Überall hatte dieses Spiel Spuren hinterlassen, an den Körpern der deutschen Basketballerinnen, aber auch in ihren Gesichtern. Was so eine Teilnahme an den Olympischen Spielen bedeutet, spiegelte sich in den Augen, in schimmernden Tränen, und es war völlig wurscht, dass einige nur noch taumelten vor Erschöpfung, vor Schmerzen nach dieser Klopperei von einem Basketballspiel. Die Blessuren werden verheilen, das Erlebnis wird für immer bleiben, dafür lohnte es sich, in der Gluthitze von Belem nahe dem Amazonas über alle Grenzen zu gehen.
Nie zuvor hat es das schließlich gegeben: Die Spielerinnen des Deutschen Basketballbunds (DBB) reisen nach dem 73:71 (39:35) gegen Brasilien zu Olympia - als eines von weltweit zwölf Teams. Ermöglicht haben sie sich dieses Highlight ihrer Verbandsgeschichte mit einer Heldinnenerzählung, die an Fußballmomente wie Schweinsteigers vernarbtes Gesicht von Rio 2014 und Beckenbauers bandagierten Arm von der WM 1970 erinnert.
Deutsche Basketballerinnen:Zum richtigen Zeitpunkt mit den Besten
Es passiert was im deutschen Basketball: Die Männer sind Weltmeister und Medaillenkandidat bei Olympia - und auch die Frauen haben gute Chancen auf einen bisher nie dagewesenen Erfolg. Das liegt an einem einfachen Konzept.
"Ich bin einfach sprachlos", stammelte Kapitänin Svenja Brunckhorst, als nach einem straßenkampfähnlichen Fight Platz zwei in der Gruppe gesichert war. 9000 brüllende Fans, Gegnerinnen mit teils gesundheitsgefährdender Methodik, ein später Rückstand - all diese Widerstände bildeten den Rahmen des strapaziösen Abends. "Vor und während des Turniers haben wir so viele Hürden gemeistert und uns nie entmutigen lassen", sagte Brunckhorst, "für uns ist das ein Traum, der gerade real wird."
Ähnlich formulierte es Bundestrainerin Lisa Thomaidis, die seit ihrem Amtsantritt im Mai des vergangenen Jahres viel bewegt hat. "Solchen Willen und so eine Leidenschaft, die wir heute gezeigt haben, habe ich noch nie erlebt." Die bemerkenswerteste Leistung lieferte Satou Sabally, die sich am Ende zwanzig Punkte und elf Rebounds erkämpft hatte - und nur 56 Sekunden zum Ausruhen kam. Sie hatte quasi durchgespielt, 39 Minuten lang, mit dick verbundenem Wurfarm, den sie vor Schmerzen kaum bewegen konnte.
Sabally kann vor Schmerzen kaum zielen und muss mit der falschen Wurfhand Freiwürfe versuchen
Die Verletzung hatte sie sich in der ersten Partie gegen Serbien zugezogen, als das DBB-Team ebenfalls einen knappen Sieg schaffte, ehe es gegen Australien verlor. Was ihr der Traum von Paris bedeutete, war der 25-jährigen Sabally von der ersten Sekunde an anzusehen: Sie setzte ihre Gesundheit aufs Spiel, wo andere gepasst hätten. Sie warf als Linkshänderin Freiwürfe mit der rechten Hand, hielt bewusst platzierte Kung-Fu-Hiebe der Brasilianerinnen auf die lädierte Stelle aus und trieb das Team mit letzter Kraft an. Und auch wenn ihr mit diesem Handicap nicht alles gelang - speziell von der Freiwurflinie -, kam der möglicherweise beeindruckendste Basketball zur Aufführung, der je mit einem Arm gespielt wurde.
Das Glück der deutschen Basketballerinnen bestand in diesen Tagen im brasilianischen Norden ohnehin darin, dass genügend Arme zur Verfügung standen. Jene von Leonie Fiebich zum Beispiel, die mit 22 Punkten Topscorerin war - und mindestens ebenso viel abbekam wie Sabally. Nach einem Sturz rücklings aufs Parkett japste sie nach Luft, doch wie Marie Gülich kehrte sie nach einer Blitzbehandlung auf der Bank aufs Feld zurück. Fiebich, 24, wird von August an in der US-Profiliga WNBA mit DBB-Kollegin Nyara Sabally, Satous Schwester, in New York zusammen spielen, doch das "meiste Herzblut" steckt sie seit Jahren in die Auftritte mit dem Nationalteam, wie sie vergangene Woche am Telefon erzählte.
Im Nationalteam ist zuletzt wie auch bei den DBB-Männern etwas entstanden, das mit Arbeit an der Basis zu tun hat. Natürlich profitierten die deutschen Frauen auch davon, dass eine talentierte Generation zusammengefunden hat. Die Sabally-Schwestern, Fiebich oder Gülich zeigen in ihren Klubs auf höchstem Niveau ihr Können; aber dahinter sind dank Ausbildungsimpulsen im Ausland Spielerinnen herangewachsen, die in Europa und den USA reüssieren. Die gebürtige Ansbacherin Luisa Geiselsöder, 24, hat sich in Frankreich spielerisch enorm entwickelt, sie liefert wichtige Treffer aus der Mitteldistanz. Die Berlinerin Lina Sontag, 20, reift gemeinsam mit ihrer derzeit verletzten Münchner Kollegin Emily Bessoir, 21, am College in Los Angeles heran. Dazu hilft die Erfahrung von Brunckhorst, 32, im Spielaufbau - und die Bereitschaft eines festen Mannschaftskerns, sich langfristig zum Team zu bekennen.
"Wir haben endlich unsere echt besten Spielerinnen beisammen", sagt Leonie Fiebich. Außerdem habe man es geschafft, in Video-Meetings über die vergangenen Monate einen gemeinsamen Geist zu erschaffen. "Wir sind alle auf der Welt verteilt, unsere Coaches arbeiteten zwischendurch in Kanada", da sei Kommunikation wichtig, und außerdem mussten sie sich vor der Olympia-Qualifikation "nicht neu kennenlernen, das haben wir übersprungen". Das hilft in so einer Prügelei wie gegen Brasilien. Ihren Zusammenhalt können die DBB-Frauen nun in Paris verfestigen - und dann auf noch mehr hoffen: 2025 steigt eine EM mit Vorrundenpartien in Hamburg, 2026 dann eine Heim-WM in Berlin.