Fabio De Masi ist ein Meister des politischen Showeffekts, sogar einen Aktenordner weiß er in Szene zu setzen. Auf den Deckel hat er das rot umrandete Fahndungsplakat für Jan Marsalek im Kleinformat geklebt, für jenen flüchtigen Ex-Vorstand, dem ein Großteil der Verantwortung für den mutmaßlichen Milliardenbetrug bei Wirecard zugeschrieben wird. Immer wieder zeigt De Masi auf Fotos diesen Ordner, mit denen er den Anspruch seiner Ermittlungsarbeit verdeutlicht: Es geht dem Bundestagsabgeordneten der Linken um mehr als nur die politische Verantwortung im Fall Wirecard. Er und seine fraktionsübergreifenden Partner im Untersuchungsausschuss wollten und wollen an den Kern des Skandals.
"Eines haben wir bereits widerlegt: dass ein Untersuchungsausschuss keine Konsequenzen hat", sagte De Masi, als das Bundesfinanzministerium an einem Freitag Ende Januar den Rücktritt von Felix Hufeld bekannt gab, dem Chef der Finanzaufsicht Bafin. De Masis Lieblingsmetapher für den Untersuchungsausschuss ist der Besen: Mit einer Art parlamentarischem Gerichtsverfahren machen die Abgeordneten Kehraus in Ämtern, Ministerien und sogar in mancher Firma. Hufelds Rücktritt war der vorläufige Höhepunkt.
In jeder Schublade etwas gefunden
Unter großem Zeitdruck hatte dieser Untersuchungsausschuss im Oktober mit der Arbeit begonnen, mit De Masi, Danyal Bayaz von den Grünen und Florian Toncar von der FDP als treibenden Kräften. Sie nahmen sich vor, den größten Wirtschaftsskandal der bundesdeutschen Geschichte so gut wie möglich auszuleuchten: Verantwortliche zu benennen, Behördenversagen zu dokumentieren, Systemfehler aufzuzeigen. "Bisher haben wir in jeder Schublade, die wir in dem Fall aufgezogen haben, auch etwas gefunden", sagte FDP-Mann Toncar bereits Anfang Oktober. So blieb es auch.
Schon früh hatte der Ausschuss ehemalige Wirecard-Vorstandsmitglieder geladen. Sie sagten zwar größtenteils nichts, um sich nicht selbst zu belasten. Aber im Spiel mit der Aufmerksamkeit wurde es den Abgeordneten zum Selbstzweck, etwa den inhaftierten Ex-Konzernchef Markus Braun öffentlich vorzuführen. Wirecard-Berater mussten antanzen, darunter Ex-Minister der Schwesterparteien CDU/CSU.
Marsalek-Vertraute wurden befragt, Konzerninsider erhoben schwere Vorwürfe, Behördenchefs erlebten peinliche Momente. Ein wenig erinnerte das mitunter an die spektakulären Verhöre von Konzernchefs im US-Senat. Den Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young (EY) wurde sogar per Präzedenzurteil des Bundesgerichtshofs eine Aussage abverlangt; ein vom Ausschuss eingesetzter Sonderermittler stellte den Wirtschaftsprüfern zuletzt ein vernichtendes Zeugnis aus.
Hunderte Aktenordner, Millionen Blatt Papier
So kam nach und nach in einer bis dahin nicht gekannten Detailtiefe heraus, wie es Wirecard mit der Unterstützung hoch bezahlter Berater und Lobbyisten über Jahre gelungen war, ein Lügengebäude aus frisierten Bilanzen stabil zu halten. Wie der Konzern bis in höchste politische Kreise Unterstützung fand, während er zugleich gezielt versuchte, Journalisten einzuschüchtern.
Hunderte Aktenordner, Millionen Blatt Papier und PDF-Dokumente bereiteten die Büros der neun Ausschussmitglieder auf - verglichen mit anderen Ausschüssen dieser Art und angesichts der komplexen Materie in atemberaubendem Tempo: Während andere Untersuchungsausschüsse des Bundestags gern mal bis zu zwei Jahre dauern, ist im Fall Wirecard nach einem halben Jahr Schluss. Dafür dauerten die Sitzungen oft bis tief in die Nacht.
Die Liste der personellen Konsequenzen ist lang. Bafin-Präsident Hufeld musste gehen, ebenso seine Vizechefin, die für die Wertpapieraufsicht zuständige Bafin-Direktorin Elisabeth Roegele. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sah sich veranlasst, eine "Aufsicht mit mehr Biss" anzukündigen und ließ eilig neue Regeln schreiben. Der Leiter der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, Ralf Bose, gab als Zeuge im Untersuchungsausschuss private Geschäfte mit der Wirecard-Aktie zu und verlor seinen Job. Der Leiter der bislang für die Bilanzkontrolle börsennotierter Firmen zuständigen Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung trat ab. Die Prüfstelle hat keine Zukunft mehr - ihre Mitarbeiter sollen künftig bei der Bafin arbeiten, die Bilanzkontrolle direkt dort angesiedelt werden.
Jetzt geht es um "die richtigen Lehren"
Der Chefbuchhalter der Deutschen Bank, zuvor jahrelang EY-Wirtschaftsprüfer bei Wirecard, wurde freigestellt. Alexander Schütz, ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank und Vertrauter von Ex-Wirecard-Chef Braun, musste gehen, ebenso eine Aktienanalystin der Commerzbank. "Der Untersuchungsausschuss hat geliefert und das Ausmaß des kollektiven Versagens von Politik und Institutionen aufgedeckt", resümiert der Grünen-Abgeordnete Bayaz. "Jetzt geht es darum, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Ein personeller Neuanfang bei der Finanzaufsicht und eine Mini-Reform werden da nicht reichen."
Neben den persönlichen Konsequenzen hatte die Bundesregierung unter Druck gestanden, schnell neue Regeln zu schreiben. Der Untersuchungsausschuss wirkte da wie ein Verstärker. Die Bafin soll unter ihrem neuen Chef mehr Kompetenzen bekommen und der Chef mächtiger werden. Laut dem vom Bundeskabinett beschlossenen Sieben-Punkte-Plan soll nun unter anderem mit Hinweisen von Whistleblowern sorgfältiger umgegangen und der Austausch mit Verbraucher- und Anlegerschützern verbessert werden.
Mark Branson, der von der Schweizer Finanzaufsicht an die Spitze der Bafin wechselt, äußerte sich zuletzt wohlwollend zu den Änderungen, die vielen Beobachtern nicht weit genug gehen. Eine schnelle Reform sei besser als endlose Verhandlungen in der Hoffnung auf das perfekte Gesetz.
Eine Frage wird der Untersuchungsausschuss in der verbleibenden Zeit aber wohl nicht mehr klären können: Wo ist Jan Marsalek? Das Fahndungsplakat auf De Masis Aktenordner bleibt aktuell.