Nach dem ersten Tor von Vanessa Fudalla in der 9. Minute schauten die Fußballerinnen von RB Leipzig etwas ungläubig angesichts dieses idealen Starts. Aber gut, noch war viel Zeit übrig in diesem Spiel an einem Abend im Februar gegen die SGS Essen; noch konnte viel passieren. Kurz danach traf Medina Desic, in der 20. Minute dann Gianna Rackow - aus deren kunstvollem Distanzschuss das geballte, frisch gesammelte Selbstvertrauen sprach. 36. Minute, Johanna Kaiser, 4:0. Nun lag pure Freude in den Blicken und die Ahnung, dass dieser Abend mit einer Sensation enden würde. Der Anschlusstreffer in der zweiten Halbzeit änderte daran nichts, Fudalla und Lea Mauly erhöhten.
Und dann hatte der Zweitligist Leipzig tatsächlich den Erstligisten Essen mit 6:1 aus dem DFB-Pokal geworfen und das Halbfinale erreicht, nachdem in der Runde zuvor bereits Eintracht Frankfurt besiegt worden war. An diesem Sonntag (18.30 Uhr, Sky) treffen die RB-Fußballerinnen nun auf den SC Freiburg.

DFB-Pokal:Wolfsburgs knallharte Revanche
Der VfL schießt die Bayern-Frauen mit 5:0 ab und zieht ins Pokalfinale ein. Nach der Niederlage in der Liga und dem Verlust der Tabellenführung an die Münchner lässt der Serienpokalsieger dem Rivalen diesmal keine Chance.
Seit der Saison 1980/81 wird dieser Wettbewerb auch bei den Frauen ausgetragen, als Dauersieger holten der 1. FFC Frankfurt und der VfL Wolfsburg die Trophäe jeweils neunmal. Hochklassige Teams haben den Pokal dominiert, aber die besonderen Geschichten, die gab es schon auch. 1991 zum Beispiel, als Grün-Weiß Brauweiler auf dem Weg ins Finale lauter Bundesligisten und dann auch noch den Meister TSV Siegen bezwang. Das in der damals noch höher eingestuften Regionalliga spielende Team von Brauweiler hatte sich als Verbandspokalsieger qualifiziert und ist bis heute der einzige Zweitligist unter den Titelträgern. 1999 schaffte es noch Hertha Zehlendorf unter die besten Vier, 2020 Arminia Bielefeld - und nun RB Leipzig.
"Es war relativ schnell klar, dass wir nicht Millionen in die Hand nehmen", sagt Managerin Odebrecht
"Schon allein mit dieser Besonderheit kann ich kaum beschreiben, was das für uns bedeutet. Diese Partie werden wir besonders genießen, vor allem die Spielerinnen", sagt Anja Mittag vor dem Pokal-Halbfinale am Telefon. Die 37-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Fußballerinnen Deutschlands, in 158 Länderspielen traf sie 50 Mal und erreichte diese Grenze auch in der Champions League als erste Spielerin. Sie gewann dreimal die Europa-, einmal die Weltmeisterschaft sowie das Olympiaturnier, dazu kommen zahlreiche Erfolge mit Vereinen. Mittag weiß, wie Gewinnen geht, nicht zuletzt deshalb wurde sie von RB Leipzig 2019 als Individual- und Co-Trainerin geholt; zumal Mittag noch dazu trotz bereits verkündetem Karriereende auch selbst kickte.
Der Verein will sich langfristig zu einem der besten Klubs entwickeln und zum FC Bayern und dem VfL Wolfsburg aufschließen, die in den vergangenen Jahren die Messlatte in Deutschland gelegt haben. Der Erste und der Zweite der Bundesliga trafen am Samstag im ersten Halbfinale aufeinander, die Wolfsburgerinnen deklassierten die Münchnerinnen mit 5:0 bei ihrem 44. Sieg im Cup nacheinander. Bis die Lücke zu diesen beiden geschlossen sein könnte, wird es noch dauern. Aber das Leipziger Projekt hat gerade auch abgesehen vom Pokal richtig viel Schub bekommen.

Jenes Team, das im August 2016 mit Spielerinnen des FFV Leipzig sowie eigenen Talenten in der Landesliga Sachsen begann, dürfte diese Saison nach drei Jahren in der zweiten Liga tatsächlich aufsteigen. Bei noch sechs ausstehenden Partien führt RB mit einem deutlichen Vorsprung von 18 Punkten vor der SG 99 Andernach und dem 1. FC Nürnberg. Dabei ist Saban Uzun, 35, erst seit vergangenem Sommer als Cheftrainer engagiert. "Durch den Trainerwechsel kam ein anderer Fokus auf die Belastungssteuerung, wir haben Verletzungen deutlich reduzieren können", sagt Mittag. Hinzu kommt für sie eine Weiterentwicklung des Teams, Ausfälle könnten besser kompensiert werden, "und so trittst du eher auf wie eine Spitzenmannschaft".
Auf dem Weg dorthin hatte RB nicht allein auf die sportliche Expertise von Mittag gesetzt, sondern zuvor bereits Viola Odebrecht als Leiterin Frauen- und Mädchenfußball geholt. Die 40-Jährige hat ebenfalls sehr erfolgreich gespielt, sie gewann unter anderem 2003 die WM und dreimal die Champions League. "Als ich angefangen habe, war die Aussage: Wir können bei den Frauen nicht in der dritten Liga spielen, das passt nicht zu uns. Wir wollen in die erste Bundesliga", sagt Odebrecht. Dass erst sie als Managerin und dann Mittag als Spielertrainerin kam, waren "die ersten Zeichen nach außen, dass RB es ernst meint".
Odebrecht war damals mitbeteiligt an der Strategieentwicklung zu Themen wie der Nachwuchsarbeit und infrastrukturellen Voraussetzungen zur Professionalisierung, an der festgehalten wird und die zumindest bisher aufzugehen scheint. "Da ging es nicht um überdimensionierte Ideen, sondern darum, sich Schritt für Schritt zu entwickeln", sagt Odebrecht. "Es war relativ schnell klar, dass wir nicht Millionen in die Hand nehmen und durchmarschieren, sondern organisch, nachhaltig wachsen wollen." Aktuell spielen sieben eigene Talente in der zweiten Liga, der eigene Nachwuchs soll weiterhin integriert werden.
Wenn Leipzig den Aufstieg schafft, würde das auch sinnbildlich für die Entwicklung des Frauenfußballs stehen. In der Bundesliga ist die Zahl jener Teams, die zu finanziell wie strukturell starken Lizenzklubs gehören, stetig gewachsen. Mit dem Anspruch sind auch die Kosten gestiegen, ohnehin ist die erste Liga noch ein Zuschussgeschäft. Laut DFB haben die Klubs 2020/21 durchschnittlich einen Verlust in Höhe von 1,5 Millionen Euro gemacht. Das muss man sich leisten können. Die SGS Essen und der 1. FFC Turbine Potsdam bilden eine Ausnahme, und auch für sie wird es immer schwieriger, sich zu halten. "Was schade ist", sagt Odebrecht, "denn Traditionsklubs waren es ja, die in den Anfangsjahren wichtige Arbeit geleistet und den Frauenfußball zu dem gemacht haben, was er heute ist." Turbine sammelte lange einen Titel nach dem anderen, Anja Mittag und Viola Odebrecht spielten dort einst gemeinsam. Wenn sie nun mit Leipzig aufsteigen, steigt Potsdam sehr wahrscheinlich ab.