Reisebücher Kalifornien:Städte für Träumer

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San Francisco in den frühen 1980ern, das war auch Afterwork-Cocktail mit Dauerwelle. (Foto: John Harding/Pressebild)

Los Angeles und San Francisco: Zwei herausragende Reisebildbände kommen den beiden prägenden Metropolen Kaliforniens bemerkenswert nahe.

Rezension von Stefan Fischer

Beide Städte können einem zur Falle werden, Los Angeles genauso wie San Francisco. Allerdings auf eine vollkommen anders gelagerte Weise. Sie können beide zugleich auch das größte Glück verheißen. Doch auch dieses große Los hat in Los Angeles eine vollkommen andere Gestalt als in San Francisco. Eines ist gewiss: Es sind beides Städte für Träumer.

600 Kilometer liegen zwischen Los Angeles und San Francisco, die beide prototypisch für Kalifornien und den Lebensstil dort stehen und sich doch auch recht fremd sind. Zwei Bücher machen das sehr anschaulich: Der Fotograf Michael Dressel hat seine Wahlheimat porträtiert in dem sehr schonungslosen, sehr ehrlichen und auf mitunter brutale Art direkten Bildband "Los(t) Angeles". Diesem sehr subjektiven Buch steht der auf den ersten Blick sehr objektive Titel von Reuel Golden und Richie Unterberger entgegen: "San Francisco. Porträt einer Stadt".

Die größte Gefahr ist, es nicht zu schaffen und hängenzubleiben in einem prekären Job

Die jeweilige Falle: Es in Los Angeles nicht zu schaffen, Fuß zu fassen im Film- und Showbusiness und stattdessen hängenzubleiben in einem der prekären Jobs, die eigentlich nur vorübergehend die Existenz sichern sollten bis zum Durchbruch. In San Francisco wiederum die Gefahr eines nächsten großen Erdbebens, wie schon einmal eines die Stadt beinahe vollständig zerstört hat vor reichlich einhundert Jahren. Und auch die Angst davor, dass der liberale, der linke Lifestyle reaktionäre Gegenkräfte hervorruft, die eines Tages womöglich stärker sind als die eigenen Beharrungskräfte. So hatte San Francisco in Harvey Milk bereits in den Siebzigerjahren einen offen schwul lebenden Bezirksbürgermeister - und nur Monate nach dessen Wahl die Ermordung Milks zu beklagen.

Die Qualität des dickleibigen Bandes von Golden und Unterberger ist die Akribie, mit der Golden Fotografien zusammengetragen hat, die von den Anfängen der Stadt bis in deren Gegenwart hinein die prägenden Ereignisse dokumentieren - und die zugleich auch nach ästhetischen Kriterien herausragende Fotografien sind. Und nicht minder hängt die Qualität an der Genauigkeit, mit der Unterberger diese Bilder beschriftet und kontextualisiert.

Die Golden Gate Bridge in den 1950ern. Aus dem Bildband "San Francisco. Porträt einer Stadt". (Foto: Anonymous/William Rauum Photo Archive)

Der Band zeigt Fotografien von den verheerenden Erdbeben des Jahres 1906, er zeigt Aufnahmen vom Bau der Golden Gate Bridge, vom letzten offiziellen Konzert der Beatles, das in der Stadt stattgefunden hat. Zentrale Bilder der Black-Panther-Bewegung, die in der Stadt gegründet worden ist, der Hippiekultur, den prägenden Musikern und Schriftstellern der Stadt. Aber auch Kuriositäten wie eine frühe Aufnahme von Steve Jobs oder von einer älteren Dame, die in den Siebzigern eine Gay-Pride-Parade an sich vorbeiziehen sieht und dabei auf eine Weise dreinschaut, dass man unbedingt bereit gewesen wäre, Geld dafür zu bezahlen, um zu erfahren, was sie in diesem Augenblick gedacht hat.

Emblematisch sind auf ihre Art auch die Bilder des deutschen, seit mehreren Jahrzehnten in Los Angeles lebenden Fotografen Michael Dressel. Sie spannen jedoch nicht einen so großen Bogen wie die Aufnahmen des San-Francisco-Bandes, packen nicht alles in ein Buch - wobei man "San Francisco" keinesfalls vorwerfen kann, dass es sich in einer Beliebigkeit verlieren würde. Erstaunlich ist an dem Buch vielmehr tatsächlich, dass es für jedes Thema, jede Entwicklung in der Stadt die wesentlichen, die entscheidenden Fotografien zeigt.

Dressel indessen kapriziert sich auf ein einziges Thema: die Lust an der Inszenierung. Sein Band ist voller Bat- und Supermen, begleitet noch von manchen Catwomen. Auf den Straßen von Los Angeles findet ein großes Schaulaufen statt, das der Fotograf dokumentiert. Seine Aufnahmen sind eine Parade von Zurschaustellungen. Die in einer nicht selten schmerzhaften Offenheit geschehen. Viele der Menschen, die Dressel fotografiert, haben keinerlei Scheu, ihre alles andere als perfekten Körper zu präsentieren - und beinahe alle der Porträtierten realisieren, dass sie gerade fotografiert werden. Viele von ihnen poussieren mit der Kamera.

Los Angeles meint es mit vielen seiner Bewohner nicht gut, und Michael Dressel liefert dafür die Belege. (Foto: Michael Dressel)

Es gibt dabei zwangsläufig Bilder voll herzzerreißender Tragik. Etwa das Porträt einer kraftlosen alten, offenkundig bitterarmen und mutmaßlich auch kranken Frau, die ein Plakat passiert, auf dem in Großbuchstaben "Women Power" steht. Los Angeles meint es mit vielen seiner Bewohner nicht gut, und Michael Dressel liefert dafür die Belege. Er fängt andererseits aber auch sehr viele Momente des Trostes und der Freude ein, der Lässigkeit und Selbstbehauptung.

Das ist der Punkt, an dem die Welten der beiden Bücher sich dann doch berühren: Los Angeles wie San Francisco ziehen seit jeher überdurchschnittlich viele Menschen an, die außerhalb gängiger Konventionen leben. Es sind Städte, deren Vitalität wohl auch deshalb auf beinahe jeder der gezeigten Fotografien zu spüren ist. Beide Bücher dringen dabei weit unter die jeweilige Oberfläche vor bis zum Kern dessen, was Los Angeles und San Francisco jeweils ausmacht. Und das, obgleich man meint, eigentlich schon jedes Motiv dieser Städte zu kennen.

Michael Dressel : Los(t) Angeles. Hartmann Books, Stuttgart 2022. 176 Seiten, 38 Euro.

Reuel Golden, Richie Unterberger (Hrsg.) : San Francisco. Porträt einer Stadt. Aus dem Englischen von Alexander Rüter und Marlene Mück. Taschen Verlag, Köln 2022. 480 Seiten, 50 Euro.

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