Wirecard:Alles völlig normal in Aschheim

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Zog sie Strippen zwischen CSU und Wirecard? Staatsministerin Dorothee Bär stellt sich den Fragen im Untersuchungsausschuss des Bundestags. (Foto: Michael Sohn/AFP)

Wer hat warum dem Skandalkonzern Wirecard Kontakte ins Kanzleramt vermittelt? Wer hat in der Affäre nicht richtig hingeschaut? Vor dem Untersuchungsausschuss weisen die Minister Peter Altmaier und Dorothee Bär jede politische Schuld von sich.

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Also, dass der Chef eines in den Dax aufgestiegenen Konzerns die Bundeskanzlerin "gerne mal kennenlernen" wollte, das sei nicht ungewöhnlich. Schon drei Tage nach ihrem Arbeitsbeginn im Kanzleramt hätte sie sagen können, "dass jeder mal die Kanzlerin sehen wollte". Wieso hätte sie diesen Wunsch nicht an Angela Merkel weitergeben können? Dorothee Bär, 43, ganz in Schwarz gekleidet, CSU-Staatsministerin im Kanzleramt, sitzt am Dienstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags und muss sich fragen lassen, ob sie die Strippen gezogen hat zwischen der CSU und Wirecard?

Bär hat eine grüne Mappe mitgebracht, sie nimmt vorbereitete Notizen raus und liest sie ab. Warum hat sie nach einem Besuch der Wirecard-Zentrale in Aschheim, wo sie den damaligen CEO Markus Braun gesprochen hatte, einen Besuch bei der Kanzlerin einfädeln wollen?

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Weil es eben völlig normal sei, sagt Bär. Wobei die nächste Frage ist, was normal ist, wenn man sich das Umfeld des Besuchs nachbaut. Der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) hatte Bär vorgeschlagen, nach Aschheim zu fahren. Was sie völlig normal findet für einen ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten. Braun sei dort überraschend aufgetaucht und habe ebenso aus dem Nichts erklärt, dass er nichts mit Politik zu tun haben wolle, er könne auch so mit Wirecard in die Google-Liga aufsteigen. Bär sagt, sie sei überrascht gewesen. Aber dass er dann doch die Kanzlerin treffen wollte, warum nicht?

Viele CSU-Granden waren mit Wirecard beschäftigt

Bär ist die Zeugin, mit der das große Finale des U-Ausschusses Wirecard am Dienstag beginnt. Bis Freitag werden drei Minister, ein Staatssekretär und die Kanzlerin befragt. Bär, die von der CSU ins Kanzleramt geschickt wurde, um die Digitalisierung voranzutreiben, hat eben auch analog CSU-Kontakte ins Kanzleramt vermittelt. Überhaupt, das zeigen die Akten, hat die CSU sich recht engagiert, um Wirecard bekannt zu machen. Bär, Beckstein, Karl-Theodor zu Guttenberg, Waldemar Kindler, Klaus-Dieter Fritzsche - alles CSU-Granden, die mit Wirecard beschäftigt waren.

Bärs Befragung ist das Warm-up für die anschließende Befragung von Peter Altmaier. Den Wirtschaftsminister von der CDU erwarten heftige Anwürfe, schließlich waren es Wirtschaftsprüfer, die den Skandal erst so groß haben werden lassen. Gerade hat der Sonderermittler des Ausschusses einen vertraulichen Bericht über die Arbeit der Bilanzprüfer von EY vorgelegt. "Wenn das alles bekannt würde, könnte EY zusperren", raunt ein Abgeordneter. Müsste man einen politischen Verlierer benennen, die Wahl fiele auf Altmaier.

So sieht das jedenfalls die SPD, die vorab auf einer Pressekonferenz die Verantwortlichen des Betrugsskandals schon ausgemacht hat: Altmaier und die CDU, die CSU und damit auch Bayern. "Wir können mit Fug und Recht von einem Wirtschaftsprüfungsskandal sprechen", sagt die Abgeordnete Cansel Kiziltepe. Der Obmann im Ausschuss, Jens Zimmermann, sagt, "dieser Tage glaube ich in Bayern an keine Zufälle". Aschheim, der Sitz der Zentrale von Wirecard, liege in Bayern, "und im Erfolg von Aschheim wollten sich alle sonnen".

Womit man wieder bei Doro Bär ist. Am 19. November 2018 hat sie an der Betriebsbesichtigung in Aschheim teilgenommen. Hat sie danach weiter Strippen gezogen im Hintergrund? Nein, das sei der einzige Kontakt gewesen. Sie kann sich an keine weiteren Kontakte erinnern.

Altmaier sagt, seine Aufsichtsbehörde habe schnell reagiert

Bei Altmaier geht es dagegen um die große Verantwortung. Wie konnte es passieren, dass die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) jahrelang die mutmaßlich geschönten Bilanzen abgesegnet haben und der Aufsicht nichts auffiel? Hat der Wirtschaftsminister nicht richtig hingeschaut? Schließlich ist er oberster Dienstherr der Wirtschaftsprüferaufsicht, ihm obliegt die Aufgabe, deren Arbeit zu kontrollieren. Zuständig dafür ist die sogenannte Apas, die Abschlussprüferaufsichtsstelle. Sie steht in der Kritik, zu spät gegen EY ermittelt zu haben. Altmaier widerspricht dem. Er könne nicht sehen, dass die Behörde zu wenig oder zu spät eingeschritten sei. Nach den Ergebnissen der Sonderprüfung von KPMG habe die Behörde schnell reagiert, die Fristen hätten im "Rahmen des Üblichen" gelegen.

Besonders peinlich sind die Vorgänge um den ehemaligen Chef der Apas, Ralf Bose. Im Dezember hatte Bose im Untersuchungsausschuss gestanden, noch im Frühjahr 2020 privat mit Aktien von Wirecard gehandelt zu haben - als seine Behörde den Fall schon untersuchte. Ob Bose damit gegen Compliance-Vorschriften verstoßen habe, könne er nicht beantworten, sagt Altmaier, das werde gerade noch gerichtlich geklärt. Für ihn sei es jedenfalls nicht hinnehmbar gewesen, dass Bose erst im Ausschuss darüber informierte, und habe dementsprechend schnell gehandelt. Bose wurde zunächst freigestellt und bekam im Januar die außerordentliche Kündigung.

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