Formel 1:Mercedes versteht das eigene Auto nicht mehr

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George Russell erreichte in Melbourne das Ziel nicht. (Foto: Paul Crock/AFP)

Die glanzlose Vorstellung in Melbourne setzt die Misere von Mercedes fort: Das siegverwöhnte Team kommt in der Entwicklung nicht voran - es droht eine lange und frustrierende Saison.

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Genau in jenem Moment, als Mercedes-Teamchef Toto Wolff einen Erklärungsversuch startet, warum der britisch-deutsche Formel-1-Rennstall auch beim dritten WM-Lauf dieser Saison wieder nur die fünfte Kraft im Feld war, brandet von nebenan Jubel auf. Der Österreicher legt das Mikrofon vor sich hin und lauscht erst mal den Huldigungen beim Fahrerlager-Nachbarn Ferrari.

Die Italiener haben gerade einen Doppelerfolg gefeiert, das müsste einen ehemaligen Abo-Sieger wie Mercedes neidisch machen. Aber die Gesichtszüge von Wolff, der das Wochenende über in Melbourne mal mit und mal ohne Brille vorwiegend streng geguckt hat, entspannen sich. Er gratuliert anständig dem Ferrari-Prinzipal Fred Vasseur, mit dem er seit Langem befreundet ist, und er erinnert sich, wie der Franzose im Vorjahr 13 Stunden lang auf dem Flug nach Melbourne stehen musste, weil ihm ein Wirbelsäulenproblem zu schaffen machte - nur um seine Autos dann weit abgeschlagen durch den Albert Park schleichen zu sehen.

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Die Saison drohte durch die Überlegenheit von Red Bull bereits erdrückt zu werden. Der Doppelerfolg von Ferrari macht die WM wieder spannend - und hilft vor allem Sieger Sainz, der noch ein Cockpit für nächstes Jahr sucht.

Von Elmar Brümmer

Aber es ist kein Selbstmitleid, das Wolff erzeugen will, für ihn ist die Episode nur das Beispiel, "wie schnell sich die Dinge ändern können, wenn man alles richtig macht". Das treibe ihn an. Tatsächlich ist genau das die Große-Preis-Frage beim achtmaligen Konstrukteurs-Weltmeister: Was bloß ist das Richtige?

Ferrari hat in etwa das Gleiche gemacht wie Mercedes über den vergangenen Rennwinter, nämlich ein komplett neues Auto gebaut, weil man mit dem alten Fahrzeug unter normalen Umständen nicht mal annähernd in die Nähe von Red Bull kommen konnte. Offenbar haben sie in Maranello aber etwas gefunden, nach dem Mercedes immer noch sucht - nennen wir es den Schlüssel zum Sieg.

Das unberechenbare Auto verunsichert die Piloten und die Crew

Drei Jahre, seit es das neue technische Reglement gibt, arbeiten sie in Brackley schon am großen Wurf, um nach fast 50 Rennen wieder am Anfang zu stehen. Lewis Hamilton spricht vom schlechtesten Saisonstart, an den er sich erinnern könne. In Melbourne erlöste ihn ein Motorschaden von der Fahrt im Mittelfeld. Landsmann George Russell legte sich im Duell um Platz sechs mit Fernando Alonso kurz vor Schluss nach einem unfairen Bremsmanöver des Spaniers auf der Strecke quer. Reichlich Sachschaden, aber Toto Wolff verweist auf das Vollkaskogemüt seiner siegverwöhnten Mannschaft, die jetzt schon einen Tick zu lange das Verlieren lernen muss: "Wir haben technische Probleme, keine mentalen. Ein Turnaround kann nur gelingen, wenn man weiter an sich glaubt."

Strenge Gesichtszüge, in Melbourne mal mit und mal ohne Brille: Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat an der Rennstrecke gerade wenig Grund zur Freude. (Foto: Asanka Brendon Ratnayake/dpa)

Trotzdem hätte er sich nach der erneut glanzlosen Vorstellung am liebsten "selbst eins auf die Nase" gegeben. Aber die Zeiten sind auch so schon brutal genug, wie der Manager zugibt. Denn die Unsicherheit entstammt der Unberechenbarkeit des Autos. Eben beim Abschlusstraining noch knapp hinter Max Verstappen, dann in der Qualifikation nicht in den Top Ten. Die Wetterfühligkeit und die Reifennutzung sind durchaus plausible Erklärungen. Aber wenn das bei einem Serienauto passiert, würde der Mercedes-Kunde sein Fahrzeug zurückgeben. Die Hoffnungen, das Jahr endlich mit einem verlässlichen fahrbaren Untersatz starten zu können und auf die lang erwartete Revanche mit Red Bull zu brennen, sind schon wieder verflogen.

Das eigene Auto nicht richtig zu verstehen, ist so ziemlich das Schlimmste, was im Renngeschäft passieren kann

Rekordchampion Hamilton muss so etwas geahnt haben, als er sich im Februar Mercedes entsagt hat, obwohl er unter dem Stern alt werden wollte. Der Transfer 2025 zu Ferrari galt da noch als höchst gewagt, jetzt erscheint er fast logisch. "Es sind harte Zeiten", sagt Wolff, der sich schon von den britischen Boulevardblättern fragen lassen muss, ob er der richtige Mann sei, und korrigiert sich dann: "Es ist superhart, das zu verkraften." Der 52-Jährige lässt aber keinen Zweifel daran, dass er das durchstehen wird und kann. Den Vorschlag, ob es nicht einen Design-Guru wie Adrian Newey brauche, um wieder nach vorn zu kommen, kontert er gelassen: "Wir müssen uns erst an der eigenen Nase packen." Um die strategische Denke im Rennstall zu verbessern, wurde gerade der ehemalige Ferrari-Technikchef Simone Resta verpflichtet, dazu der Software-Spezialist Enrico Sampo. Beide aber dürfen erst im nächsten Jahr anfangen.

Ab 2025 Teamkollege von Charles Leclerc: Der Transfer von Lewis Hamilton (re.) zu Ferrari galt vor ein paar Wochen noch als höchst gewagt, jetzt erscheint er fast logisch. (Foto: Asanka Brendon Ratnayake/dpa)

Hamilton ist natürlich zu clever, um auf seinen Noch-Rennstall einzuprügeln. Ihm geht es auch gar nicht um den Ausfall am Wochenende oder die mäßige Form zuvor in Bahrain und Saudi-Arabien: "Es wäre leicht, sich jetzt in den schlechten Momenten zu verfangen. Aber wir müssen uns auf ein größeres Bild konzentrieren." Trotzdem fragt er in Melbourne frustriert über Boxenfunk bei seinem Renningenieur nach: "Mann, wo ist denn die ganze Zeit liegengeblieben." Wenn Kollege Russell aus dem Cockpit kommentiert, dass da gerade "ein Raumschiff" an ihm vorbeigeschossen sei und damit den Red-Bull-Honda meint, dann ist das zwar Neid, aber vor allem eine verklausulierte Beschwerde an die eigenen Ingenieure.

Das eigene Auto nicht richtig zu verstehen, den Daten aus den Simulationen nicht mehr richtig vertrauen zu können, ist so ziemlich das Schlimmste, was im Renngeschäft passieren kann. Es kann locker in einem weiteren anstrengenden Jahr mit mühsamer Detailarbeit und ebenso kleinen Fortschritten münden. Oder es gibt, siehe Ferrari und McLaren, urplötzlich einen Durchbruch. Das Rennjahr 2024 ist das längste der Formel-1-Geschichte, es kann sich also noch ziehen. Einstweilen gilt jene Momentaufnahme, die von der BBC unter der treffenden Überschrift "Der Karren steckt im Dreck" zusammengefasst wurde. Dazu passt, was Toto Wolff zugibt: "Wir müssen wirklich tief graben."

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