Spanischer Meister Atlético Madrid:Suárez' süße Tränen

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Koke und Luis Suárez: Zwei Protagonisten bei Atléticos Titelgewinn. (Foto: Angel Martinez/Getty Images)

Süße Revanche des Uruguayers: Angeführt von Stürmer Luis Suárez fährt Atlético den ersten Meistertitel seit 2014 ein - dass Barça ihn im vergangenen Sommer wegschickte, löst bei ihm im Moment des Triumphs große Gefühle aus.

Von Javier Cáceres

Der uruguayische Stürmer Luis Suárez, 34, ist nah am Wasser gebaut, der Welt ist das seit knapp einem Jahr bekannt. Seine Venen verwandelten sich damals in einen Strom aus Traurigkeit und Wut, doch wie gewaltig er am Samstag über die Ufer trat, weil Stolz und Freude zugeflossen waren, das überraschte doch.

Zur Erinnerung: Im August 2020 musste er gegen seinen Willen den FC Barcelona (und seinen Freund Leo Messi) verlassen, er weinte bei seiner Verabschiedung im Presseraum des Camp Nou. Am Samstag weinte er, diesmal im Dress von Atlético Madrid, in Pucela, dem Stadion von Absteiger Real Valladolid. Und da reichte, dass er gefragt wurde, welche Emotionen durch seinen Kopf schossen, da er gerade Atlético Madrid zum spanischen Meistertitel geschossen hatte.

"Man hat mich geringgeschätzt!", schluchzte und stammelte er in Anspielung auf den Abschied aus Barcelona, der damals neue Trainer Ronald Koeman fertigte ihn in einem einminütigen Telefonat ab. Zu alt, zu satt, zu teuer, so lautete das Verdikt. "Atlético öffnete mir die Türen, auf dass ich zeigen konnte, dass ich mein Verfallsdatum noch nicht erreicht habe. Ich werde ihnen immer dankbar dafür sein. Viele Menschen waren an meiner Seite, meine Frau, meine Kinder im Alltag. Ich bin seit vielen Jahren im Fußball, aber dies ist das Jahr, in dem sie am meisten gelitten haben..."

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Der Stürmer erzielt das späte Siegtor gegen Osasuna und verschafft seinem Klub vorm letzten Spiel eine gute Chance auf die spanische Meisterschaft. Beim FC Liverpool erzielt der Torhüter den entscheidenden Treffer.

Einen Top-Stürmer wie Suarez gratis dem Rivalen zu überlassen - darauf muss man erstmal kommen

Und just als man meinte, Suárez habe sich im Live-Interview ausgeheult, setzte er sich auf dem Rasen vor eine andere Kamera. Vor die Kamera seines Handys und heulte wieder, diesmal wohl im Gespräch mit seiner Familie.

Oder sprach er doch mit seinem Freund Leo Messi vom FC Barcelona?

Es sei schon vom Grundsatz her "ein Wahnsinn", auf Suárez zu verzichten, hatte Messi, 33, vor Monaten in einem Interview gesagt. Ihn aber auch noch "gratis einem Klub zu überlassen, der um die gleichen Ziele kämpft wie wir" - darauf muss man tatsächlich erst einmal kommen.

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Luis Suárez verließ Barcelona unter Tränen, jetzt ist er erneut bester Torschütze in Spanien. Dank seiner Tore steuert Atlético der Meisterschaft entgegen - trotz einiger Widrigkeiten.

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Suárez' Revanche geriet nun süß: Er steuerte 21 Tore zum elften Meisterschaftstitel von Atlético bei, der Uruguayer landete damit vor Youssuf En-Nesyri (FC Sevilla/18) und hinter Messi (30), Gerard Moreno (Villarreal/23) Karim Benzema (Real Madrid/23) unter den Top-5 der spanischen Torjäger. Er holte seinen fünften Meistertitel in sieben Spanien-Jahren. Und: Er erfüllte die Prognose seines Trainers Diego "Cholo" Simeone, der ihn in der Schlussphase gefordert hatte.

"Wir treten in die Suárez-Zone ein...", hatte Simeone gesagt. Die Zone der entscheidenden, saisondefinierenden Momente. Am Samstag ging Valladolid in Führung - und kassierte durch Ángel Correa (57.) den Ausgleich. Das Siegtor schoss: Suárez (67.). Damit war das Duopol von Real Madrid und FC Barcelona durchbrochen. Bis auf eine (2014) haben sich die beiden Klubs die Meisterschaften der letzten 17 Jahre aufgeteilt.

"Suárez ist Suárez, muchachos", sagte Trainer Simeone. "Der Name steht für sich selbst. Er kam von einem großen Klub zu einem anderen, der genauso ist wie er. Er ist ein Killer", sagte Simeone. Doch bei Atlético stehen auch weitere Weltklassespieler im Kader. Allen voran Torwart Jan Oblak, der 81 Prozent der 139 Schüsse aufs Tor abwehrte und somit den besten Prozentsatz der großen Ligen aufweist. Er spielte 20 Mal zu Null.

Das Klischee vom ewig leidenden Klub wurde bei Atletico neu belebt

Auch das war ein Grund dafür, dass Atlético so brillierte, zu Beginn des Jahres zehn Punkte Vorsprung auf die Verfolger hatte, an mehr als 30 Spieltagen in der Tabelle oben stand. Zuletzt schnurrte er zusammen. Aber das war gewissermaßen willkommen. Das Klischee vom ewig leidenden Klub, der das Drama braucht wie der Fisch das Wasser, wurde neu belebt, mündete in ein Herzschlagfinale.

Am vorletzten Spieltag waren noch zwei Teams im Titelrennen; doch der FC Barcelona strauchelte. Am Samstag hätte Real Madrid noch vorbeiziehen und den Titelgewinn Atléticos verhindern können. Aber es blieb bei der Hypothese. Reals 2:1-Sieg gegen den FC Villarreal, der am Mittwoch in Danzig das Europa-League-Finale gegen Manchester United bestreiten wird, blieb steril.

Simeone war ob der stilechten, nervenzerreißenden Umstände seines achten Titelgewinns mit Atlético glücklich. "Dies war ein Jahr, das anders war: für die Welt, für die ganze Gesellschaft, für uns, in dem viele Menschen wegen des Virus den Tod fanden ... Es war ein Jahr, das schwierig war. So wie unsere Geschichte schwierig ist. Es ist ein gutes Jahr, um Meister zu werden", sagte Simeone, der im Dezember sein zehntes Dienstjubiläum feiern wird.

Dass er in der kommenden Saison bei Real Madrid und dem FC Barcelona auf die gleichen Trainerkollegen trifft, ist fraglich. Der angeblich amtsmüde Zinédine Zidane ließ am Samstag offen, ob er bei Real weitermacht ("Ich habe einen Vertrag", sagte er), gleichzeitig erinnerte er daran, dass gerade die schlechteste Real-Saison seit elf Jahren beendet wurde: "Wir haben nichts gewonnen, und dies ist Real Madrid."

Kassensturz: Womöglich muss Barça bald einige Spieler verabschieden

Zidane verteidigte seine Mannschaft - sein Barca-Kollege Ronald Koeman kanzelte sein Personal ab. "Der Kader hat nicht das Niveau, das wir bei Barca wollen", sagte Koeman, der mit Barcelona immerhin den Pokal gewinnen konnte. "Bei allem Respekt, es gibt ältere Spieler, die noch Leistung abgeliefert haben, und es gibt sehr junge Spieler... Aber der Kader ist noch nicht fertig. Das geht nicht in einer einzigen Saison."

Auch Koeman weiß, dass seit Tagen mögliche Nachfolger gehandelt werden. Doch ob er am Ende wirklich gehen muss (und Co-Trainer Alfred Schreuder frei wird, um Julian Nagelsmann zum FC Bayern München zu folgen), wird auch vom Geld abhängen. Barça macht gerade Kassensturz, und das Geraune besagt, alles sei noch viel schlimmer, so dass viele zum Verkauf stehen - darunter auch Weltmeister Antoine Griezmann, der in Eibar das Siegtor zum 1:0-Sieg schoss. Dabei hat Barça jetzt schon mehr als eine Milliarde Verbindlichkeiten. Und über allem schwebt noch eine andere Schlüsselpersonalie: ob Lionel Messi über den Sommer hinaus bleibt.

Messis Vertrag läuft zum 30.6. aus, danach kann er ablösefrei wechseln. Am Wochenende war er nicht dabei - er durfte sich für die Copa América im eigenen Land ausruhen. Am Samstag erschien in der Zeitung Olé ein großes Interview, in dem er zwar nicht zur persönlichen Zukunft gefragt wurde, aber doch ein paar Äußerungen tat, die in Barcelona zu Optimismus führten: Er freue sich, so viele Nachwuchsspieler in die erste Mannschaft aufsteigen zu sehen. Die Zeitung La Vanguardia schrieb am Sonntag, Messi wolle für zwei Jahre verlängern - und dann seine Karriere in Miami ausklingen lassen.

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