Mercedes in der Formel 1:Der Feind in meinem Team

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Frust im Kiesbett: Lewis Hamilton fliegt beim Großen Preis von Katar von der Rennpiste. (Foto: ANP/Imago)

Lewis Hamilton und George Russell fahren beide für denselben Rennstall, doch sie duellieren sich wie erbitterte Rivalen. Mercedes setzt damit eine unrühmliche Tradition fort.

Von Elmar Brümmer

Verdunkelungsgefahr bestand nicht, und so konnte alle Welt sehen, wie der Rekordweltmeister der Formel 1 verloren in dem großflächigen Kiesbett nach der Startkurve des Lusail International Circuit stand, neben seinem havarierten Mercedes. Lewis Hamilton stand ein Weilchen da, um Fassung ringend, und die Teleobjektive der Fotografen konnten ein Bild mit hohem Symbolcharakter einfangen: Hamilton mit hängendem Kopf, dahinter George Russell im anderen Auto des deutsch-britischen Rennstalls elegant vorbeiziehend. Russell, der Teamkollege, Russell, der Unfallgegner zu Beginn des Großen Preises von Katar, Russell, der neue große Widersacher im eigenen Rennstall, der fast ein Jahrzehnt lang auf Hamilton ausgerichtet war. Es war klar, dass das einmal Zoff geben musste.

Die Geschichtenerzähler von Netflix wussten schon, warum sie ihre Dokuserie "Drive to Survive " genannt haben. Der hausinterne Zwist bei Mercedes passt perfekt zu Titel und Schema, lässt sich dazu noch zu einem Generationenkonflikt überhöhen. Zwei ungleiche Rennfahrer im britisch-britischen Duell, beide höchst talentiert, ähnlich verbissen, gleichermaßen durchsetzungskräftig und auf ihr Image bedacht. Mal sehen, was davon übrigbleibt, wenn der Crashkurs so weitergeht.

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Schon in Suzuka haben sie sich gegenseitig von der Piste zu drängen versucht. Mit wechselseitigen Klagen an die Kommandozentrale und der Forderung, per Stallorder am Kollegen vorbei gewunken zu werden. Russell klagte plakativ mit einer Suggestivfrage: "Gegen wen fahren wir hier eigentlich Rennen - gegen uns selbst oder gegen die anderen?" Schließlich musste Teamchef Toto Wolff per Interkontinentalleitung aus dem Krankenbett zugeschaltet werden, um kurzfristig für Ruhe zu sorgen.

Durchgängig Frieden herrscht damit noch lange nicht, wie das neuerliche Aufeinanderprallen in Katar beweist. Eine Grundregel im Mannschaftssport Formel 1 lautet, Unfälle mit dem Teamkollegen unter allen Umständen zu vermeiden. Doch als beide Mercedes-Piloten am Sonntag die einmalige Chance sahen, Max Verstappen von der Spitze zu verdrängen, war es um die Contenance geschehen. Der von Position zwei gestartete Russell näherte sich auf dem Mittelweg den innen fahrenden Red-Bull-Piloten, Hamilton war von der dritten Position aus an allen außen vorbeigezogen und war, gleichauf mit dem Führenden, fast schon vorbei. Jedenfalls so lange, bis der Asphalt einen Rechtsknick machte. Hamilton lenkte ein, doch da war Russell, wie in einem Sandwich gefangen. Rumms, kollidierten die Vorsätze aus dem Fahrerbriefing mit der Realität.

Unvergessen ist der Rosenkrieg zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg

Mercedes ist in der modernen Formel 1 der Maßstab für Feindschaften innerhalb eines Teams, seit Lewis Hamilton und Nico Rosberg sich den Rosenkrieg erklärt und im Mai 2016 in Barcelona dafür gesorgt hatten, dass Verstappen gleich bei seinem ersten Grand Prix für Red Bull den ersten Sieg einfahren konnte - die beiden Silberpfeile hatten sich kurzerhand gegenseitig ins Aus katapultiert. Der Vorfall drohte damals den ganzen Rennstall zu spalten.

Wolff weiß also genau, was ihm blüht, wenn er seine beiden Piloten nicht in den Griff bekommt. Beide haben noch einen Vertrag bis Ende 2025. Gedacht war, dass der eine den anderen antreibt, und dass sich Erfahrung und Jugend zu einer ausgeglichen starken Fahrerpaarung ergänzen. Anders als Vorgänger Valtteri Bottas ist Russell jedoch kein sogenannter Wingman , der dem Rekordweltmeister Schutzgeleit gibt. Der 25-Jährige, der im vergangenen November das erste Mal siegen konnte, fährt weitestgehend auf Augenhöhe. Noch kommt Hamilton tendenziell etwas besser mit dem launischen Dienstwagen W 14 zurecht. Mit einem Auto, das schwer auszurechnen und abzustimmen ist, schießen die Chauffeure auch gern mal übers Ziel hinaus. Und wenn sich dann auch nur eine klitzekleine Chance ergibt - schon passiert's.

Das PR-Spiel beherrschen die beiden: George Russell (links) und Lewis Hamilton haben sich in der Regel nicht viel zu sagen. (Foto: Hamad I Mohammed/Reuters)

Hamilton war sichtlich um Deeskalation bemüht, er nahm den Unfall "zu hundert Prozent" auf sich, entschuldigte sich direkt beim ganzen Team dafür, durch den Übermut gleich zwei mögliche Podiumsplatzierungen verhindert zu haben. Die Erinnerung an Rosberg noch nicht verblasst, beeilte sich der 36-Jährige auch zu versichern: "Ich habe kein Problem mit George, wir haben ein großartiges Verhältnis." Die demonstrative Umarmung der beiden nach dem Rennen sollte das unterstreichen, auf Social Media erreichte der entsprechende Clip dann ein großes Publikum. Krisen-PR aus dem Lehrbuch war vonnöten. Brav bestätigte auch Russell nach dem Rennen: "Wir kommen gut miteinander klar, haben großen Respekt voreinander, und von beiden Seiten steckte keine Absicht dahinter." Nach Kurve eins hatte das Lamento noch ganz anders geklungen, wieder musste sich Wolff aus der Ferne befriedend dazuschalten.

Die nächste Runde der Gesprächstherapie soll hinter verschlossenen Türen stattfinden. Ob das Ergebnis der Schlichtung wieder schriftlich festgehalten wird, wie beim Renn-Kodex in Sachen Rosberg gegen Hamilton? Eine generelle Absichtserklärung zur Mannschaftsdienlichkeit gibt es bei Mercedes schon, jeder im Team hat sie unterschrieben. Die Probe aufs Exempel für Lewis Hamilton und George Russell wird es erst dann geben, wenn es für Mercedes wieder um den Titel gehen sollte. So lange werden es beide immer mal wieder drauf ankommen lassen.

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