer der roten Bullen fehlen? Wer könnte überhaupt auf ihn folgen?

Am Mittwochnachmittag, als die vorläufige Entscheidung von Red Bull noch nicht bekannt gegeben war, lief die Pressekonferenz mit den Fahrern. Auch Verstappen saß auf dem Sofa. Möglichen Angriffspunkten wich er erst routiniert professionell aus. Die ganze Sache beeinflusse ihn nicht, sagte der 26-jährige Titelverteidiger. Er fokussiere sich auf die Performance seines Autos und seine eigene Leistung, das Team halte zusammen und arbeite für den Erfolg. Aber dann ließ sich doch noch etwas zwischen den Zeilen lesen.

Rein sportlich betrachtet hat Red Bull und Max Verstappen der Trubel um Teamchef Christian Horner nicht geschadet - die Weltmeister weckten bei den Tests in Bahrain den Eindruck, diese Saison wieder zu dominieren. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Die Frage lautete: Stehst du zu hundert Prozent hinter Christian und der Weise, wie er das Team führt? Die Antwort: "Nun ja, ich vertraue dem Prozess, dem, was gerade passiert. Wenn es um Performance geht, ist es wichtig, dass alle zusammenhalten." Das klang nun nicht unbedingt so, als stünde der Weltmeister uneingeschränkt hinter seinem Chef oder als wäre Horner unverzichtbar. Wobei Verstappen ohnehin ein engeres Verhältnis zu Helmut Marko, dem Motorsportberater bei Red Bull, pflegen soll - dem wiederum zuletzt ein Machtkampf mit Horner nachgesagt wurde. Seit dem Tod von Mateschitz ist wohl ein gewisses Vakuum entstanden, in dem keiner zu kurz kommen will. Der Grazer Marko wird zum österreichischen Lager gezählt, Horner hingegen soll vor allem von den thailändischen Anteilseignern Rückhalt genießen, der Unternehmerfamilie Yoovidhya gehören insgesamt 51 Prozent.

Horner hatte nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe umgehend alles abgestritten

In jedem Fall dürften die vergangenen Wochen Christian Horner noch eine Weile nachhängen. In den Anschuldigungen gegen ihn sahen viele Beobachter nicht nur einen Imageschaden für ihn, sondern auch für Red Bull und die Formel 1. Der Weltverband Fia wollte sich zwar vor dem Abschluss der Untersuchung nicht äußern, die Formel 1 aber drängte bereits. Dass die Angelegenheit weite Kreise zog, wurde spätestens klar, als sich der Automobilkonzern Ford in Person von Sportchef Mark Rushbrook meldete. Das Unternehmen habe hohe Standards, was Verhalten und Integrität angehe und erwarte das ebenso von den Partnern - zu denen ab 2026 Red Bull gehören wird, dann liefert Ford die Motoren: "Wir haben den Eindruck, und das wurde uns auch gesagt, dass Red Bull die Situation sehr ernst nimmt. Und natürlich sind sie auch um ihre Marke besorgt."

Während der Testfahrten äußerte sich vor allem Wolff deutlich. Die Königsklasse und ihre Teams stünden für Inklusion, Gleichheit, Fairness und Vielfalt: "Wir sind ein globaler Sport, eine der wichtigsten Sportarten der Welt - und wir sind Vorbilder. Es ist nicht nur ein Problem des Teams. Das betrifft die gesamte Formel 1." McLaren-Racing-CEO Zak Brown bezeichnete die Vorwürfe als "äußerst schwerwiegend". Am Donnerstag bekräftigten beide ihre Position und forderten mehr Transparenz. "Als Sport können wir es uns nicht erlauben, die Dinge im Ungenauen zu lassen", sagte Wolff. Für Brown hat der Weltverband "eine Verantwortung" und müsse klarstellen, ob er zu dem gleichen Ergebnis komme: "Bis dahin wird es weiter Spekulationen geben, und das ist nicht gesund für den Sport."

Die beiden mächtigen Männer bei Red Bull Racing: Helmut Marko (links) und Christian Horner. (Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Horner, verheiratet mit der früheren "Spice Girls"-Sängerin Geri Halliwell, hatte die Vorwürfe umgehend abgestritten. Die Red Bull GmbH leitete ein Untersuchungsverfahren ein, das "von einem externen unabhängigen Ermittlungsanwalt" durchgeführt wurde. Daraufhin wurde Horner laut britischen Medien am 9. Februar in London mehrere Stunden lang befragt. Wie auch andere Beteiligte. Allein dieses Detail zeigt schon, dass die Sache durchaus ernst sein könnte. Vorübergehend suspendiert wurde Horner jedoch nicht.

Bei der Präsentation des neuen Wunderwagens vor zwei Wochen in Milton Keynes war er ganz selbstverständlich mit Newey und den beiden Fahrern Verstappen und Sergio Perez dabei, als gebe es den Trubel um seine Person nicht. Er bekräftigte, dass er die Anschuldigungen zurückweise, er stelle sich der Untersuchung und arbeite "uneingeschränkt" daran mit. Und klar sei das eine Ablenkung, aber das Team sei vereint: "Für mich läuft das Geschäft ganz normal weiter."

Rein sportlich betrachtet ließ sich Red Bull tatsächlich nichts anmerken. Nach den Tests vergangene Woche in der Wüste von Sakhir sieht es danach aus, als hätten die Tüftler in den Fabriken mal wieder das beste Auto konstruiert, obwohl der RB20 grundlegend verändert wurde. Vergangene Saison hatte Verstappen unglaubliche 19 von 22 Rennen gewonnen, schon im Jahr davor waren es nach der Aerodynamik-Reform in der Königsklasse 15 Siege. Und auch 2024 dürfte er bei der Reise um den Globus derart dominant über den Asphalt brettern, dass aus seiner Titel-Sammlung eine Weltmeisterschafts-Quadrupel-Serie werden wird.

Die Frage ist nur, ob sein Chef beim letzten Saisonrennen wirklich noch Christian Horner heißen wird. Dass diese Geschichte weitergehen könnte, deutete sich während der zweiten Trainingssession von Bahrain an. Eine anonym verschickte Mail kursierte, die einen Link enthielt, angeblich mit Chatprotokollen zu diesem Fall. Ob der Inhalt authentisch ist, ließ sich bislang nicht verifizieren.

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