Die zweite Hälfte in diesem Halbfinale des DFB-Pokals hatte gerade erst begonnen, da war die Partie trotz der verbleibenden Zeit schon vorbei. Eben noch hatten sich die Fußballerinnen des FC Bayern dem Strafraum des VfL Wolfsburg genähert, um dann jenen Moment ansehen zu müssen, in dem ihnen dieses Spiel entglitt.
Sveindis Jonsdottir kämpfte sich im Strafraum vorbei an Tuva Hansen und Glodis Viggosdottir, dann war die Bahn frei und sie zog in der 47. Minute zum 3:0 für die Wolfsburgerinnen ab. Neun Minuten später vertändelte Jule Brand den Ball an ähnlicher Stelle zunächst eigentlich, doch die zur Pause eingewechselte Carolin Simon tat ihr beim Abwehrversuch den Gefallen einer unfreiwilligen Vorlage - und Brand erhöhte auf 4:0. Vier Minuten danach herrschte schon wieder Alarm im Münchner Strafraum. Und während beim vorherigen Aufeinandertreffen in der Bundesliga der FC Bayern von einem Handelfmeter profitiert hatte, waren es nun die Gäste: Beim Schuss von Ewa Pajor erwischte die sich wegdrehende Hansen den Ball mit dem Arm aus nächster Nähe. Dominique Janssen verwandelte vom Punkt souverän.
RB Leipzig im Frauenfußball:Mit weltmeisterlicher Erfahrung
RB Leipzig hat es als einziger Zweitligist ins Halbfinale des DFB-Pokals geschafft und steht vor dem Bundesliga-Aufstieg: Über ein Projekt, das auch dank zweier früherer Nationalspielerinnen gerade so richtig Schub erhält.
Nach einer Stunde stand es also 5:0 für den VfL und jegliche Hoffnung der Münchnerinnen, es diesmal ins Finale am 18. Mai in Köln zu schaffen, war zunichte gemacht worden. Für Wolfsburg ist es die Fortsetzung einer beeindruckenden Serie: In den vergangenen zehn Jahren hat der VfL den DFB-Pokal neunmal und davon achtmal ohne Unterbrechung gewinnen können. Nur 2014 hatte sich der 1. FFC Frankfurt im Endspiel gegen die SGS Essen durchgesetzt. Vor dem Start der grün-weißen Regentschaft war es 2012 zuletzt dem FC Bayern gelungen, den Pokal zu holen. Der Sieg am Samstag im ausverkauften Stadion des FC Bayern Campus vor 2500 Zuschauern war nun der 44. nacheinander in diesem Wettbewerb.
"Das ist ein Schock. Ich habe das nicht erwartet", sagte Bayern-Trainer Alexander Straus. "Am Ende sprechen wir auch über Stolz. So etwas darf uns nicht passieren." Dabei war das Spiel aus Wolfsburger Sicht von einer schlechten Nachricht eingeleitet worden: Am Donnerstag teilte der Verein mit, dass Kapitänin Alexandra Popp verletzt ausfallen würde. Die 32-jährige deutsche Nationalspielerin hatte sich am Dienstag beim Länderspiel gegen Brasilien an der rechten Wade verletzt, hieß es, Trainer Tommy Stroot präzisierte später: "Ihre Achillessehne hat einen kleinen Schlag abbekommen."
Auf beiden Seiten fehlt es zu Beginn bisweilen an Dynamik und Präzision
Dass er noch dazu auf Lena Lattwein und Marina Hegering verzichten musste, erschwerte die Ausgangslage zusätzlich. Torhüterin Merle Frohms, die aufgrund anhaltender Rückenbeschwerden frühzeitig von den DFB-Frauen abgereist war, konnte am Samstag immerhin wieder spielen. Stroot reagierte auf die personellen Ausfälle, indem er Jill Roord neben Lena Oberdorf auf die Sechser-Position zog und Jule Brand zum Zehner machte, Ewa Pajor besetzte die Sturmspitze.
Dass die Spielerinnen sich nun nach zwei Wochen bei den Auswahlteams ihrer Länder in einem anderen Rhythmus befanden als bei ihrem vorherigen Duell in der Bundesliga Ende März, war der Partie bisweilen anzumerken: Die Härte in der Gangart blieb die gleiche, aber auf beiden Seiten fehlten Dynamik und Präzision. Nachdem es in einer ausgeglichenen Anfangsphase auf dem Weg in den Strafraum oft kein Durchkommen gab, versuchten es die Wolfsburgerinnen schließlich auf andere Weise. In der 19. Minute passte Lena Oberdorf zur starken Jill Roord, die den Ball auf eine lange Reise zu Sveindis Jonsdottir schickte. Die 21 Jahre alte Isländerin konnte sich den Ball ungestört vorlegen und auch ungestört von der linken Seite diagonal zum 1:0 abziehen - Torhüterin Maria-Luisa Grohs kam an diesen Strich von einem Schuss nicht ran.
Bei ihrem Besuch in München Ende März hatten die Wolfsburgerinnen 0:1 und damit die Tabellenführung der Bundesliga verloren. Sich dafür zu revanchieren war für sie offensichtlich zusätzliche Motivation. "Sie sind angestachelt. Das wollen sie nicht auf sich sitzen lassen", sagte Bayerns Sydney Lohmann in dieser Woche. Die 22-Jährige und ihre Mitspielerinnen mühten sich nach dem 0:1 redlich um einen Ausgleich, doch entweder sie verfehlten beim Abschluss das Ziel - oder beim entscheidenden Pass war keine Abnehmerin zur Stelle.
Und dann war es wieder die an diesem Tag überragende Jonsdottir, die entscheidend zu einem Tor beitrug. In der 43. Minute brachte sie den Ball mit einem ihrer berüchtigten langen Einwürfe auf die entscheidende Bahn: Er sprang an den Rücken von Viggosdottir, von dort zu Pajor, die zwar mit ihrem Kopfball nur den linken Pfosten traf - doch Bayerns Keeperin Grohs befand sich mit der Absicht zu klären gerade so vor ihrem Tor, dass der Ball vom Aluminium an ihrem Bein abprallte und zum 2:0 über die Linie rollte.
"Der Vorteil dieser Gruppe ist, sie kann null verlieren", hatte Tommy Stroot vor dem Spiel gesagt, als er gefragt worden war, warum das Pokalspiel nun anders als der Bundesligagipfel laufen werde. Seine Spielerinnen wüssten bestens, wie es sich anfühle, diese Trophäe in Köln emporzuheben: "Das Gefühl ist durchaus etwas, das uns Beine macht." Er sollte Recht damit behalten.