Es ist eine erstaunliche Kehrtwende für die Zukunft der Westsahara, die seit 47 Jahren von Marokko besetzt ist: Nach Jahrzehnten, in denen Spanien stets eine neutrale Position eingenommen hatte, stellt Premier Pedro Sánchez sich plötzlich an die Seite von Rabat. In einem Brief an den marokkanischen König, der am Freitagabend publik wurde, macht Sánchez Marokko ein folgenschweres Zugeständnis. Spanien erkenne die Bedeutung an, die die Westsahara für Marokko habe und betrachte den Vorschlag, sie als autonome Region ins marokkanische Staatsgebiet einzugliedern, als "ernstzunehmendste, realistischste und glaubwürdigste Basis" für eine Lösung des Konflikts.
Marokko fordert seit 2007 ein solches Autonomiestatut für die Westsahara, die dortige Befreiungsbewegung Frente Polisario lehnt dies ab und will einen unabhängigen Staat. Die Vereinten Nationen verlangen, dass die Bevölkerung in dem Gebiet per Referendum befragt wird, welche Lösung sie bevorzugt. Das Gebiet der Westsahara ist rohstoffreich, vor allem die Fischgründe vor der Atlantikküste sind für marokkanische wie europäische Fangflotten äußerst attraktiv.

Diplomatie:Krise zwischen Marokko und Berlin
Das Königreich hat seine Botschafterin zu Konsultationen abberufen. Rabat ist verärgert über Deutschlands Haltung zum Westsahara-Konflikt, die Bundesregierung zeigt sich überrascht.
Sánchez will nun den Zwist zwischen Spanien und Marokko befrieden. Seit einem Jahr schon kriselt es zwischen den Nachbarn. Am Höhepunkt der Krise im vergangenen Mai öffneten marokkanische Beamte die Grenze zur spanischen Exklave Ceuta und ließen Tausende Marokkaner, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, auf europäischen Boden. Ein Teil der Minderjährigen befindet sich bis heute in Ceuta.
Für Sánchez könnte die Kehrtwende noch unangenehme Folgen haben
Vergeben und vergessen, heißt es nun aus Rabat. Der Streit sei beigelegt, man freue sich über den "konstruktiven Kompromiss", den Madrid anbiete. Am Sonntagnachmittag meldeten spanische Medien, dass Marokko seine seit Mai 2021 zurückgerufene Botschafterin zurück nach Spanien geschickt habe.
Sánchez bewegt sich mit dem Vorstoß in eine Position, die zuvor auch Deutschland und die USA eingenommen hatten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Rabat zufolge bereits im Januar kommuniziert, er bewerte den Vorschlag eines Autonomiestatuts als "seriös und glaubwürdig".
Doch für Sánchez dürfte der historische Positionswechsel noch unangenehme Folgen haben: Nicht nur die konservative Opposition geißelt ihn als "Leichtsinnigkeit". Sánchez' Koalitionspartner, die linkspopulistische Unidas Podemos, die offenbar nicht eingeweiht worden war, spricht von einem Bruch des Koalitionspakts und vergleicht die marokkanische Besetzung der Westsahara mit der russischen Annexion der Krim.
Besonders folgenschwer könnten indes die Verstimmungen sein, die Spaniens Schritt in Algerien auslöst. Algier unterstützt die Befreiungsbewegung Frente Polisario. Am Samstag zog Algerien seinen Botschafter aus Madrid "zu Konsultationen" ab. Brisant ist dies vor allem, weil Spaniens Gasversorgung zu einem großen Teil von Algerien abhängt und Madrid gerade in der EU dafür wirbt, eine Verteilstelle dieses Gases Richtung Mitteleuropa zu werden. Einen Konflikt mit Algier kann es sich eigentlich nicht leisten. Außenminister José Manuel Albares bemühte sich noch am Freitagabend, die Wogen zu glätten, und betonte die zuverlässige Partnerschaft mit Algerien.