Historischer Liveblog zu 1945Das Weltkriegsende in Europa Tag für Tag

Junge deutsche Soldaten, fast noch Kinder, werden nach ihrer Gefangennahme von einem US-Soldaten bewacht.
Junge deutsche Soldaten, fast noch Kinder, werden nach ihrer Gefangennahme von einem US-Soldaten bewacht. (Foto: dpa)

Der Vormarsch der Alliierten, die Befreiung der überlebenden KZ-Häftlinge, die letzten NS-Verbrechen, Hitlers Untergang - die SZ dokumentierte, wie der Zweite Weltkrieg in Europa in der Zeit vom 28. April bis 9. Mai 1945 zu Ende ging. Der historische Liveblog in der Nachlese.

Von Oliver Das Gupta, Barbara Galaktionow und Philipp Saul

1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Zum 75. Jahrestag im Jahr 2020 dokumentierte die SZ die Ereignisse zwischen dem 28. April und dem 9. Mai 1945 in einem historischen Liveblog. Die Begebenheiten sind tagesgenau, bei gesicherten Erkenntnissen - wie im Führerbunker - auch stunden- oder minutengenau wiedergegeben. Inhaltlich orientiert sich das Format an Ereignissen von größerem Nachrichtenwert - einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt der Liveblog nicht. Es werden jedoch auch weniger relevante Entwicklungen und unbekannte Akteure eingebunden, die exemplarisch für weitere Aspekte und Schauplätze des Kriegsendes stehen. Die Texte basieren auf Fachliteratur, Tagebuchaufzeichnungen und Zeitzeugenberichten (hier eine Übersicht) sowie auf der Auswertung journalistischer und historischer Quellen der Archive von SZ und SZ Photo. Historikerin Heike B. Görtemaker und Historiker Sven Keller ordnen mit weiteren Beiträgen das Geschehen analytisch ein.

Der historische Liveblog in der Nachlese:

Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Willkommen zu unserem historischen Liveblog!


Am Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren überschlagen sich die Ereignisse im untergehenden Deutschen Reich. Militärisch ist der Krieg für die Deutschen schon längst verloren. Doch die NS-Führung und auch lokale Funktionäre und SS-Angehörige nötigen ihren "Volksgenossen" einen gnadenlosen Endkampf auf. Wer desertieren oder eine weiße Fahne hissen will, droht erschossen oder erhängt zu werden. Erbarmungslos zeigt sich das Regime bis zuletzt auch gegenüber denjenigen, die es zuvor schon verfolgt und gequält hat: KZ-Häftlinge werden gezielt getötet, in überfüllte Züge gepfercht oder in brutalen Todesmärschen durchs Land getrieben. Auch zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter werden ermordet.
Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Die militärische Lage Ende April 1945


Es ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen, vielleicht sogar von Tagen, bis der Weltkrieg in Europa beendet ist. Alliierte Streitkräfte dringen von Ost und West immer weiter ins Reichsgebiet vor. Großstädte wie Köln, Wien und Hannover sind Ende April besetzt, auch das wichtige Ruhrgebiet. Am 25. April treffen sowjetische und amerikanische Einheiten bei Torgau in Sachsen zusammen - Hitlers Drittes Reich besteht nur noch aus einzelnen Bereichen, die von den Alliierten noch nicht erobert sind. Östlich von Berlin durchbricht die Rote Armee die Verteidigungslinien der Wehrmacht und umschließt die Reichshauptstadt.

Der Vormarsch der Roten Armee versetzt die Einwohner von Berlin in Angst und Schrecken, während Hitler mit seinem Gefolge im sogenannten Führerbunker bei der Reichskanzlei unter Drogen zwischen Depression und Größenwahn schwankt. Auch in Süddeutschland dringen die Truppen der Westalliierten immer weiter vor. Französische Einheiten erobern Teile von Südwest-Deutschland. In Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage, müssen sich die Nationalsozialisten nach fünf Tage währenden Gefechten am Ende doch geschlagen geben - es wird die letzte große Schlacht im süddeutschen Raum sein. Nun steht die US-Armee bei Augsburg. München gerät bereits ins Blickfeld.

Text über die Schlacht um Nürnberg (SZplus)
Oliver Das Gupta
Oliver Das Gupta

Sterbendes Regime mit verschiedenen Machtzentren


In dieser letzten Phase des Krieges ist die Entscheidungsgewalt im bis dahin nach dem Führerprinzip funktionierenden NS-Staat zersplittert. Die Kommunikationswege sind zusehends gestört, einzelne Militärführer ignorieren Befehle, sogar wenn sie von Hitler direkt kommen. Das Führungspersonal hat sich zerstreut: Am Alpenrand, in Berchtesgaden, halten sich neben Göring noch weitere prominente Funktionsträger und ihre Mitarbeiter auf. Im holsteinischen Plön hat Marinechef Karl Dönitz sein Hauptquartier, SS-Chef Heinrich Himmler hält sich in Lübeck auf. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) mit Alfred Jodl und Wilhelm Keitel an der Spitze gibt seinen festen Sitz in Zossen südlich von Berlin am 20. April auf. Seitdem bewegt sich der Tross der Militärführung nach Norden. Am 28. April befindet sich das OKW in der Nähe von Rheinsberg nördlich der Hauptstadt.

Adolf Hitler hat Überlegungen, nach Berchtesgaden zu reisen, vor einigen Tagen aufgegeben. Er will im Bunker unter der Reichskanzlei bleiben. Bei dem Diktator sind NS-Größen wie sein Sekretär Martin Bormann und Propagandaminister Joseph Goebbels, der auch seine Frau und seine Kinder mit in den unterirdischen Betonbau gebracht hat. Hitler, der bis dahin absolut geherrscht hat, verfügt nur noch über relative Macht. Wie wenig seine Befehle noch zählen, wird von Tag zu Tag deutlicher.
Hitler am 20. März 1945 im Garten der Reichskanzlei. Der Diktator schreitet eine Front von 20 HJ-Angehörigen ab - der jüngste Jugendliche ist zwölf Jahre alt.
Hitler am 20. März 1945 im Garten der Reichskanzlei. Der Diktator schreitet eine Front von 20 HJ-Angehörigen ab - der jüngste Jugendliche ist zwölf Jahre alt. . Scherl
Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

28. APRIL 1945 (SAMSTAG)

Philipp Saul
Philipp Saul

In Bayern beginnt der Aufstand


Es ist mitten in der Nacht, als der Aufstand losgeht. Eine Gruppe um Hauptmann Rupprecht Gerngross will das Ende des Krieges in Bayern herbeiführen und der Bevölkerung weiteres Leid ersparen. Die meisten Mitglieder sind jüngere Offiziere aus dem Dolmetscherwesen, die die nationalsozialistische Führung stürzen und dann die Kapitulation mit den anrückenden Alliierten verhandeln wollen. Sie nennen sich "Freiheitsaktion Bayern".

Von der Münchner Türkenkaserne bricht eine Truppe mit zwei LKW nach Pullach auf, wo das Oberkommando West der Wehrmacht untergebracht ist. Dort wollen die Widerständler General Siegfried Westphal festnehmen, den Stellvertreter des Oberbefehlshabers West, Alfred Kesselring. Sie können jedoch nur sieben Angehörige einer SS-Kompanie in ihre Gewalt bringen und kehren dann nach München zurück. Sie stürmen das Rathaus und hissen die weiß-blaue Fahne.

Text über die "Freiheitsaktion Bayern" (SZplus)

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