Westbalkan-Konferenz:Ein Durchbruch in Berlin

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"Sie erleichtern Ihren Bürgern das Leben": Bundesaußenministerin Baerbock gratuliert den Westbalkanländern, rechts Montenegros Außenminister Krivokapić. (Foto: Christoph Soeder/DPA)

Die sechs Länder des Westbalkan einigen sich auf gegenseitige Abkommen, welche die Region voranbringen können. Ein Fortschritt, an den viele kaum noch glaubten.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Das Familienfoto gehört bei internationalen Konferenzen zum Protokoll, aber selten zu den Höhepunkten der Spannung. Am Freitag im Auswärtigen Amt in Berlin war das ein bisschen anders. Außenministerin Annalena Baerbock hatte geladen zur Westbalkan-Konferenz. Es passiert nicht oft, dass sich der serbische Außenminister Nikola Selaković vor der Flagge Kosovos ablichten lässt, dessen Unabhängigkeit Belgrad nicht anerkennt, zusammen mit seiner Kollegin aus Priština, Donika Gërvalla-Schwarz. Es war das sichtbare Zeichen, dass in den vergangenen Monaten Fortschritte erreicht wurden, die jahrelang als kaum denkbar galten.

Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien, die als Westbalkan-Staaten bezeichnet werden, haben sich darauf geeinigt, drei Abkommen zu schließen, die sowohl die wirtschaftliche Integration in der Region befördern sollen, als auch die Staaten dem angestrebten EU-Beitritt näher bringen, wie Baerbock am Nachmittag bekannt gab und die Außenminister der Länder in einer gemeinsamen Erklärung bestätigten.

Zwei Vereinbarungen betreffen die gegenseitige Anerkennung von Berufs- und Hochschulabschlüssen, die dritte die Anerkennung von Personalausweisen als Reisedokument in der Region. Gerade darauf konnten sich Serbien und Kosovo lange nicht einigen, womit Fortschritte auch für die anderen Staaten blockiert waren. Als "wichtigen Schritt zur Annäherung an die EU" würdigte Baerbock die politische Verständigung, die auch dank Vermittlungsbemühungen der Bundesregierung zustande gekommen ist.

Es geht um die vier Grundfreiheiten, wie sie in der EU herrschen

Vor zweieinhalb Jahren, bei einem Gipfel der Westbalkanstaaten in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, hatten diese vereinbart, Abkommen zu den vier Grundfreiheiten zu schließen, die den EU-Verträgen zugrunde liegen - sie garantieren den ungehinderten Verkehr von Personen, Waren Dienstleistungen und Kapital im Binnenmarkt. "Sie erleichtern Ihren Bürgern das Leben und helfen Ihren Unternehmen, den Handel und das Wirtschaftswachstum in der gesamten Region anzukurbeln", sagte Baerbock. "Ich gratuliere Ihnen wirklich zu diesem Durchbruch."

Zugleich forderte sie die Regierungen der Westbalkanstaaten auf, "alle notwendigen Schritte zügig umzusetzen, um sicherzustellen, dass die Abkommen wie vorgesehen unterzeichnet werden". Die Staats- und Regierungschefs sollen sie Anfang November bei einem Gipfeltreffen auf Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz besiegeln. Damit trägt der 2014 von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiierte Berliner Prozess konkrete politische Früchte. Merkel wollte damit die Annäherung der sechs Staaten an die EU beschleunigen. Ihnen war der Beitritt zwar schon 2003 in Aussicht gestellt worden, lange gab es aber keine konkreten Fortschritte zur Verwirklichung dieser Perspektive. In vielen Ländern führte das dazu, dass sich die Menschen im Stich gelassen fühlten.

Baerbock hat den Westbalkan bald nach Amtsantritt besucht und in Manuel Sarrazin erstmals einen Sondergesandte für den Westbalkan ernannt. Neue Dringlichkeit erhielt das deutsche Engagement durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Bundesregierung entschied, sich noch entschlossener den Versuchen der Einflussnahme und der Destabilisierung durch die Regierung von Präsident Wladimir Putin entgegenzustellen. Serbien pflegt enge Kontakte nach Moskau, auch in der Republika Srpska, dem serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas, hat Russland gehörigen Einfluss.

Emmanuel Macron hat Vorbehalte gegen eine neue Erweiterung der Union

Sarrazin handelte in den vergangenen Monaten bei zahlreichen Reisen in der Region in enger Koordination mit der EU-Kommission die Abkommen aus. Kanzler Olaf Scholz unterstrich die politische Bedeutung, die seine Regierung der Region beimisst, mit einer eigenen Reise. Auch empfing er den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und Kosovos Premierminister Albin Kurti in Berlin; die beiden trafen sich anschließend zu einem bilateralen Gespräch im Gästehaus des Auswärtigen Amtes, der Villa Borsig am Tegeler See.

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Zugleich warb die Bundesregierung bei den EU-Partnern dafür, den Beitrittsprozess der sechs Staaten zu beschleunigen. Widerstände dagegen gibt es etwa in Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron eine nochmalige Erweiterung der Union skeptisch sieht, aber auch wegen bilateraler Probleme zwischen Ländern der Balkan-Region. Die Bundesregierung hofft nun, auf den drei Abkommen aufbauen zu können und weiter Fortschritte zu erreichen. Am Montag steht nach der Außenministerkonferenz noch eine Zusammenkunft der Wirtschaft- und Energieminister in Berlin an, im November dann das Gipfeltreffen.

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