Die Millionen-Schieberei des deutschen Organisationskomitees (OK) für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wirft noch viele Rätsel auf. Wo ist das Geld am Ende gelandet? Was wurde damit bezweckt? Eines aber ist klar. Das von Franz Beckenbauer geleitete WM-OK hat den eigenen Aufsichtsrat getäuscht. Und damit auch den damaligen Partner Bundesregierung, der im Aufsichtsrat vertreten war und der immer half, wenn es irgendwo klemmte. Eine Dokumentation.
Anfang 2002 - Die Fifa, das OK und zehn Millionen Schweizer Franken
Franz Beckenbauer, Präsident des OK der WM 2006, soll von Fifa-Chef Sepp Blatter 250 Millionen Schweizer Franken Zuschuss für die WM angeboten bekommen haben. Bedingung angeblich: zehn Millionen Franken vorab für die Fifa-Finanzkommission. Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus soll den Betrag vorgestreckt haben. Später soll Dreyfus den Betrag, inklusive Zinsen inzwischen umgerechnet 6,7 Millionen Euro, zurückgefordert haben.
(Quelle: Darstellung von Wolfgang Niersbach, Präsident des DFB und damals einer der Vizechefs des OK, bei seiner Pressekonferenz am 22. Oktober 2015 in Frankfurt)
Ende 2004 - Ein Anruf von Netzer
Horst R. Schmidt, langjähriger DFB-Funktionär und ebenso wie Niersbach OK-Vize, erfährt durch einen Anruf von Günter Netzer, dass Dreyfuß einen Anspruch gegen das OK in Höhe von 6,7 Millionen Euro habe. Schmidt: "Zeitnah habe ich die Mitglieder des OK-Präsidiums über diesen Sachverhalt informiert." Das OK-Präsidium, das sind Beckenbauer, Niersbach, Schmidt und Zwanziger.
(Quelle: Erklärung von Horst R. Schmidt vom 22. Oktober 2015)
WM 2006:Alles verjährt? Nicht unbedingt
Wie der Staatsanwalt die dubiosen Zahlungen vor der WM 2006 noch aufklären könnte.
Anfang 2005 - Dreyfus will sein Geld zurück
Theo Zwanziger, ebenfalls DFB-Funktionär und OK-Vize, und Horst R. Schmid versuchen, Dreyfus davon zu überzeugen, auf seine Forderungen zu verzichten. Ohne Erfolg. Schmidt: "Letztlich haben wir die Fifa als Zuschussgeber eingeschaltet. Nach Diskussionen mit der Fifa wurde letztlich gemeinsam festgelegt, dass die Zahlung mit der Beteiligung des DFB an den Kosten der geplanten WM-Gala verrechnet wird, was dann auch geschah."
(Quelle: Erklärung von Horst R. Schmidt vom 22. Oktober 2015)
7. April 2005 - Beckenbauers OK fädelt Zahlung an die Fifa ein
Das von Beckenbauer geleitete OK-Präsidium erklärt sich bereit, der Fifa sieben Millionen Euro Zuschuss für die Auftaktgala der WM 2006 zu geben. In Ziffer 7 des Protokolls der damaligen Präsidiumssitzung heißt es: "Das Präsidium stimmt zu, dem Ersuchen der Fifa grundsätzlich nachzukommen ... " Allerdings solle der Zuschuss auf sieben Millionen Euro gedeckelt werden.
(Quelle: Angaben des damaligen Bundesinnenministers und OK-Aufsichtsrats Otto Schily auf Anfrage der SZ)
8. April 2005 - Der Aufsichtsrat wird getäuscht
In Köln tagen der Aufsichtsrat des OK und der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats. Beide Gremien werden von DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder geleitet.
Verträge mit einem Volumen von mehr als 500 000 Euro bedürfen der Genehmigung des Präsidialausschusses, über Vertragsentscheidungen mit einem Volumen von mehr als 100 000 Euro ist dem Ausschuss "laufend zu berichten".
(Quelle: OK-Unterlagen)
Mögliche Verstrickung von Bin Hammam:Rätsel um den Fifa-Mann aus Katar
Wohin flossen die 6,7 Millionen Euro des DFB? Der Empfänger soll angeblich Mohamed Bin Hammam sein. Doch ein hoher Verbands-Funktionär widerspricht.
Laut Tischvorlage für den Präsidialausschuss soll die Fifa aus dem Kulturbudget des OK einen Zuschuss in Höhe von sieben Millionen Euro für die Auftaktgala der WM erhalten, die am 8. Juni 2006 in Berlin stattfinden soll.
(Quelle: Angaben des damaligen Bundesinnenministers und OK-Aufsichtsrats Otto Schily auf Anfrage der SZ)
Teilnehmer der Sitzung des Präsidialausschusses:
• die OK-Vizechefs Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger
• Aufsichtsratschef Gerhard Mayer-Vorfelder und Aufsichtsratsmitglied Werner Hackmann (beide inzwischen verstorben)
• Göttrik Wewer, Staatssekretär im Bundesinnenministerium als Vertreter von Innenminister Otto Schily, der ebenso als "entschuldigt" fehlt wie Thomas Bach (heute Präsident des Internationalen Olympischen Komitees)
• Stefan Hans als Protokollant. Hans war damals Finanzchef des OK und wechselte nach der WM zum DFB, wo er seitdem ebenfalls für Finanzen zuständig und inzwischen zum Vize-Generalsekretär aufgestiegen ist.
(Quelle: Angaben des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der SZ)
22. Oktober 2015 - DFB-Chef Niersbach erklärt die "Rückabwicklung" der Dreyfuß-Millionen
Exklusiv Streit mit Blatter:Fifa wollte "Afrika-Spende" vom WM-OK
Neues aus dem Fußball-Tollhaus: Die 6,7 Millionen Euro, die die Fifa 2002 vom DFB erhalten haben soll, genügten offenbar nicht. Wenig später forderte sie eine "Afrika-Spende".
Niersbach sagt bei seiner Pressekonferenz in Frankfurt, im April oder Mai 2005 sei die "Rückabwicklung" der Dreyfus-Hilfe erfolgt. Dergestalt, "dass damals noch die Absicht war, eine besondere Fifa-Gala in Berlin durchzuführen. Es gibt entsprechende Unterlagen, dass der Antrag der Fifa gestellt wurde, dass das OK sich an dieser Gala beteiligen solle. Diese Vorlage wurde entsprechend erstellt, ging in die Gremien OK-Präsidium und Präsidialausschuss, wurde dort genehmigt und dann ist dieser Betrag von 6,7 Millionen Euro, der entsprach den zehn Millionen Schweizer Franken, auch zurücküberwiesen worden an die Fifa. Also die Fifa war am Anfang über die Finanzkommission dort eingeschaltet und eingebunden plus bei der Rückabwicklung."
Nachtrag - "Mehr Flexibilität"
Der Präsidialausschuss des OK-Aufsichtsrats hatte am 8. April 2005 in Köln die Vertrags-Genehmigungsgrenze von 250 000 auf 500 000 Euro angehoben, um dem OK-Präsidium "mehr Flexibilität" einzuräumen. So steht es im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 8. April. So, wie an diesem Tag die Rückzahlung der Dreyfus-Millionen geregelt wurde, war das mit der "Flexibilität" aber nicht gemeint.