Kanarische Inseln:Die Walheimat

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Grindwale oder Pilotwale fühlen sich wohl auf Teneriffa, sie leben das ganze Jahr hier in einem Gebiet, das nun zur "Whale Heritage Site" erklärt wurde. Auf Beobachtungstouren sind sie leicht zu sehen. (Foto: Mauritius Images /imagebroker)

Warmes Wasser, Sonne, niedrige Corona-Zahlen: Jetzt im Herbst ist Teneriffa ein attraktives Reiseziel. Hinzu kommt ein neues Walschutzgebiet, in dem man die Tiere sehr gut beobachten kann.

Von Anja Martin, Santa Cruz

Da sind zwei Flossen! Aber leider auch schon zwei Boote. Federico Esmoris fährt weiter, das Steuerrad der Segelyacht in der Hand, die verspiegelte Sonnenbrille im Gesicht. Für so eine verpasste Gelegenheit dreht der Skipper nicht einmal den Kopf. Maximal zwei Boote dürfen sich in der Zone zwischen Teneriffa und La Gomera den Walen bis auf 60 Meter nähern. Aber er weiß, dass sich in ein paar Minuten die nächste Gelegenheit bietet, denn die fast vierhundert kurzfinnigen Grindwale, auch Pilotwale genannt, leben das ganze Jahr über im Meeresstreifen Tena-Rasco. Sie finden hier Ruhe vor Stürmen und mit 2,4 Kilometern ausreichend Tiefe für ihre Beutezüge. Einer der wenigen Orte weltweit, die sie zu ihrer festen Bleibe gemacht haben. Zwischen März und Mai kommen zu den ortsansässigen Tieren noch Wale auf Stopover, darunter Blauwale, Orcas und Brydewale. 28 Arten von Meeressäugern hat man bisher hier gesichtet. Seit Anfang des Jahres sind die Wale nicht nur eine Attraktion, sondern Naturerbe, denn die World Cetacean Alliance (WCA), eine Organisation zum Schutz von Meeressäugern, hat das Gebiet als "Whale Heritage Site" zertifiziert, und zwar als einziges in Europa.

Federico Esmoris ist Skipper und bringt die Gäste mit seiner Segelyacht hinaus zu den Grindwalen. (Foto: Anja Martin)

Federico Esmoris liebt es hinauszufahren, wo es mehr Platz, Luft und Weite gibt. Er findet: "Probleme bleiben automatisch an Land." Seit vier Jahren arbeitet der Argentinier als Bootsführer und Guide bei unterschiedlichen Anbietern des kanarischen Whale Watching - ein durchaus beliebter Zeitvertreib für Urlauber. Vor Corona konnten sich dafür jährlich 1,4 Millionen der sechs Millionen Teneriffa-Touristen erwärmen. Esmoris hat schon viel gesehen, auch viel Feierpublikum und Gäste, die den Ausflug katergeschädigt komplett verschlafen haben. Aber das war vor der Pandemie.

Die Insel ist im Herbst gut ausgelastet, die Corona-Zahlen sind niedrig

Generell sieht man derzeit auf Teneriffa weniger Party People, mehr Menschen, die einfach froh sind - gebeutelt von Homeschooling, Lockdowns und Quarantänen -, ein wenig Sonne auf die Nase zu bekommen. Zur Schönwetter-Garantie und Wassertemperaturen von 23 Grad kommen ein hoher Geimpftenanteil von 84 Prozent und moderate Corona-Zahlen. David Perez, CEO von Turismo de Tenerife, freut sich, dass die Hotels in diesem Herbst sehr gut ausgelastet sind, und denkt, dass das so weitergeht: "Die Prognosen für den gesamten Winter sind hervorragend, fast vergleichbar mit den Zeiten vor der Pandemie."

Die nächste Chance auf einen Wal: Ein paar Rückenflossen tauchen auf, und lediglich ein Boot ist am Start. Als Federico nah genug herangefahren ist, macht er den Motor aus. "Ich mag es, Teil der Natur zu werden", sagt der 39-Jährige. So dümpelt man mit der Dünung auf und ab wie Treibgut und akzeptiert, dass die Wale entscheiden, wie nah die Begegnung werden soll. Da, ein paar Fontänen! Leider keine Schwanzflosse. Auf einen Sprung à la Flipper darf man sowieso nicht hoffen, denn auch wenn die Gattung Grindwale zur Familie der Delfine gehört: Gehen sie nicht gerade auf Tauchgang für Tintenfische, sind sie im Chill-Modus. Wie der Rest des Wals aussieht, der acht Meter lang werden kann, erkennt der Gast nur in der Infobroschüre an Deck: Die runde Stirn ragt über die Schnauze hinaus, der Körper ähnelt einem lang gezogenen Zylinder.

Die Wale sind wegen der vielen Touristen gestresst, befand eine Studie

Die Heimat der kanarischen Pilotwale liegt genau vor der touristischsten Küste Teneriffas, im Süden der Insel, wo die meisten großen Hotels Seite an Seite stehen. Die Strandurlauber haben die Wale praktisch vor der Nase. Ein komfortabler Kurzausflug bei fast garantierter Sichtung. Entsprechend schnell wuchs die Industrie. Wenn vor sechs Jahren noch 37 Boote Walausflüge anboten, waren es vier Jahre später bereits 86. Da eine Studie befand, die Wale seien gestresst, hat das spanische Umweltministerium 2019 die Vergabe neuer Lizenzen gestoppt.

Es gibt aber auch andere Probleme: Boote ohne Genehmigung, Fährlinien, die durchs Gebiet führen, und unwissende Touristen, die mit ihren Leihmotorbooten zu dicht heranfahren und die Tiere gefährden. Vor zwei Jahren wurde einem Walkalb von einem Außenborder die Schwanzflosse abgefahren, und es musste eingeschläfert werden. Wenn es nach Federico Esmoris ginge, würde es im Hafen Infostände geben, oder am besten schon am Flughafen. Die Sorglosigkeit versteht er nicht: "Die Wale sind einer der Schätze Teneriffas. Man muss auf sie aufpassen."

Der Loro Parque in Puerto de la Cruz mit seinen Orca-Shows ist sehr beliebt bei den Gästen, aber nicht unumstritten. (Foto: Anja Martin)

Auf der anderen Seite der Insel kann man noch einmal Walen begegnen, wenn auch in einem völlig anderen Rahmen. Dafür schreitet der Besucher in Puerto de la Cruz durch den thailändisch inspirierten Eingangsbereich des Loro Parque, nimmt die Brücke über einen Koi-Karpfen-Teich und fühlt sich bald von dichter Vegetation verschluckt - und in exotische Gebiete katapultiert. Zum Beispiel in die Antarktis: Im Planet Penguin wartet hinter Glas ein nachgebildeter Eisberg mit mehr als 200 Pinguinen, auf die bei Minusgraden echter Schnee herunterrieselt. Von dort sind es nur noch ein paar Schritte zum Orca Ocean, wo Wale, anders als in freier Natur, plötzlich Namen haben: Sie heißen Keto, Tekoa, Kohana, Adán und Morgan. Orca Ocean klingt ein wenig zynisch angesichts der überschaubar großen Becken. Die ersten Gäste strömen jetzt ins Amphitheater. Bald beginnt die Show. Sie ist in den Eintritt zu dem großen und populären Zoo inkludiert, der im Jahr von 1,2 Millionen Menschen besucht und überall auf der Insel beworben wird.

Nur hundert Meter weiter sitzt Wolfgang Kiessling in einem Konferenzraum mit viel Holz, durch die offenen Fenster wabert ein Klangteppich aus Vogelstimmen herein. Dass der Deutsche seit fast fünfzig Jahren Zoobesitzer ist und mit einem Papageienpark begann, weil ihm Löwen zu teuer waren, erzählt er gern. Das Papageien-Geschirr, in dem man den Kaffee bekommt, hat ihm die Schwester des ehemaligen thailändischen Königs Bhumibol geschenkt. Draußen hängt auch das Schild: Generalkonsul von Thailand. Der 84-Jährige hat viele Verpflichtungen, aber die größte sind seine Tiere. Ganz bewusst wohnt er mitten im Park, gut versteckt hinter einem sorgsam verschlossenen Tor, um nicht die Besuchermassen im Vorgarten stehen zu haben.

Wie in einem Fünf-Sterne-Hotel lebten die Tiere bei ihm, behauptet der deutsche Zoodirektor

Während der 13 Monate pandemiebedingter Schließung war er auf den exotischen Pfaden zwischen weißen Tigern und Flamingos, Erdmännchen und Schimpansen ausnahmsweise ganz alleine. Abgesehen von den Tierpflegern, die weiterhin arbeiten mussten, denn einen Zoo kann man im Lockdown nicht lahmlegen, so wie den Wasserspaßpark in Costa Adeje, den Kiessling auch noch besitzt. Inzwischen ist der Zoo wieder gut besucht. Gleich am ersten Tag der Wiederöffnung im Mai kamen 2000 Besucher. Auf die Kritik von Tierschützern angesprochen, die es an Orca-Shows nicht erst seit Filmen wie "Free Willy" und "Blackfish" gibt, kontert Kiessling ernst und eindringlich: "Ich sage Ihnen eins und das aus reinstem Herzen: Unseren Tieren geht es gut. Die sind auch nicht unzufrieden." Denn ja, die Natur sei nicht nur Spaß, sondern ein Fressen und Gefressen-Werden. "Bei uns leben sie in einem Fünf-Sterne-Hotel." Das ist natürlich seine Meinung, und man nimmt es dem Tourismuspionier und Ehrenbürger der Insel ab, dass er Tiere liebt. Ob die das auch so sehen, kann man sie nicht fragen. Jedenfalls engagiert sich Kiessling auch für deren frei lebende Artgenossen und denkt dabei gleich richtig groß: Ganz Makronesien, also die Kanaren mit Madeira, den Azoren und den Kapverden, sollten seiner Meinung nach ein zusammenhängendes Meeresschutzgebiet werden. Dagegen würde sich die Whale Heritage Site südlich von Teneriffa geradezu winzig ausnehmen.

Der Sternenhimmel über dem Teide-Nationalpark ist besonders klar, zu sehen ist derzeit auch das Sternenbild Walfisch. (Foto: Anja Martin)

Viele Kurven und eine Fahrt ins Inselinnere führen zum größten Wal, den man auf Teneriffa beobachten kann. Wenn im Teide-Nationalpark die Nacht anbricht, findet Whalewatching am Himmel statt. Miguel Ángel Pérez Hernández, 43 Jahre alt, mit Kapuze, Schal und Stirnlampe zweckdienlich gekleidet, packt sein Teleskop aus. Teneriffa gilt als besonders aussichtsreicher Ort für Sterngucker, selbst ein wissenschaftliches Observatorium gibt es hier. "An 250 bis 300 Tagen im Jahr hat man perfekte Bedingungen", sagt Hernández. Also wolkenlos und trocken. Auf rund 2000 Meter Höhe steht man hier in einem alten Krater mit 17 Kilometern Durchmesser, dessen Ränder die Lichter der Städte abschirmen.

Der Vorteil des Sterneguckens: Man kann nichts falsch machen

Überall halten Autos auf den Parkplätzen, und Menschen legen den Kopf in den Nacken, für ein wirklich spektakuläres Funkeln am unfassbar weiten Nachthimmel. Mehr sieht man natürlich mit professionellem Teleskop und geschultem Auge, wie Miguel eines hat. Mit acht Jahren habe er sein erstes Teleskop geschenkt bekommen, erzählt er, mit Anfang zwanzig machte er sein Hobby zum Beruf, verkauft heute astronomisches Equipment und bietet als zertifizierter Starlight-Guide Touren an. Mit einem grünen Laserpointer zeigt er gerade auf Sterne und Sternbilder: dort die Teekanne, der Skorpion, hier der Schwan und der Adler. Und tatsächlich: der Walfisch. Aber wie schon im Meer sind auch von diesem Wal nur Teile zu sehen, dieses Mal die Schwanzflosse. Der Rest der großen Konstellation wird sich erst in einigen Wochen zeigen. Es ist ein Erlebnis, hier oben den Sternenhimmel zu betrachten. Leider interessieren sich laut einer Umfrage nur rund zwei Prozent der Touristen auf Teneriffa für die Sternbeobachtung, während zwölf Prozent das Whale Watching mögen und dreißig Prozent die Themenparks der Insel.

Der große Vorteil beim Sterngucken: Mit einem tiefen Blick in den Himmel kann man definitiv nichts falsch machen. Sterne lassen sich nicht stressen, man braucht sie nicht zu schützen. Und gestorben sind sie vielleicht ohnehin schon, während wir sie betrachten.

Reiseinformationen

Anreise: Flug z. B. mit Lufthansa von München nach Teneriffa Süd und zurück ab 250 Euro, lufthansa.com

Einreise: Es muss auf spth.gob.es maximal 48 Stunden vorher ein Formular ausgefüllt werden. Im Anschluss bekommt man per E-Mail einen QR-Code, der beim Check-in vorgezeigt werden muss. Da Deutschland als Risikogebiet eingestuft ist, müssen alle ab einem Alter von zwölf Jahren, die nicht geimpft und nicht genesen sind (maximal vor 180 Tagen), bei der Einreise einen aktuellen, negativen Test vorlegen. PCR maximal 72 Stunden nach der Testung, Antigen 48 Stunden.

Übernachten: Iberostar Heritage Grand Mencey in Santa Cruz, ab 170 Euro/Nacht mit Frühstück für zwei Personen, iberostar.com; Hotel Botánico in Puerto de la Cruz, ab 284 Euro für zwei Personen ohne Frühstück, hotelbotanico.com

Walbeobachtung: Whale-Watching-Touren, z. B. mit White Tenerife, whitetenerife.com. Generell auf die Flagge "Blue Boat" achten, mit der autorisierte Walbeobachtungsboote ausgezeichnet sind. Eine Liste der legalen Anbieter findet man auch auf whaleheritagesites.org

Zoo: Loro Parque, loroparque.com

Sternenbeobachtung: mit Guide und Teleskop buchbar über sendaecoway.com

Corona-Situation: Die Sieben-Tages-Inzidenz auf den Kanarischen Inseln ist vergleichsweise niedrig, sie steht bei 75 (Stand 23.11.). Damit liegen die Inseln etwas unter dem Spanien-Durchschnitt, denn das gesamte Land steht aktuell bei etwa 80. Bei der Rückreise nach Deutschland müssen nicht Geimpfte/Genesene ebenfalls einen negativen Test vorweisen.

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