Formel 1:Der Bolide trägt Schwarz

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Gute Miene zum schwachen Auto: Mercedes-Teamchef Toto Wolff (3. v.l.) posiert vor der Saison mit seinen Fahrern George Russell (2. v.l.), Lewis Hamilton (3. v.r.) und Testfahrer Mick Schumacher (2. v.r.) vor dem neuen Gefährt. (Foto: AFP)

Mercedes will die Machtverhältnisse wieder umkehren. Die wesentlichen Änderungen dafür stecken unter dem Kleid des F1 W14 - und in der Farbe. Die Lackierung hat auch mit einem Problem zu tun, das die ganze Branche derzeit noch quält.

Von Elmar Brümmer

Ein roter Ferrari für die Formel 1, präsentiert in Fiorano am Valentinstag, das klingt wie ein schwer zu übertreffender Vorteil, zumindest rein farblich gesehen. Und als sich Charles Leclerc und Carlos Sainz über Boxenfunk darüber streiten, wer noch eine Testrunde mehr drehen darf, strahlen nicht nur ein paar Hundert eingeladene Ferraristi Zuversicht aus, getragen von der von einem Stehgeiger vorgetragenen italienischen Nationalhymne: Der SF 23 ist schon jetzt Weltmeister der Herzen.

Szenenwechsel nach Silverstone, Mittelengland. Asphalt nass, Ambiente silbergrau. Auch bei Mercedes ist die musikalische Untermalung klassisch, auch hier läuft der Countdown. Der neue Silberpfeil wird ins grüne Licht des Hauptsponsors getaucht, dann lässt ihn die Kamera wie ein Raumschiff erscheinen - und der F1 W14 ist schwarz. Wieder richtig schwarz. Das Überraschungsmoment ist deutlich größer als bei Ferraris roter Göttin.

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Die Farbe, die die beiden größten Hersteller-Rennställe der Königsklasse eint, ist die der Enttäuschung. Ferrari hatte vergangene Saison über weite Strecken das schnellste Auto, brachte sich aber selbst um alle Chancen gegen Red Bull. Mercedes, der Abonnementchampion, zuckelte 2022 hinterher. Besser ausgedrückt: hüpfte hinterher. Erst als das aerodynamische Phänomen namens porpoising halbwegs gebannt war, ging das Auto im vorletzten Rennen wieder auf Siegkurs.

Jetzt, in der heißen Showphase vor den Testfahrten und dem ersten Rennen in Bahrain am 5. März, sind die Verfolger der vergangenen Saison vereint im Glauben an sich und die Umkehr der Machtverhältnisse. Doch die Frage bleibt: Was macht so ein deprimierendes Jahr mit der Seele?

"Sieht gut aus. Aber ist es auch schnell? Haben wir alle Mängel abgestellt? Waren wir mutig genug?", fragt Teamchef Wolff

Die Backstage-Kamera, die Toto Wolff und seine Chauffeure Lewis Hamilton, George Russell und Mick Schumacher zur Bühne verfolgt, offenbart ein Geständnis von Wolff. Er zeigt Hamilton neckisch seine Halbschuhe: "Erkennst du die?" Der Rekordweltmeister ist verblüfft, als sein Chef ihm verrät: "Es sind deine. Ich hatte meine beim Foto-Shooting vergessen." Auf diese Art sind Seelenverwandtschaft und Teamgeist noch selten erklärt worden, das österreichisch-britische Erfolgspaar feiert gerade zehnjähriges Zweckehen-Jubiläum. Alsbald werden sie den Vertrag verlängern.

Bevor der neue Rennwagen für ein paar Runden zu Ehren der Kameras auf die Piste darf - erlaubt sind maximal 100 Kilometer -, blickt Wolff noch mal zurück: "Persönlich war es ein schwieriges Jahr, ich musste erst mal mit meinen Emotionen klarkommen. Ich habe viel über mich gelernt. Technisch war das einfacher, wir verstehen das Auto jetzt besser." An den angespannten Gesichtszügen ist abzulesen, wie sehr ihn schon ein Wörtchen wie "unberechenbar" als technische Charaktereigenschaft stört. Hamilton springt ihm zur Seite, er erzählt, wie sehr er sich nach neuer Action sehne: "Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gefreut habe, ins Auto zu steigen." Russell, der den Neuwagen zum 25. Geburtstag präsentiert bekommt, erzählt von einem "enormen Feuer", das in der gesamten Belegschaft brenne.

Feiern gerade Zehnjähriges: Lewis Hamilton (links) und Toto Wolff. (Foto: Ozan Kose/dpa)

Wolff lässt sich von dem Dialog, der für jedes Motivationsseminar taugen würde, beseelen: "Wir erleben einen neuen Start, auch für unser Mindset." Aber weil der gelernte Investor - auch zu Erfolgszeiten - aus Prinzip ein zutiefst misstrauischer Mensch bleibt, stellt er nach der Enthüllung des neuen Dienstautos einige Fragen: "Sieht gut aus. Aber ist es auch schnell? Haben wir alle Mängel abgestellt? Waren wir mutig genug?"

Grundsätzlich war gegen das Autodesign vom vergangenen Jahr wenig zu sagen, deshalb wurde es beibehalten. Sicher auch aus Kostengründen. Das ist ein Risiko, natürlich, aber eines, das der Berufsskeptiker Wolff mitträgt, weil es für ihn die Gegensätze der Formel 1 spiegelt: "In diesem Sport musst du stark sein. Aber eben auch demütig." Daraus formuliert er den Zustand der lädierten Mercedes-Seele: "Wir müssen wieder unseren eigenen Maßstäben genügen."

Aus Gewichtsgründen wird bei vielen Autos der Lack abgekratzt, die von Natur aus schwarzen Karbonteile kommen dadurch zum Vorschein

Technikchef Mike Elliot bittet um Daumendrücken, was das Hüpfen des Boliden angeht, aber so leise, wie er lächelt, weiß er offenbar schon, dass die neuen Unterbodenrichtlinien das wohl vermeiden werden. Auch die Regelhüter wollen ja, dass von nun an wieder flach auf der Straße gekämpft werden soll. Elliot verwendet häufig die Vokabel "unaufhaltsam", wenn er über den Geist spricht, der seit dem vergangenen Sommer, vor allem aber in der Winterpause in den Werkstätten Einzug gehalten habe. "Letztendlich werden wir erfolgreich sein", sagt Wolff, ohne präzisieren zu können, wann das sein wird - vermutlich nicht schon zu Saisonbeginn. Aber über das Wörtchen eventually im offiziellen Statement habe er schon eine Viertelstunde nachgedacht.

Schlank ist der Mercedes geblieben, die wesentlichen Änderungen stecken unterm Kleid. Ein Kleid, das wieder schwarz ist. Das freut Lewis Hamilton natürlich am meisten, er erkennt darin die fortgesetzte Botschaft von Black lives matter. Als Ausdruck der Solidarität mit der Bewegung war der traditionelle Silberpfeil umlackiert worden, was zu einem überraschend starken Symbol taugte. Dass die Neuauflage nun erneut bis auf ein paar Sponsorendetails schwarz ist, hat aber mehr mit einem Gewichtsproblem zu tun, das die ganze Branche derzeit noch quält.

Neue Unterböden, anderen Steuergeräte, schwerere Räder sprengen das Gewichtslimit von 798 Kilogramm. Deshalb wird bei vielen Autos der Lack abgekratzt, die von Natur aus schwarzen Karbonteile kommen zum Vorschein. "Es geht um Leistung, nicht um Optik", sagte Hamilton. Niemand sonst kann diese Geschichte sich so gut zu eigen machen wie Mercedes, und Toto Wolff erfüllt gern die Mission als Legendenerzähler: 1934 am Nürburgring sollen Mercedes-Mechaniker auch die weiße Farbe abgekratzt haben, bis das glänzende Aluminium zum Vorschein kam. Manfred von Brauchitsch gewann damals den Großen Preis von Deutschland. Die Urenkel jagen jetzt dem Mythos Silberpfeil hinterher.

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